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Rund, glatt und lupenrein Siliziumkugel statt Urkilo

Runder und glatter geht es kaum noch: Die silbrig schimmernde Kugel ist so perfekt, dass sie nirgends mehr als rund 50 millionstel Millimeter (Nanometer) von der idealen Form abweicht. Umgerechnet auf die Erde würde das bedeuten, dass sich kein Hügel auf dem Globus mehr als 5 Meter erhebt. Außerdem ist die rund zehn Zentimeter durchmessende Kugeln fast lupenrein: Sie besteht zu 99,99 Prozent aus dem chemischen Element Silizium-28. Mit der vollkommensten Siliziumkugel der Welt wollen Wissenschaftler der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig das Kilogramm neu definieren.

"Das bisherige Referenzobjekt ist nicht mehr genau genug", sagt der zuständige Fachbereichsleiter Peter Becker. Das 1889 aus einer Platin-Legierung hergestellte, heute in einem Tresor nahe Paris lagernde Urkilogramm verliert kaum merklich, aber messbar an Gewicht. Die Gründe sind nicht erforscht. "Dazu müsste man winzige Mengen des Materials entnehmen, und dann ist es endgültig nicht mehr das Original", erläuterte Fachgruppenleiter Arnold Nicolaus.

Hier kommt die Silizium-Kugel ins Spiel. Die Forscher wollen deren Atome mit verschiedenen Messverfahren möglichst genau auszählen. "Es werden tausende von Messungen sein, und sie müssen sehr exakt werden", erläutert die PTB. Das Resultat wird Teil einer mathematischen Formel, die schließlich zur Neudefinition des Kilogramms beitragen soll. Am Freitag traf die rund eine Million Euro teure Kugel in Braunschweig ein. "So lupenrein, glatt und rund wie keine", schwärmen die Physiker.

Die Herstellung war kompliziert. Einrichtungen in St. Petersburg, Berlin und Nischni Nowgorod waren daran beteiligt. Bei dem fünf Jahre dauernden Prozess entstanden zwei identische Kugeln aus einem fünf Kilogramm schweren sogenannten Silizium-Einkristall. In Australien bekamen sie ihren letzten Oberflächenschliff. Der perfekte Spiegelglanz wird für die anstehenden Messungen mit optischen Instrumenten benötigt. Insgesamt zwei Millionen Euro kostete die Herstellung, einschließlich aller nötigen Investitionen in die Infrastruktur der Herstellungsinstitute. Eine Kugel ging nach Braunschweig, die andere zu Vergleichsmessungen nach Japan.

Die Idee: Das Team um Peter Becker will die Kilogramm-Definition auf eine unveränderliche Naturkonstante zurückführen, die sogenannte Avogadro-Zahl, die - im Gegensatz zu einem Prototyp - weder herunterfallen noch sich auf andere Art verändern kann. Das Vorhaben wurde daher Avogadro-Projekt zur Neubestimmung des Kilogramms getauft. Lorenzo Avogadro (1776-1856) war italienischer Physiker und Chemiker. Die nach ihm benannte Konstante gibt die Anzahl der Atome oder Moleküle an, die in einem Mol eines beliebigen Stoffs enthalten sind.

Das Avogadro-Projekt soll in zwei Jahren abgeschlossen sein. Die Zeit drängt, denn unter anderem in der Schweiz und in Großbritannien arbeiten Forscherteams mit anderen Methoden am gleichen Problem, erklärt Becker: "Wir hoffen natürlich, dass sich unsere Definition des Kilogramms durchsetzt. Aber entscheiden werden letztlich die Politiker." Doch auch wenn der Sieger des Wettstreits eines Tages ermittelt ist, werde es keine praktischen Folgen für den Alltag gaben, versichert Becker: "Unsere Arbeit dient nur präziseren Messungen. Niemand muss befürchten, dass der Inhalt seiner Einkaufstasche plötzlich schwerer wird."

Willi Kramer, dpa

Quelle: ntv.de

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