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Zahlenverständnis angeboren Rechnen ohne Wörter

Kann man zählen und rechnen, wenn man keine Zahlwörter kennt? Man kann. Menschen ist eine Vorstellung von exakten Zahlen und Mengen angeboren, berichten Forscher aus Großbritannien und Australien in den „Proceedings“ der US-Akademie der Wissenschaften („PNAS“). Wörter seien für den Umgang mit Zahlen hilfreich, aber nicht notwendig.

Brian Butterworth vom University College in London (Großbritannien) und seine Mitarbeiter hatten in ihrer Studie das Zahlenverständnis bei zwei Gruppen vier- bis siebenjähriger Kinder australischer Ureinwohner untersucht. In den jeweiligen Sprachen der Kinder gibt es nur wenige Zahlwörter, etwa „einfach“, „doppelt“ oder „mehr als drei“, aber keine konkreten Wörter für jede beliebige Zahlenmenge. Die Kinder mussten nun eine Reihe von Tests absolvieren. Ihr Abschneiden verglichen die Forscher dann mit jenem von englischsprachigen Ureinwohner-Kindern – diese verfügen über konkrete Zahlwörter.

Mach‘ es genauso

In einem der Tests nahm einer der Wissenschaftler zum Beispiel eine bestimmte Anzahl von Teilen aus einem Korb und legte sie auf einer vor ihm liegenden Matte ab. Nach ein paar Sekunden deckte er die Matte ab und forderte das Kind auf, die eigene Matte „genauso zu machen.“ Den Kindern gelang das quer durch alle Gruppen gleich gut. Auch die Kinder, die keine Zahlwörter kannten, erfassten die jeweilige Menge der von dem Wissenschaftler abgelegten Zähler und „zählte“ genauso viele Teile ab. In einem weiteren Versuch stellten die Forscher den Kindern einfache Rechenaufgaben. Sie legten dazu zunächst wie im vorherigen Test eine bestimmte Anzahl Zähler auf eine Matte und deckten diese dann ab.

Nach einigen Sekunden nahmen sie weitere Zähler aus dem Korb und schoben sie ebenfalls unter die Abdeckung. Die Kinder mussten nun die gesamten Zähler, die sich nun auf der Matte des Wissenschaftlers befanden, auf ihrer eigenen Matte nachbilden. Auch diese einfache Addition gelang den Kindern aller Gruppen gleich gut.

Insgesamt fanden die Forscher in keinem ihrer Versuche einen deutlichen Unterschied zwischen den verschiedenen Gruppen. Ältere Kinder schnitten in den Tests meist besser ab als jüngere und generell lösten die Kinder Aufgaben mit kleineren Mengen besser als mit größeren. Diesen Unterschied fanden die Forscher jedoch sowohl bei den Kindern, die Zahlwörter kennen als auch bei denen, deren Sprache keine Begriffe für exakte Mengen haben.

Die sehr abgeschieden und weitgehend ursprünglich lebenden Angehörigen des Pirah-Stammes im brasilianischen Regenwald machen hingegen bereits zwischen den Zahlen 4 und 5 keinen großen Unterschied mehr. Selbst 3 Striche, Nüsse oder Batterien werden allgemein als „viele“ bezeichnet und nicht näher beschrieben. Diesen im westlichen Kulturkreis völlig undenkbaren Umgang mit Zahlen hat Peter Gordon von der Columbia Universität in New York 2004 im Journal „Science“ beschrieben.

„1“, „2“ und „viele“

Die rund 200 in Familien von 10 bis 20 Köpfen lebenden Menschen haben nur einen äußerst eingeschränkten Wortschatz für Zahlen: „1“, „2“ und „viele“. In der Folge können die Waldbewohner nicht zwischen einem Bild mit 4 und einem mit 5 Fischen unterscheiden, berichtet Gordon, der diese Zählweise und ihre Konsequenzen bei mehreren Besuchen an Ort und Stelle erkundet hatte.

Die Pirah leben am Ufer des Maici-Flusses im Flachland von Brasilien. Sie lehnen es ab, ihren Lebensstil zu ändern, Kontakte mit der Außenwelt bleiben selten. Als Jäger und Sammler kommen die Ureinwohner offenbar seit jeher ohne ein aufwendiges Zahlsystem aus. Das Wort „hi“ (mit abfallender Stimme gesprochen) bedeutet „eins“ oder „etwa eins“, „ho“ (steigende Stimme) steht für „zwei“. Was darüber hinaus geht, wird mit „baagi“ oder „aibai“ bezeichnet – in beiden Fällen ist „viele“ gemeint, erklärt Gordon.

Quelle: ntv.de

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