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Ruinenstadt in Saudi-Arabien Tayma wird ausgegraben

Die schon in der Bibel erwähnte Oasenstadt Tayma in Saudi-Arabien ist auf den meisten Karten des islamischen Königreiches nicht zu finden. Dabei war die Kleinstadt, die heute 80.000 Dattelpalmen und etwa 20.000 Einwohner zählt, einst die Residenz des letzten babylonischen Königs Nabonid (555-539 v.Chr.). Seinen Palast zu finden, das wäre die Krönung der Arbeit des deutschen Archäologenteams, das hier im Nordwesten Arabiens seit 2004 die Spuren der verschiedenen Zivilisationen ausgräbt, die diesen Ort an der Weihrauchstraße einst geprägt hatten.

Das vom Deutschen Archäologischen Institut (DAI) entsandte Team ist in dem karg bestückten, kastenförmigen kleinen Museum der Stadt untergebracht. Wegen des Risikos von Angriffen islamistischer Terroristen, werden die Archäologen auf Schritt und Tritt begleitet. Mit Sprengstoffanschlägen der El Kaida rechnen Sicherheitsexperten hier zwar eher nicht. Doch "spontane Hass-Attacken" wie im vergangenen Jahr, als Extremisten in der Nähe der 140 Kilometer von Tayma entfernten Nabatäer-Ruine Madain Salih vier Franzosen erschossen hatten, halten sie für möglich.

Dass König Nabonid, der Babylonien schließlich an die persischen Eroberer verlor, auf dem Gebiet des heutigen Saudi-Arabien rund zehn Jahre seiner Herrschaftszeit verbracht hat, weiß man aus mehreren schriftlichen Quellen. Darin heißt es, der babylonische Herrscher habe den Fürsten von Tayma getötet und dessen Vieh geschlachtet. Doch er unterwarf die Einwohner der Stadt nicht nur, sondern ließ sich dauerhaft bei ihnen nieder - ein Vorgang, der einmalig ist in der Geschichte der Region. Denn andere Herrscher verlegten zwar auch, wenn sie einen Bruch mit dem alten Kult und einen Neuanfang wollten, ihre Residenz. Doch sie zogen nicht, wie der "Aussteiger" Nabonid außerhalb des Reiches, sondern bauten innerhalb ihres Reiches eine neue Stadt, so wie etwa Pharao Echnaton in Amarna.

Bis heute ist unklar, was König Nabonid, der die einflussreiche Priesterschaft des babylonischen Reichsgottes Marduk durch seinen Umzug nach Tayma und durch seinen Kult für den Mondgott Sin verärgerte, dazu bewegt hat, sich vorübergehend hier niederzulassen. Die von den Zeitgenossen des Nabonid verfasste Propaganda, wonach der König wegen eines Traumes oder einer merkwürdigen Krankheit Mesopotamien in Richtung Südwesten verlassen haben soll, betrachten die Historiker und Archäologen mit Skepsis. "Eine logische Erklärung wäre, dass er sich viel davon versprochen hat, durch die Eroberung von Tayma die Kontrolle über eine wichtige Handelsroute zu gewinnen", erklärt der Grabungsleiter in Taima, Arnulf Hausleiter. Dann damals kamen die Kamelkarawanen durch Tayma, die mit dem als Arznei und Duftstoff begehrte Weihrauch aus Südarabien beladen waren, und die auf ihrem Rückweg aus dem Norden andere Luxusgüter mitbrachten.

Das erste schriftliche Zeugnis, in dem die rund 250 Kilometer südöstlich der Stadt Tabuk gelegene Palmenoase namentlich erwähnt wurde, ist denn auch der Bericht eines assyrischen Stadthalters aus dem 8. Jahrhundert v. Chr.. In dem Keilschrift-Text, der in den 90er Jahren am mittleren Euphrat gefunden wurde, brüstet sich ein gewisser Ninurta-kudduri-usur damit, eine Karawane mit 200 Kamelen aus "Tayma und Saba" überfallen und ausgeraubt zu haben.

An die Assyrer mussten die Bewohner von Tayma, wo sich vermutlich gegen Ende des 3. Jahrtausends v. Chr. erstmals Menschen niedergelassen hatten, auch eine Zeit lang Tribut entrichten. Nach der Episode mit dem letzten babylonischen König sollen sich auch die Nabatäer sowie Rom und Byzanz für die Oasenstadt mit der 15 Kilometer langen Stadtmauer interessiert haben. Im 5. Jahrhundert n. Chr. lebte hier eine jüdische Gemeinde. Zu ihr gehörte auch der bekannte arabisch-jüdische Dichter Samauel bin Adija. Im Zuge der Islamisierung der Arabischen Halbinsel flohen die Juden schließlich, während der Herrschaftszeit des Kalifen Omar Ibn Khattab, auch aus Tayma. Spätestens im 10. Jahrhundert wurde der im Zentrum des alten Tayma liegende, 520 Quadratmeter große Tempel, der wahrscheinlich einem Gott namens Salm Hgm geweiht war, zerstört - vermutlich von frommen Muslimen, denen dieser Ort des "Götzendienstes" ein Dorn im Auge war.

