Ein Glaubenskrieg Sonne: gut oder schlecht?
10.08.2007, 10:39 UhrSeit Jahrzehnten raten Dermatologen dazu, die Sonne zu meiden oder zumindest die Haut stets mit Sonnencreme vor der UV-Strahlung zu schützen. Diese Meinung gerät zunehmend ins Wanken. Zwar kann Sonnenlicht Hautkrebs verursachen. Aber andererseits ist die UVB-Strahlung die Hauptquelle für die Versorgung des Körpers mit Vitamin D. Immer mehr Studien zeigen, wie wichtig dieser Stoff ist.
Angesichts der widersprüchlichen Ratschläge beklagt der Dermatologe Professor Erhard Hölzle, Leiter der Hautklinik Oldenburg, eine ideologisch gefärbte Debatte. "Es ist ein Glaubenskrieg", sagt Hölzle. "Es wird nicht wirklich offen diskutiert." Als Folge konstatiert der Homburger Dermatologe Professor Jörg Reichrath von der Universität des Saarlandes eine starke Verunsicherung in der Bevölkerung.
Unzureichende Kenntnis über Vitamin D
Die sonnenfeindlichen Empfehlungen basieren laut Reichrath auf veralteten Daten. "Vor einigen Jahrzehnten hat man nicht gewusst, wie wichtig eine ausreichende Vitamin-D-Versorgung ist", sagt der Mediziner. "Daher hat man die Schwarz-weiß-Botschaft Sonne ist schlecht' vermittelt. Das kann man so nicht stehen lassen."
Schon lange wissen Mediziner, dass Vitamin D am Kalziumstoffwechsel beteiligt ist und damit maßgeblich zur Knochendichte beiträgt. Eine Unterversorgung kann Osteoporose begünstigen und zu Rachitis bei Kindern oder Osteomalazie bei Erwachsenen führen.
Aber erst seit den 90er Jahren zeichnet sich immer deutlicher ab, dass Vitamin D viele weitere Funktionen im Körper erfüllt. Michael Holick von der Universität Boston streitet seit langem für die Rehabilitation des Sonnenlichts. Passend zur sonnigen Jahreszeit stellte er kürzlich im "New England Journal of Medicine (NEJM)" den Stand seiner Forschung vor. Demnach erhöht eine Unterversorgung mit Vitamin D das Risiko für etliche Beschwerden, darunter Herzkreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck, Autoimmun-Leiden, Infektionskrankheiten, Diabetes, Morbus Crohn und zahlreiche Krebserkrankungen etwa von Brust, Darm und Prostata.
Vitamin D schützt vor Darmtumoren
Für manche dieser Krankheiten mögen die Indizien auf wackligen Beinen stehen. Aber für viele sei die Datenlage ausreichend, sagt Reichrath. Beispiel Darmkrebs: Sowohl epidemiologische Studien als auch Tierversuche und molekularbiologische Untersuchungen zeigen demnach, dass Vitamin D vor Darmtumoren schützt. "Das passt alles gut zusammen", betont Reichrath und vergleicht die Studienlage mit einem Mosaik: "Man kann ein Steinchen davon anzweifeln, aber insgesamt ist die Datenlage sehr überzeugend."
Sollte dies zutreffen, so müsste ein weiteres Phänomen Gesundheitspolitiker aufhorchen lassen. Holick beklagt in dem Buch "Schützendes Sonnenlicht" für weite Teile der westlichen Welt eine Vitamin-D-Unterversorgung "von epidemischen Ausmaßen". Dies gelte noch stärker für Europa, wo im Gegensatz zu den USA nur wenige Lebensmittel mit dem Stoff angereichert werden.
60 Prozent der Bevölkerung unterversorgt
Eine Studie des Robert-Koch-Instituts (RKI), erschienen im "European Journal of Clinical Nutrition", stützt diese Ansicht: Demnach ist ein ausgesprochener Mangel zwar eher selten. Aber knapp 60 Prozent der Bundesbürger haben zu wenig Vitamin D im Blut. Besonders schlecht ist die Versorgung von Frauen zwischen 65 und 79 Jahren: Drei von vier Frauen dieses Alters hatten selbst in der sonnigen Jahreszeit zu geringe Werte.
Noch problematischer ist die Lage in der kalten Jahreszeit: "Im Winter ist eine ausreichende Aufnahme durch Sonnenlicht schwierig", sagt Birte Hintzpeter vom RKI. "In dieser Jahreszeit ist der Anteil der UVB-Strahlung zu gering." Von Solarien raten Experten ab, denn Sonnenbänke senden überwiegend UVA-Strahlen aus. Für eine gesicherte Vitamin-D-Produktion würde die Haut einer extremen UVA-Belastung ausgesetzt. Auch mit Lebensmitteln wie etwa fettigem Fisch ist es schwierig, den Bedarf zu decken. Und bei Vitamin-D-Präparaten raten Mediziner zu Vorsicht: In großen Mengen können sie den Körper schädigen.
Täglich zehn Minuten in die Sonne
Damit der Organismus auch im Winter versorgt ist, rät Reichrath, den speicherfähigen Stoff im Sommer ausreichend zu tanken. Dafür genügt laut Hintzpeter schon ein moderater Umgang mit der Sonne. Wer im Sommer Gesicht und Arme täglich 10 bis 15 Minuten der Sonne aussetze, sammle auch für die Wintermonate genügend Vorräte. Wichtig sei aber, während dieser Minuten die UV-Strahlung nicht durch Sonnencreme von der Haut fernzuhalten. Auch Reichrath rät - ebenso wie Holick - nur zu mäßiger Sonnenexposition: "Man sollte keinesfalls einen Sonnenbrand riskieren. Stattdessen nicht so lange und dafür häufiger in die Sonne gehen." Hölzle stimmt zu: "Ein wenig Sonne ist gut, aber viel ist gefährlich."
Quelle: ntv.de