Hessischer Wald bedroht Milliarden Maikäfer schwärmen aus
09.05.2010, 12:48 Uhr
So viele Maikäfer hat ein Ast noch nicht gesehen.
(Foto: picture alliance / dpa)
176 Engerlinge je Quadratmeter befinden sich im Boden des Waldes. Drei bis vier sind eigentlich die Schmerzgrenze für das Überleben der Bäume. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt.
Maikäfer haben unter Kindern spätestens sei den Streichen von Max und Moritz einen gefestigt guten Ruf. Zudem lassen sich die ungelenken Brummer gut in Schuhschachteln halten. Kein Wunder, dass all die Schulklassen, die derzeit in die hessischen Wälder zwischen Mannheim und Frankfurt pilgern, begeistert von den Milliarden Maikäfern sind, die nach einem Massenschlupf in den Bäumen hängen. Der Waldschutzexperte Horst Marohn sieht das Schauspiel dagegen mit gemischten Gefühlen. Er befürchtet eine ökologische Katastrophe, bei der der Wald auf der Strecke bleiben könnte.
Waldmaikäfer, die sich etwa alle 30 Jahre massenhaft vermehren, gab es schon immer entlang des Oberrheins. Aus ihren in Waldwiesen abgelegten Eiern entwickeln sich zunächst sogenannte Engerlinge. Diese im Erdreich lebenden fetten Larven fressen Wurzeln und werden knapp drei Zentimeter lang, bevor sie sich nach meist vier Jahren zu einem Käfer umwandeln, die dann zur Fortpflanzung ausschwärmen.
Engerlinge weichen Frost aus
Dass die Maikäfer nun zu einer ernsten Bedrohung für die Wälder wurden, liegt am Menschen: Die starken Grundwasserabsenkungen zugunsten von Neubaugebieten schädigten nicht nur die Bäume. Sie ermöglichten auch die Ausbreitung der Käfer: "In trockenen Böden können Engerlinge im Winter dem Frost nach unten ausweichen, ohne zu ertrinken", sagt Gerlinde Nachtigall vom Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen. Zudem verbreiten sich natürliche Käferfeinde wie etwa Pilze oder Fadenwürmer in trockenen Böden schlechter als in feuchten.

Mit aufgestellten Fühlern und rasend schnell schwirrenden Flügeln startet ein Maikäfer in einem Wald bei Darmstadt in Hessen in die Luft.
(Foto: picture alliance / dpa)
Welche Gefahr dem hessischen Wald nun auf einer Fläche von 20.000 Fußballfeldern droht, ergaben rund 5000 Probegrabungen: "Wir haben bis zu 176 Engerlinge je Quadratmeter gefunden. Ein bis drei sind die Schmerzgrenze, die ein Baum an seinen Wurzeln noch verkraften kann", sagt Marohn. Die weißen Larven leisten offenbar ganze Arbeit: "Selbst etwa acht Meter hohe Bäume kann man mit einer Hand aus dem Boden ziehen, weil sie keine Wurzeln mehr haben", sagt Marohn. Und bereits angeschlagene Bäume würden den Kahlfraß der Käfer in ihren Kronen nicht überleben, weil ihnen die Kraft für einen zweiten Austrieb fehlt.
Gifteinsatz tötet auch Schmetterlinge
Um zumindest ihren Stadtwald vor dem Zangenangriff der Maikäfer zu retten, hat die Gemeinde Pfungstadt nun das umstrittene Insektengift Dimethoat versprüht. Naturschützer kritisieren den Gifteinsatz allerdings scharf, weil auch Schmetterlinge stürben und Maikäfer fressende Fledermäuse bedroht seien.
Dass das Land Hessen in seinen Forsten dagegen aus Gründen des Wasserschutzes auf den Gifteinsatz verzichtet, nennen Experten eine politische Entscheidung. Marohn und Nachtigall wollen das nicht kommentieren. Kurzfristige Alternativen zum Gifteinsatz sehen sie allerdings auch nicht: Natürliche Krankheitserreger wie Pilze oder Fadenwürmer auszubringen, hat sich ebenso wenig bewährt wie Fallen mit Lockstoffen in Baumgipfeln, sagen sie.
Wildschweine erleiden Eisweißschock
In dem am schlimmsten vom unterirdischen Kahlschlag betroffenen Gebieten wurden sogar schon Wildschweine in Gehege gesetzt, damit sie den Boden aufbrechen und Engerlinge fressen. Das taten die Tiere aber nur zwei Wochen lang: "Danach hatten sie einen Eiweißschock und fraßen nur noch Gras", erinnert sich Marohn. Die einzige Alternative, den Grundwasserspiegel wieder anzuheben, funktioniert allenfalls langfristig und nur punktuell, da in den Neubaugebieten ansonsten die Keller volllaufen.
Hessens Förster pflanzen nun auf allen Waldwiesen Schatten spendende Bäume, damit dort kein Gras mehr wächst, dessen Wurzeln Engerling-Babys als erste Nahrung dient. Ob die Förster mit solch sanften Methoden den Wettlauf gegen die Zeit gewinnen, ist offen. Marohn spricht von einem Großversuch der Natur. Die Frage sei, "Wer stirbt zuerst: Der Maikäfer oder der Wald?"
Quelle: ntv.de, Jürgen Oeder, AFP