Wissen

Pullover aus Federn Suche nach neuen Fasern

Ein Anzug aus Hühnerfedern? Was soll das sein, die Idee eines schrägen Designers? Nein, weit gefehlt, an dem neuen Stoff wird tatsächlich gearbeitet. Die zunehmende Weltbevölkerung will eingekleidet werden, zudem braucht der Mensch technische Fasern für Filter, Autobahnböschungen und zum Dämmen seiner Häuser. Zugleich schwindet unablässig das Öl, aus dem sich die weit verbreiteten Kunstfasern kochen lassen, oder es wird zu teuer. Daher richten sich die Blicke vieler Chemiker auf neue, natürliche Quellen für Fasern.

Dazu zählen Hühnerfedern, von denen allein im Jahr 2007 fünf Millionen Tonnen anfielen, weil der Mensch 65 Millionen Tonnen Geflügel aß. Das berichten Chemiker um Andrew Poole von der Australischen Wissenschaftsagentur CSIRO (Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation). Die Gruppe hat fürs Journal "Biomacromolecules" zusammengefasst, wie weit die Wissenschaft auf dem Weg zur Produktion neuer Fasern aus nachwachsenden Rohstoffen ist.

"Diese Idee ist nicht neu, und sie kommt immer dann auf, wenn die Ressourcen knapp werden", sagt Professor Crisan Popescu vom Institut für Wollforschung an der Uni Aachen (DWI an der RWTH Aachen e.V.). Es hat sich auf die textile Materialforschung und Oberflächenveredlung spezialisiert. Während des Mittelalters etwa wurden aus der Familie der Nesselpflanzen Fasern für Kleider gewonnen, sagt Popescu. Dieses Wissen blieb danach lange ungenutzt, bevor man sich in Krisenzeiten wie dem Ersten Weltkrieg wieder darauf besann. Derzeit, so ergänzt er, benötige - statistisch gesehen - jeder Mensch rund neun Kilogramm Fasern jährlich.

Proteine aus Federn für neue Fasern

"Jetzt stehen neue Krisen an", sagt Popescu etwa mit Blick auf die steigende Bevölkerungszahl allgemein und den Anbau von Baumwolle im Speziellen. Diese gelte merkwürdigerweise noch immer als "Naturfaser", obwohl sie durch hohen Einsatz von Dünger und Wasser sowie Pflanzen- und Insektengift viel Chemie benötige. Auch ließen sich die Anbauflächen nicht beliebig ausdehnen, weil sie mit der Lebensmittelversorgung konkurrierten. Organisch angebaute Baumwolle sei kein Ersatz, weil diese für den gleichen Ertrag viel mehr Fläche einnehme. "Baumwolle ist also keine Lösung", sagt der Chemiker und lenkt den Blick auf die Federn.

Statt die 5 Millionen Tonnen Federn wie bisher zum großen Teil auf die Deponie zu fahren, will Popescu die darin enthaltenen Proteine zu neuen Fasern verknüpfen. Dafür hat er mit seiner Gruppe in Experimenten Federn in Wasser unter hohem Druck zerkocht und beobachtet, wie sich beim Abkühlen daraus von selbst feine, nadelartige Strukturen zusammenlagern. Über diese Selbstorganisation berichtete das Team ebenfalls in "Biomacromolecules".

Beim Zerkochen werden die Proteine in kleinere Bausteine, so genannte Oligopeptide gespalten (Oligopeptide bestehen aus Aminosäuren), die sich zu den Kristallen zusammenlagern. Dieser effektive und umweltfreundliche Weg führe zum Grundmaterial neuer Polymere. Wie andere Wissenschaftler experimentiert Popescu damit, Federprotein und Kunststoffe zu mischen und daraus neue Materialien zu schaffen. Die Festigkeit der Federfasern ist jener von Wolle ähnlich. Auch gibt es bereits verrottende Verpackungen aus dem umgestalteten Federkeratin. "Die Autoindustrie ist ein besonders großes Feld für solche Fasern.

