Lendenschurz und Lianen "Steinzeitstamm" war doch keiner
20.10.2009, 10:08 UhrDas Bild des kleinen Lobo ging um die Welt: Mit wilder Mähne und nackt bis auf einen Lendenschurz schwingt er sich an einer Liane durch den Regenwald. Die Entdeckung des Jungen und seines gut 20-köpfigen Clans im philippinischen Urwald galt Anfang der 70er Jahre als Sensation. Als angeblich letzte Vertreter der Steinzeitmenschen erregten die Stammesmitglieder weltweit Aufsehen.
Heute trägt Lobo Bilangan eine ausgeblichene Trainingsjacke über seinem schmächtigen Oberkörper, raucht eine Zigarette nach der anderen und isst Sardinen aus der Dose. Er ist einer von Hunderten armen Bauern auf der Insel Mindanao. Er rodet Wald, um Mais anzubauen und seine drei Frauen und die zehn Kinder zu ernähren. Lobos Leben hat nichts mehr mit den Fotos der Tasaday gemein, jener Höhlenmenschen, die mit Stein- und Bambuswerkzeugen hantierten.
"Aber ich bin ein wirklicher Tasaday", sagt der einstige Titeljunge der Zeitschrift "National Geographic" und widerspricht Verdächtigungen, dass die Geschichte der angeblichen Steinzeitmenschen ein einziger großer Betrug war. Manuel Elizalde, ein Freund des damaligen Diktators Ferdinand Marcos, berichtete der Welt 1971 von dem sanftmütigen Stamm, in dessen Sprache es keine Wörter für "Krieg", "Waffen" und "Feind" gebe. Marcos erklärte daraufhin ein 19.000 Hektar großes Gebiet rund um die Wohnhöhlen zum Schutzgebiet. Vier Monate nach Elizaldes angeblicher Entdeckung begann eine Rebellion separatistischer Rebellen auf Mindanao, Marcos verhängte das Kriegsrecht und Forschern blieb der Zugang zu den Höhlen verwehrt.
Eine Erfindung des Diktators
Bald schon wurden Zweifel an der Authentizität der angeblich so friedlichen Wilden laut. Marcos und Elizalde hätten Dorfbewohner bestochen, als Steinzeitmenschen zu posieren, um die Weltöffentlichkeit von ihrer brutalen Herrschaft abzulenken, lautete der Vorwurf.
"Die so genannten Tasaday waren in Wahrheit Ubo", sagt der Politiker und Journalist Salvador Ramos aus der nahegelegenen Stadt T'boli, der intensiven Kontakt zu der Gruppe hatte. Ausländische und philippinische Forscher, die nach der Flucht Marcos 1986 erstmals wieder die Höhlen besuchen konnten, fanden sie verlassen, die Menschen in der Gegend lebten in gewöhnlichen Häusern und Dörfern. Anthropologen kamen zu dem Schluss, die Tasaday seien eine Erfindung Elizaldes.
Aber Maman Udelan, deren Mutter in den 70ern als eine halbnackte Höhlenfrau porträtiert wurde, beteuert noch heute, dass ihre Eltern damals tatsächlich so lebten. Sie hätten keine Landwirtschaft betrieben und sich ausschließlich von den Früchten des Regenwaldes ernährt. "Sie wussten auch nicht, dass es in Blit noch andere Menschen gibt", sagt Maman und verweist auf die Gemeinden auf der anderen Seite des Berges.
Auch Mafalo Dudim, der damals von Elizalde als Übersetzer engagiert wurde, hält an der Geschichte der Steinzeitmenschen fest. Er habe selbst geholfen, einen Hubschrauberlandeplatz in der Nähe der Höhlen zu bauen, über den die ausländischen Journalisten eingeflogen wurden. Auch er habe die Sprache der Tasaday nicht gesprochen, und sich lediglich mit Ähnlichkeiten zu dem in der Gegend gesprochenen Manobo-Dialekt beholfen.
Der Regenwald ist verschwunden
Knapp vier Jahrzehnte später fällt es Besuchern schwer, die Geschichte der Höhlenmenschen zu glauben, die keinen Kontakt zur Außenwelt gehabt haben sollen. Von den Höhlen sind es nur zwei Stunden Fußmarsch in die Gemeinden der Manobo, Ubo und anderer Minderheiten. Außerdem hätten bewaffnete Moslems und christliche Siedler Anfang der 70er Jahre regelmäßig in der Gegend der Tasaday die Hütten ihrer jeweiligen Feinde geplündert, erzählen alte Dorfbewohner.
Der Regenwald um die Ortschaft Blit ist heute fast vollständig verschwunden, Maisfelder bedecken die Berghänge. Lastpferde schleppen das Getreide über schlammige Pfade in die Dörfer. Rauchschwaden zeigen an, wo neues Land für die wachsende Bevölkerung gerodet wird.
Die Landfrage interessiert die Menschen viel mehr als die nach der Geschichte. "Wir warten immer noch darauf, dass uns die Regierung die Besitzrechte für unser Land gibt", sagt der Bauer Klil Dudim, Mafalos jüngerer Halbbruder. Als die Tasaday im Westen Schlagzeilen machten, war er gerade erst geboren. Mafalo aber bleibt bei seiner Version der Steinzeitgeschichte und hat auch eine Erklärung dafür, warum Forscher später nur verlassene Höhlen fanden. Die Regierung habe dem Stamm befohlen, in Hütten umzuziehen, sagt er. Wann genau das gewesen sei, wisse er nicht. "Hier geben wir den Jahren keine Namen."
Quelle: ntv.de, Cecil Morella, AFP