Gesucht: Waffe gegen Aids Protein entkräftet HIV
26.05.2012, 11:28 Uhr
Medikamententests sollen die Aidsforschung voranbringen. Einen Impfstoff gegen die Immunschwäche gibt es nicht.
(Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb)
Einige Immunzellen des Menschen besitzen ein Protein, mit dem sie sich gegen den AIDS-Erreger HIV zur Wehr setzen können. Lässt sich dieser neu entdeckte Mechanismus gegen die Immunschwäche nutzen?
Bestimmte Immunzellen des Menschen sind Angriffsziel des AIDS-Erregers HIV (Humanes Immundefizienz-Virus). Einige dieser Zellen haben jedoch einen Weg gefunden, um dem Virus seine Attacke zumindest schwerer zu machen. Mit dem erst kürzlich beschriebenen Protein SAMHD1 können sie die Vermehrung seiner Erbsubstanz bremsen. Diese ist jedoch eine der Voraussetzungen für eine erfolgreiche Infektion des Menschen. Eine internationale Gruppe um Florence Margottin-Goguet vom Pariser Institut Cochin hat kürzlich weitere Erkenntnisse zu SAMHD1 im Journal "Nature Immunology" veröffentlicht. Mitgearbeitet hat auch Professor Thomas Gramberg vom Virologischen Institut der Universität Erlangen-Nürnberg. Er lieferte molekulare Werkzeuge für die Untersuchung.
Mitte 2011 berichteten die Forschergruppen um Monsef Benkirane (Montpellier, Frankreich) und Jacek Skowronski (Cleveland, USA) im Journal "Nature", dass SAMHD1 eine wichtige Rolle bei der HIV-Infektion spielt. Wurde der Gehalt des Proteins in bestimmten Immunzellen künstlich erhöht, ließen sich diese nicht mehr mit dem HI-Virus infizieren. Zugleich belegte die Gruppe, dass die Zerstörung von SAMHD1 diesen Schutz wieder aufhebt. Ungeklärt aber blieb, wie SAMHD1 die Zelle vor der HIV-Infektion schützt. Damit einher geht gleich eine weitere offene Frage: Lässt sich mit diesem Wissen womöglich eine neue Waffe gegen den Erreger der Immunschwäche Aids schaffen?
Die Lösung liegt in der DNA-Struktur
Margottin-Goguet und ihre Kollegen fanden kürzlich heraus, dass SAMHD1 in der Zelle die chemischen Bausteine der Erbsubstanz DNA verringert. Das Protein greift dafür aber nicht die DNA-Doppelhelix im Zellkern an, sondern einzelne DNA-Bausteine (die sogenannten Nukleotide). Aus diesen werden bei einer Zellteilung neue DNA-Moleküle für die beiden entstehenden Tochterzellen aufgebaut. Die menschliche DNA wird aus vier solchen Bausteinen aufgebaut: Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin. Bevor diese Einzelteile zum langen DNA-Molekül zusammengefügt werden, liegen sie in einer biochemisch besonders aktiven Form vor (als sogenanntes Triphosphat).
Auch das Aidsvirus braucht diese Nukleotide für seinen Vermehrungs- und Infektionszyklus: HIV gehört zu den Retroviren. Diese bringen ihre Erbsubstanz in Form von RNA-Molekülen mit in die infizierte Zelle. Dort muss die RNA zunächst in die chemisch eng verwandte DNA umgeschrieben werden. Erst diese wird in den Zellkern der infizierten Immunzelle eingebaut und sorgt dann für das Entstehen neuer Viren. Zum Umschreiben von RNA in DNA bringt sich HIV auch gleich ein eigenes Protein mit, die Reverse Transkriptase.
Die Vermehrung von HIV bremsen
SAMHD1 baut die einzelnen DNA-Bausteine ab, schreiben die Wissenschaftler um Margottin-Goguet. Damit bremst es die Vermehrung von HIV, denn das Virus findet nicht mehr genügend Material, um die eigene virale DNA zusammenzubauen.
Dieses Verfahren ist jedoch nur in solchen Zellen des Menschen sinnvoll, die sich nicht mehr teilen und daher auch nur wenige DNA-Bausteine benötigen. Die untersuchten Immunzellen gehören zu dieser Gruppe der "fertigen", ausdifferenzierten Zellen. Sie lähmen sich durch die Tätigkeit von SAMHD1 also nicht selbst, erklärt der Virologe Gramberg.