" Versuche mit Soja - "Lanital", "Fibrolan", "Ardil" und "Vicara"

In den 1930er und 50er Jahren gab es viele weitere "künstliche natürliche" Fasern. Zum Einsatz kamen Casein aus Milch, etwa für "Lanital" und "Fibrolan". In Deutschland bekannt war Galalith, das aus Casein und Formaldehyd entstand. Der so genannte Milchstein wurde unter anderem zu Schmuck und Knöpfen verarbeitet, aber auch zu Isolatoren. Erdnüsse wurden zu "Ardil", Maisproteine zu "Vicara", und Ford versuchte sich an Soja-Fasern. Auch Mischungen aus den Proteinen von Wolle und Casein wurden vor rund einem halben Jahrhundert bereits erprobt.

Ihnen allen war gemein, dass sie bei Feuchtigkeit ihre Stabilität verloren, weil sich Wassermoleküle zwischen die Proteinketten drängten und deren Bindkräfte untereinander schwächten. Dieses Problem mit dem Wasser beschäftigt die Chemiker bis heute, sagt Popescu. "Viele Fasern quellen bei Feuchtigkeit, daher lassen sich Feuchtigkeits-Messgeräte aus Pferdehaaren bauen, die sind bei einigen Firmen teils heute noch im Einsatz." Bei anderen Anwendungen ist dieser Einfluss der Feuchtigkeit hingegen unerwünscht. Ohnehin machte die Ende der 50er Jahre aufkommende Kunststoff-Chemie mit ihren stabilen Fasern aus Kohlenwasserstoffen der Arbeit an natürlichen Polymeren schnell ein Ende. Heute werden, so berichtet Poole, jährlich 38 Millionen Tonnen Fasern künstlich hergestellt.

Vor allem Federkeratin und das Weizenprotein Gluten scheinen ihm als geeignete Ausgangsstoffe für neue, nachwachsende Fasern. Die müssen im Falle der Kleidung eine lange Liste gewünschter Eigenschaften erfüllen: färbbar, abriebfest, warm, schwer entflammbar, angenehm zu tragen, wasserfest, leicht zu trocknen und so weiter.

Popescu betont, dass nur der Laie bei Fasern zuerst an Pullover, Anzüge oder T-Shirts denke. Ein Großteil der Produktion sei aber für technische Fasern gedacht, etwa, um daraus Dämmstoffe, Filter, Befestigungen für Autobahnböschungen, andere Geotextilien oder Ähnliches zu machen. Milchsäure lässt sich ebenfalls polymerisieren, der so entstehende, bei Hitze formbare Kunststoff ist biologisch abbaubar. In den USA stammt er vor allem aus Maisstärke, anderenorts vielfach aus Zuckerrohr.

Großteil der Produktion für technische Fasern

Um die optischen und mechanischen Eigenschaften neuer Polymere zu verändern, experimentieren viele Wissenschaftler mit Nanoteilchen. Die nur wenige millionstel Millimeter großen Substanzen können sich an und zwischen die Fasern lagern, etwa, um die Streckfähigkeit zu verbessern. Toyota habe ein solches Nano-Kompositmaterial aus der Verstärkung von Nylon mit feinstverteiltem Lehm erhalten, schreibt Poole.

Andere Forscher verdoppelten die Reißfestigkeit eines Soja-Proteins durch das Hinzufügen eines 20-Prozent-Anteils von nanofeinem Lehm. In weiteren Experimenten wird Polymeren der Stoff Lignin zugesetzt, der natürlicherweise die Zellulosefasern im Holz verklebt. Auch Kohlenstoff-Nanoröhrchen verstärken bereits natürliche Polymere, aber diese experimentelle Technik ist sehr teuer. Alle diese Versuche zeigen, dass sich in den vergangenen gut 60 Jahren viele neue Ansatzpunkte für die Produktion "natürlicher Kunststoffe" ergeben haben.

"In den 1930er bis 1950er Jahren wählte man die Proteine (für die Polymere) mehr nach ihrem Vorhandensein dann nach ihren Eigenschaften aus. Heute wird ein ähnlicher Kompromiss zwischen Umweltverträglichkeit, Verfügbarkeit und den Eigenschaften der Fasern wahrscheinlich", schreiben die australischen Forscher. Zudem steige die Nachfrage, außerdem verlangten viele Kunden nach umweltfreundlichen Produkten.

Quelle: ntv.de, Thilo Resenhoeft, dpa

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