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Unfruchtbare Menschen Reproduktionsmedizin hilft

Bei jedem sechsten deutschen Paar bleibt auch nach einem Jahr ungeschütztem Sex eine Schwangerschaft aus. Dann gelten die beiden als unfruchtbar. Ärzte können ihnen in vielen Fällen helfen. Meist wird die Eizelle künstlich befruchtet. Mitunter lässt sich ein drohender Fruchtbarkeitsverlust von vornherein verhindern.

Ärzte entnehmen zum Beispiel Eierstockgewebe einer Krebspatientin, die sich einer aggressiven Behandlung unterziehen muss, frieren es ein und verpflanzen es anschließend zurück. Mehrere Kinder sind auf diese Weise bereits zur Welt gekommen. Gentherapien zur Heilung von Unfruchtbarkeit sowie Stammzelltherapien am Ungeborenen sind jedoch noch Zukunftsmusik, aber durchaus Gegenstand der Forschung, wie das Journal "Nature Medicine" in einem Schwerpunkt zusammenfasst.

Bei Mann und Frau zu gleichen Teilen

Die Ursachen für Unfruchtbarkeit verteilen sich zu gleichen Teilen auf den Mann und die Frau, berichtet Jan-Steffen Krüssel, Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe an der Uniklinik Düsseldorf. Er ist zudem Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin und hat damit die Situation in ganz Deutschland im Blick. "Zu 40 Prozent liegt die Ursache bei der Frau, zu 40 Prozent beim Mann – und zu 20 Prozent bei beiden gemeinsam." Ganz sicher sei das höhere Alter vieler Frauen bei der ersten Schwangerschaft ein Problem, erläutert Krüssel.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes war eine Frau 2006 bei ihrer ersten Schwangerschaft etwa 30 Jahre alt. 1975 hingegen bekamen Frauen ihr erstes Kind mit knapp 25 (im Westen) und 22 Jahren (in der ehemaligen DDR). Bereits von 31 Jahren an ist die Fruchtbarkeit jeder zweiten Frau vermindert, zeigen etwa Untersuchungen am medizinischen Zentrum der Universität in Utrecht (Niederlande).

Mit zunehmendem Alter sinken die Chancen

Laut deutschem In-Vitro-Fertilisationsregister bleibt die Schwangerschaftsrate bis zum Alter von 32 Jahren noch relativ konstant, danach sinken die Chancen kontinuierlich. "Leider kommen die Frauen erst spät zu uns ans Zentrum für Reproduktionsmedizin, um sich helfen zu lassen", warnt Krüssel. Helfen kann er beispielsweise mit einer künstlichen Befruchtung. Jedoch sinken auch dabei mit zunehmendem Alter die Chancen:

Eine Frau unter 35 wird mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als zwei Dritteln (36 Prozent) nach einem Embryonentransfer schwanger. Ist sie älter als 35, sinkt die Wahrscheinlichkeit für den Erfolg auf etwas über ein Viertel (26 Prozent). Louise Brown, das erste Baby, das nach der Befruchtung im Reagenzglas zur Welt kam, wurde 1978 geboren. Inzwischen ist dieses Verfahren zur Routine geworden. Dem Register zufolge haben deutsche Ärzte 2007 mehr als 42 000 solcher Eingriffe vorgenommen.

5104 Kinder wurden daraufhin im vergangenen Jahr geboren. Bei der klassischen In-vitro-Fertilisation (IVF) erfolgt die Vereinigung von Spermium und Eizelle im Reagenzglas. Bei der intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) wird ein geeignetes Spermium direkt in die Eizelle gespritzt. Seit 1992 können so auch Männer Väter werden, deren Ejakulat gar keine Samenzellen enthält, schreiben Martin Matzuk und Dolores Lamb vom Baylor College für Medizin in Houston in dem Journal "Nature Medicine". In diesem Fall entnehmen Ärzte Spermien chirurgisch aus dem Hoden.

Schwierige Auswahl

Für ICSI suchen die Mediziner vorher die beweglichsten Spermien aus. Dies sei bislang das einzige Auswahlkriterium, erläutert Krüssel. Darüber hinaus lässt sich bisher kaum feststellen, welche Spermien und Eizellen für die Befruchtung besonders geeignet sind. Normalerweise würden daher auch alle reifen Eizellen befruchtet, die der Frau entnommen wurden, sagt der Arzt. "Eizellen und Spermien können wir nicht genetisch untersuchen, dabei würden wir sie zerstören."

Matzuk und Lamb bedauern, dass die Ärzte in ihrer täglichen Praxis nicht alles Wissen aus der Grundlagenforschung nutzten. Ein Fruchtbarkeitstest beim Mann laufe nur oberflächlich ab und beschränke sich oft darauf, das Vorhandensein von Samenzellen im Ejakulat zu prüfen. Bei der Frau untersuchen die Ärzte über Ultraschall vor allem die Eierstöcke, die Eileiter und die Gebärmutter auf Auffälligkeiten. Daneben kommen Hormonmessungen zum Einsatz.

Nach genetischen Ursachen für eine Unfruchtbarkeit würde hingegen nicht gefahndet, obwohl dies bereits vielfach möglich wäre, schreiben die beiden Mediziner. Wahrscheinlich sei das der Grund dafür, dass in einem Viertel der Fälle der Grund für die Unfruchtbarkeit unbekannt bleibe. Vielfach liegt die Ursache in den Erbanlagen. Nach Angaben der Forscher sind bereits mehrere hundert Gene identifiziert, deren Störung eine Unfruchtbarkeit zur Folge hat. Viele spielen eine Rolle bei der Entwicklung der Eierstöcke, der Hoden und vor allem der Spermien.

Ein Beispiel für eine genetisch bedingte Unfruchtbarkeit geht auf das Protein Aurora Kinase C zurück. Es koordiniert die Bewegung der Chromosomen während der Produktion der Spermien. Männer, bei denen das entsprechende Gen defekt ist, produzieren besonders große Spermien mit vier Schwänzen statt nur einem. "Für solche Männer ist ein Samenspender oder eine Adoption die einzige Alternative", schreibt Pierre Ray vom Universitätskrankenhaus in Grenoble (Frankreich) in dem Journal.

Quelle: ntv.de

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