Timo Ulrichs im Interview Ohne Osterruhe zurück in "harten Lockdown"
25.03.2021, 15:08 Uhr
Der Besuch im Biergarten ist in weiten Teilen Deutschlands zu Ostern noch tabu.
(Foto: dpa)
Keine Osterruhe, steigende Zahlen: Epidemiologe Timo Ulrichs ist alarmiert. Im ntv-Interview sagt er: "Wir sollten schon längst reagiert haben." Für ihn gibt es keinen anderen Ausweg, als so schnell wie möglich wieder einen harten Lockdown zu verhängen.
ntv: Die Infektionszahlen steigen rasant in die Höhe. Wie viel Zeit haben wir jetzt eigentlich noch, um zu reagieren?

Timo Ulrichs ist Professor für Medizin, Mikrobiologie und Katastrophenhilfe an der Akkon-Hochschule in Berlin.
Timo Ulrichs: Wirklich keine mehr, wir sollten schon längst reagiert haben. Diese Sache mit der Osterruhe wäre eigentlich ein gutes Instrument gewesen, wenn auch nur kurz - aber immerhin. Jetzt haben wir das nicht und müssen sehen, dass wir möglichst schnell wieder in einen harten Lockdown zurückkehren. So schmerzlich sich das anhört, aber das ist die einzige Möglichkeit, aus der Situation herauszukommen.
Österreich geht genau in eine solche Osterruhe, wie sie Angela Merkel gestern gekippt hat. Sind wir zu kompliziert in Deutschland für die Pandemiebekämpfung?
Die juristischen Fallstricke kann ich nicht beurteilen. Aber Belgien macht das zum Beispiel auch, und wenn wir alle hier in Deutschland so tun, als hätten wir diese verordnete Osterruhe, dann können wir das ja auch. Also wir haben Osterferien in den Schulen und Kitas. Wir könnten eben auch sehen, dass wir ansonsten versuchen, in diesem Zusammenhang die Kontakte zu reduzieren, auf Osterbesuche weitgehend zu verzichten. Das müssen wir jetzt machen, sonst könnten die Zahlen tatsächlich völlig außer Kontrolle geraten.
Sie würden RKI-Chef Wieler also zustimmen: Der Lockdown ist alternativlos in dieser Situation?
Ja, das ist die einzige Möglichkeit, wieder vor die Lage zu kommen. Und wenn die Zahlen wieder abnehmen, kann man über alles Weitere diskutieren, wie wir etwa Lockerungen mit Testungen verbinden. Denn diese Tests sind ja nur dann sinnvoll, wenn wir daraus auch Konsequenzen ziehen, wenn wir positiv getestete Personen sofort in Quarantäne nehmen und damit Infektionsketten unterbrechen. Das gelingt jetzt in einer sich immer stärker verbreitenden Virussituation nicht.
Testen wir zu wenig? Oder anders gefragt: Wie viele Menschen müssten getestet werden, damit das überhaupt einen Effekt auf die Infektionskurve hat?
Wir müssten sehr viel mehr testen. Das kann man natürlich in kleinräumigen Situationen wie in Tübingen oder in Rostock sehr gut machen. Aber auf das gesamte Land gesehen ist das sehr viel schwieriger. Wir haben hier gar nicht mehr die Möglichkeit jetzt etwas anderes zu tun, als erstmal wieder stark herunterzufahren, um dann wieder in eine Situation zu kommen, in der das Testen auch einen Sinn hat.
Auf den Balearen und Kanaren stiegen die Inzidenzen gleich nach der Öffnung für Urlauber wieder. Wären Reiseverbote, die jetzt diskutiert werden, sinnvoll?
Ja, das machen andere Länder wie Großbritannien etwa ja auch. Das hat zwei Effekte: Einmal, dass man nicht das Risiko hat, dass neue Varianten ins Land reinkommen. Zum anderen schützt man aber auch andere Länder davor, dass wir das da wieder hin exportieren.
Könnte der Osterurlaub auf Mallorca jetzt so eine Art zweites Ischgl werden?
Nein, in Ischgl hatten wir ja noch keine Hygienekonzepte. Jetzt gibt es die zwar, aber es bleibt immer ein Restrisiko, und wenn Menschen zusammenkommen und sich in Innenräumen begegnen, ist das Risiko einer Übertragung da. Und wenn man sich ansieht, wohin die Menschen wieder zurückgehen, dann ist es genau das, was wir nicht wollen. Wenn Urlauber aus Ländern, in denen die Zahlen gerade sehr hoch sind, mit Deutschen zusammen kommen, dann freut sich das Virus. Dann kann es große Distanzen zurücklegen und sich in den Zielorten ausbreiten.
Mit Timo Ulrichs sprach Doro Steitz
Quelle: ntv.de