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Frühe Anzeichen bei Kindern Neigung zur Kriminalität

Schlagende Jugendbanden, Streit mit Messern, Raub auf dem Schulweg - die Polizei hat fast jeden Tag mit Jugendkriminalität zu tun und stellt zunehmende Hemmungslosigkeit fest. Dann der Amoklauf in Emsdetten Ende vergangenen Jahres: Der 18-jährige Sebastian B. schoss in seiner ehemaligen Realschule um sich, verletzte 37 Menschen und brachte sich dann um. Die Diskussion über ein Verbot von Gewaltvideos war ein Dauerbrenner. Ein Verbot hält die Kinder- und Jugendpsychiaterin Professor Beate Herpertz-Dahlmann für sinnvoll.

"Ich wäre dafür, diese Spiele zu verbieten. Das wiederholte Spielen kann zu einer Art Desensibilisierung führen", sagte sie am Mittwoch bei dem im deutschsprachigen Raum größten Kongress der Kinder- und Jugendpsychiater in Aachen. Es sei bekannt, dass Soldaten auf Kriegseinsätze mit Videos vorbereitet würden. Damit sollen Hemmschwellen abgebaut werden. "Wenn ein Kind stundenlang am Tag vor dem Computer sitzt, kann das bei einer Veranlagung zur Verminderung der Hemmschwelle führen." Sebastian B. hatte Tag und Nacht in dieser virtuellen Welt von Tod und Gewalt zugebracht.

Für die Psychiaterin an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen muss der Schutz vor dem Abrutschen in Gewalt und Kriminalität schon viel früher und sehr gezielt einsetzen. Gefährdete Kinder fallen oft schon im Kindergarten durch ihr Verhalten auf: Während Altersgenossen den Hamster liebevoll streicheln, bringen sie das Tier um. Bei einer an sich harmlosen Rangelei würgen und verletzten sie andere Kinder ernsthaft - oder quälen den kleinen Bruder, sagte die Präsidentin des Kongresses mit 1.000 Teilnehmern.

Die jüngste Untersuchung des Robert Koch-Instituts in Berlin habe ergeben, dass jedes fünfte Kind in Deutschland psychische Auffälligkeiten hat und jedes zehnte Kind psychisch krank ist. Die häufigsten Störungen betreffen das Sozialverhalten wie frühe Aggression, Lügen, Stehlen, Betrügen, Weglaufen. Jedes fünfte der ernsthaft sozial Gestörten wird demnach später kriminell.

In der Regel kommen bei diesen Kindern zwei Dinge zusammen: Zum einen eine "gewisse Neigung". Sie seien krankhaft angstfrei, empfinden in fast keiner Situation Angst. "Wenn diese Kinder in Familien hineingeboren werden mit finanzieller Not, Vernachlässigung und körperlicher Strafe, dann begehen sie eher Gewalthandlungen." Diese Jugendlichen täten Dinge, die mit Strafe verbunden seien, um die Erregung zu steigern: "Sie suchen den Thrill."

Die Psychiater fordern ein Frühwarnsystem und gezielte Vorsorge durch Beratung und Betreuung von Risiko-Familien. Das zahlt sich ihrer Meinung nach später auch in Euro und Cent aus. In einem Programm in den USA wurden Mütter in sozialen Problemlagen regelmäßig während der Schwangerschaft bis zwei Jahre nach der Geburt betreut. 15 Jahre später landeten von den Kindern betreuter Mütter im Vergleich zu Kindern von unbetreuten Müttern weniger als die Hälfte im Gefängnis.

Elke Silberer, dpa

Quelle: ntv.de

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