Putzkolonne im Wattenmeer Schnecken schützen Seegras
13.11.2007, 17:32 UhrDie Erderwärmung bedroht die Seegraswiesen im Wattenmeer. Vor den Niederlanden und der niedersächsischen Nordseeküste registrieren die Wissenschaftler in vielen Gebieten einen dramatischen Rückgang. Ein wichtiger Grund sei die stärkere Strömung, die vom Klimawandel ausgelöst werde, schildert die Biologin Ragnhild Asmus vom Sylter Alfred-Wegener-Institut. Nur im nordfriesischen Wattenmeer gab es bisher kein Wiesensterben. Im Schutz der Inseln und Halligen wiegen sich vor Schleswig-Holsteins Küste auch heute noch dichte Seegraswiesen im Takt der Wellen. Für ein gutes Wachstum müssen die Pflanzen vor Wasserströmung und Wellenschlag geschützt sein, ergänzt Asmus. Ursprünglich hatten Wissenschaftler die Überdüngung der Meere als alleinigen Auslöser des Absterbens angesehen.
Seegraswiesen immer kleiner
Das Wattenmeer der Nordsee erstreckt sich über rund 450 Kilometer Länge vom dänischen Esbjerg im Norden bis zum niederländischen Den Helder im Westen. Das gesamte norddeutsche Wattenmeer steht seit 1991 als Biosphärenreservat der UNESCO unter internationalem Schutz. Bei ihren "Monitoring" genannten regelmäßigen Überwachungen entdeckten Biologen in den 90er Jahren, dass die Seegraswiesen entlang der Küsten immer kleiner wurden. "Nach langem Rätseln waren wir Wissenschaftler uns zunächst einig, dass zu viele Nährstoffe im Wattenmeer für das Absterben des Seegrases verantwortlich wären", sagt der Leiter des Alfred-Wegener-Instituts aus Sylt, Professor Karsten Reise. Die Überdüngung des Meeres ließ Mikroalgen wachsen, die sich auf den Blättern des Seegrases als flauschiger Pelz absetzten. "Die Pflanzen verfilzten. Ihre Photosynthese ging zurück, wurde unmöglich." Schließlich starben die Pflanzen.
Bestände vor Nordfriesland stabil
Nur vor Nordfriesland bleiben die Bestände mit rund 30 Quadratkilometern Fläche seit Jahren stabil. Der Grund: Hier wachsen fast alle Seegraswiesen auf den vor Wind und Wellen geschützten Seiten der kleinen Inseln. Wattschnecken weiden den Algenfilz von den Seegras-Blättern ab. Zwar gibt es diese "Putzkolonnen" überall im Wattenmeer. Doch an den ungeschützten Küsten der Niederlande und Niedersachsens sorgt der in den vergangenen 30 Jahren immer stärker werdende Westwind für mehr Seegang. Die Schnecken finden auf den stark schwankenden Seegrasblättern keinen Halt. "Sie purzeln von den Blättern, und die Mikroalgen können ungestört wachsen", sagt Reise. Auch könne die Wiese bei stärkerer Wasserströmung deutlich schlechter wachsen.
Kinderstube der Jungfische
Seegraswiesen gibt es mit Ausnahme der Antarktis auf der ganzen Welt. Sie sind wichtig, wertvolle Biotope – unter anderem "Kinderstube" der Jungfische. Sie sind laut Asmus jedoch weltweit durch Einleitung von Abwässern, Überdüngung oder Trübung des Wassers bedroht. "Wir müssen damit rechnen, dass durch küstenarchitektonische Maßnahmen und durch den Meeresspiegelanstieg auch mehr Strömung und hydrodynamische Kräfte wirken." Und Asmus warnt: "Die ganze Vielfalt des Lebens leidet, wenn die Seegraswiesen zurückgehen."
Seegras ist kein Gras
Trotz seines Namens ist das Seegras kein Gras, sondern gehört zu den wenigen Blütenpflanzen, die trotz ständiger Wasserbedeckung im Meer gedeihen, heißt es beim Alfred-Wegener-Institut. Das können sonst nur Algen. Im Wattenmeer gedeihen das Große Seegras (Zostera marina) sowie das Zwergseegras (Zostera noltii). Seegraswiesen erfüllen im Wattenmeer wichtige Funktionen. Das Wurzelgeflecht, das die Pflanze im Sediment verankert, stabilisiert den Boden und wirkt damit der Erosion entgegen. Fische wie Hering, Hornhecht und Stichling sowie andere Wattorganismen nutzen die Seegraswiesen als Lebensraum, Versteck vor Räubern, Laichplatz und "Kinderstube". Früher wurden große Mengen angespültes Seegras zum Füllen von "Seegrasmatratzen" oder als Füll- und Isolier- und Dachmaterial beim Hausbau sowie als Dünger genutzt. Die im Herbst durchziehenden Ringelgänse und Pfeifenten fressen von den Blättern.
Quelle: ntv.de