Apotheker sollen aufmerksamer sein Tablettensucht vorbeugen
18.06.2008, 17:48 UhrWer sich regelmäßig Beruhigungsmittel oder rezeptfreie Medikamente mit Suchtpotenzial kauft, könnte künftig in seiner Apotheke mit Nachfragen zu rechnen haben. Zum Schutz der Patienten würden die Apotheker ab sofort dem Missbrauch und der Abhängigkeit von Medikamenten mehr Aufmerksamkeit widmen, kündigte die Bundesapothekerkammer bei einem Symposium in Berlin an.
Sie legte dazu einen Leitfaden vor, der in den kommenden Wochen an die Apotheker verteilt werden soll. Bundesweit sind geschätzte 1,4 bis 1,5 Millionen Menschen abhängig von Medikamenten, meist von Beruhigungsmitteln. Hinzu kommt der teils unabsichtliche Missbrauch von rezeptfreien Präparaten wie Nasentropfen oder Abführmitteln.
Anzeichen von Sucht
Dem Leitfaden zufolge gilt jemand als abhängig von einem psychoaktiven Stoff wie den in Beruhigungsmitteln enthaltenen Benzodiazepinen, wenn er einen starken Konsumwunsch verspürt, beim Absetzen unter Entzugserscheinungen leidet und soziale und berufliche Aktivitäten vernachlässigt. Dieser Sucht gehe in der Regel ein Missbrauch voraus, der im Unterschied zur Abhängigkeit aber auch bei Medikamenten ohne so genannte psychotrope Wirkung vorkommen könne.
Einen "kritischen Arzneimittelkonsum" könnten Apotheker unter anderem an der Häufigkeit der Nachfrage und den gewünschten Mengen erkennen, heißt es im Leitfaden der Bundesapothekerkammer weiter. Bei verschreibungspflichtigen Medikamenten seien Rezepte verschiedener Ärzte für denselben Patienten oder das Verschreiben eines "kritischen Arzneimittels" auf Privatrezept weitere Hinweise.
"Apotheken-Hopping"
Aber Medikamentensüchtige griffen auch zu "Tricks" - wie der Vorgabe, ein Rezept verloren zu haben, der Fälschung von Rezepten oder der Reklamation angeblich unvollständiger Packungen nach vorheriger teilweiser Entnahme. Auch "Apotheken-Hopping" erschwere es, Betroffene zu erkennen, sagte ein Sprecher.
Beim Verdacht auf den Missbrauch von Medikamenten oder Sucht ist laut Leitfaden die Information aller Beteiligten ein "wichtiger Schritt". Hier seien Apotheker und ihre Mitarbeiter als Berater gefragt, um Patienten die Risiken und Alternativen darzulegen oder auch Hilfsangebote zu nennen. Ist eine Anwendung der Arznei mit gesundheitsgefährdenden Folgen zu befürchten, können die Apotheken demnach die Abgabe sogar verweigern. Indem sie Missbrauchsfälle dokumentierten und an die Arzneimittelkommission meldeten, könnten sie zudem zur frühzeitigen Erkennung von Abhängigkeits- oder Missbrauchsrisiken bestimmter Medikamente beitragen.
Verschreibungen müssen sorgfältiger sein
Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing (SPD), befürwortete eine enge Kooperation von Apothekern und Hausärzten und forderte bereits bei der Verschreibung psychoaktiver Medikamente eine "besondere Sorgfalt" nach dem Grundsatz "weniger ist mehr". Offenbar erfolgten viele Verschreibungen "nicht zur Behandlung akuter medizinischer Probleme", sondern "faktisch zur langfristigen Suchtunterhaltung und zur Vermeidung von Entzugserscheinungen".
Die rezeptfreie Abgabe einiger psychotroper Medikamente sei ebenfalls problematisch, weil sich die Einnahme der ärztlichen Kontrolle entziehe. Insofern sei aus suchtpräventiver Sicht auch die Online-Bestellung von Arzneimitteln ohne angemessene Kontrolle und Beratung ein "großes Risiko".
Laut Bätzing sind 70 Prozent der Medikamentenabhängigen in Deutschland weiblich. Nicht zu Unrecht sei von der "stillen, heimlichen Sucht von Frauen" die Rede, denn die Betroffenen fielen nur selten "aus der Rolle" und blieben im Alltag meist lange unauffällig.
Quelle: ntv.de