Immunzellen unter dem Mikroskop.
(Foto: picture alliance / dpa)
In den neuen Experimenten zeigte sich unter anderem, dass SAMHD1 den Gehalt der DNA-Bausteine in den untersuchten Zellen tatsächlich so weit herabsetzte, dass sich das Virus nicht mehr vermehren konnte. Dies sei womöglich ein Mechanismus, der gegen verschiedene Retroviren wirkt, ohne dass für jeden einzelnen Erreger ein besonderes Abwehrmolekül geschaffen werden muss, heißt es bei dem Team.
Versuche mit Affen zum Vergleich
Die Forscher führen noch weitere Belege für ihre These an. So gebe es HIV-Varianten, die von sich aus eine sehr große Konzentration von DNA-Bausteinen in der Wirtszelle benötigen, um ihre Erbsubstanz in DNA umschreiben zu können. Solche Varianten sind für die Tätigkeit von SAMHD1 auch besonders anfällig, notiert die Gruppe. Zugleich ist bekannt, dass sich Viren schneller vermehren, wenn man den Zellen mehr der einzelnen DNA-Bausteine verabreicht. Alle diese Beobachtungen stützen den beschriebenen Mechanismus.
Das Team weiß aber auch, dass die beim Affen grassierende Variante des Immunschwäche-Virus (SIV, simian immunodeficiency virus) selbst gegen SAMHD1 noch einen Pfeil im Köcher hat. Das Affen-Virus bringt dafür ein Protein namens Vpx mit in die Zelle. Dieses sorgt dann mit einem Trick wiederum dafür, dass SAMHD1 abgebaut wird. In ihrer Studie bildeten Margottin-Goguet und ihre Kollegen auch dies nach. Ergebnis: Der von Vpx ausgelöste Abbau von SAMHD1 führte dazu, dass die Zelle wieder infiziert werden kann.
HIV-2 infiziert weniger Menschen als HIV-1
Interessanterweise, so erklärt Gramberg weiter, sind zwei verschiedene humane Immundefizienz-Viren bekannt: HIV-1 und HIV-2. Die erste Variante ist jene, die sich in einer Pandemie über die ganze Welt verbreitet und viele Millionen Menschen getötet hat. Dabei besitzt diese Variante das Vpx-Protein gar nicht. HIV-2 hingegen infiziert viel weniger Menschen – obwohl es über Vpx verfügt. Der Forscher weist darauf hin, dass es im Moment noch unklar ist, warum HIV-1 im Gegensatz zu HIV-2 keine Vpx-ähnliche Funktion entwickelt hat – obwohl es dem Erreger doch eine effizientere Infektion seiner Zielzellen ermöglichen würde.
Der Forscher zitiert aber weitere Untersuchungen, die die These vom Abwehrmolekül SAMHD1 stützen. Sie zeigen, dass es eine Art molekulares Wettrüsten zwischen dem zellulären SAMHD1 und dem viralen Vpx gegeben habe. Dies berichten die Forschergruppen um Monsef Benkirane (Montepellier) und Micheal Emerman (Seattle) im Journal "Cell Host & Microbe". "Wir überprüfen, ob dieser Mechanismus nur gegen Lentiviren – dazu zählen HIV-1 und -2 – oder auch gegen andere Viren hilft", sagte Gramberg.
"Weitreichende Möglichkeiten"
Seine Kollegen spekulieren in "Nature", ob sich der von ihnen beschriebene Immun-Mechanismus für den Kampf gegen HIV einsetzen lässt. Womöglich ließe sich die Zahl der DNA-Bausteine auch mit Medikamenten beeinflussen. Die damit zusammenhängenden Möglichkeiten seien "potenziell weitreichend".
Gegen die Immunschwäche Aids gibt es keinen Impfstoff. Ein solcher zeichnet sich auch auf Jahre hinaus nicht ab. Medikamente können den Verlauf der unheilbaren Krankheit aber schwächen. Die Gesamtzahl der Ende 2010 weltweit Infizierten und Erkrankten schätzte das Aidsprogramm UNAIDS der Vereinten Nationen auf 34 Millionen (2001: 28,6 Millionen). Rund 68 Prozent von ihnen (22,9 Millionen) leben demnach in Afrika südlich der Sahara – einer Region, in der nur 12 Prozent der Weltbevölkerung leben. Auf das Gebiet entfallen auch 70 Prozent der Neuinfektionen.
Quelle: ntv.de, Thilo Resenhoeft, dpa