Noch heute sind die Menschen von Tayma stolz auf ihre islamisch- puritanische Traditionen. Sie orientieren sich in ihrem Lebensstil eher an der zentralen Nadschd-Region, aus der auch die Herrscherfamilie der Ibn Saud stammt und nicht etwa an der weltoffeneren Art der Menschen aus der westlichen Hedschas-Region, aus der die Vorfahren des jordanischen Königs Abdullah stammen. Frauen sieht man in Tayma fast nie alleine auf der Straße. Sie sind immer komplett verhüllt in Begleitung eines männlichen Verwandten unterwegs.

Ein Teil des für die Archäologen abgezäunten Grabungsareals grenzt direkt an die neue Stadt Tayma an, die unterhalb des Ruinenhügels liegt. Doch die Kontakte zwischen den pro Grabungskampagne bis zu 30 ausländischen Forschern und den Einheimischen beschränkt sich auf offizielle Kontakte mit der Antikenverwaltung und der Polizei. Die Verständigung mit den rund 60 Arbeitern, die bei der Grabung und bei der Vermessung des Geländes zur Hand gehen, läuft mit reduziertem Vokabular auf Arabisch. Die Arbeiter sind Tagelöhner, die größtenteils aus Ägypten und Pakistan stammen.

Im grellen Sonnenlicht legen zwei Pakistaner unter Aufsicht des italienischen Archäologen Andrea Intilia auf dem Friedhof der antiken Stadt ein Grab frei. Doch bis auf einige menschliche Knochen finden sie an diesem kühlen Frühlingstag nichts in der ovalen Grabkammer, die hier einst in den Fels gehauen wurde. "Hier waren Grabräuber am Werk, die systematisch alles aufgebuddelt haben", erklärt Intilia. "Wenn ich sehe, dass die Deckplatte des Grabes nicht richtig liegt, dann weiß ich schon, dass ich höchstens ein paar Scherben erwarten kann, die für die Räuber nicht interessant waren."

Außer den Gräbern und der Tempelruine, in der die Überreste von zwei steinernen Sphinx-Figuren, Wasserbecken, sowie Reste von Pfeilern und Säulen gefunden wurden, haben die Archäologen in Tayma inzwischen auch ein Wohnviertel ausgegraben, in dem die Häuser jeweils rund elf mal elf Meter groß sind. Sie fanden Texte in Keilschrift, in aramäischer und in taymanitischer Sprache. Sie gruben Steine mit eingeritzten Schlangen aus, die Einzelteile von zerschlagenen überlebensgroßen Königsstatuen der Dynastie von Lihyan (5.-3. Jh. v. Chr.), sowie eine Stele aus Sandstein, auf der ein König dargestellt ist, und die inzwischen als Werk des mysteriösen Königs Nabonid identifiziert werden konnte.

"Der Nabonid", ist zwar auch auf der Grabung in aller Munde, doch die Geologen, Hydrologen, Mineralogen und Geografen, die zusammen mit den Archäolgen versuchen, mehr Licht in die noch weitgehend im Dunklen liegende Geschichte dieser Siedlung zu bringen, legen Wert darauf, dass es hier um mehr geht, als um die Aufklärung des rätselhaften Besuches des Königs vom Euphrat. "Die vorderasiatische Archäologie nahm ihren Anfang in Mesopotamien, dem Hauptverbreitungsgebiet der Keilschrifttexte, deshalb ist es auch unsere Aufgabe, hier in Nordwestarabien eine Forschungslücke zu schließen", erklärt Hausleiter und rückt sein gewickeltes arabisches Kopftuch zurecht, der ihn auf dem Ruinenhügel vor den Sonnenstrahlen schützen soll.

Nachdem in Saudi-Arabien zwanzig Jahre lang praktisch gar keine ausländischen Archäologen graben konnten, waren die Deutschen die ersten, die 2004 wieder ein großes Ausgrabungsprojekt in Angriff nehmen konnten. Es folgte ein französisches Team, das mit den Vorbereitungen für seine Arbeit in Madain Saleh schon zuvor begonnen hatte und jetzt auch in der Nabatäer-Stadt gräbt. Regelmäßig kommen saudische Studenten aus Riad, die jeweils zwei Wochen lang zusammen mit den DAI-Forschern in Tayma graben. Die Extremisten in Saudi- Arabien, die hinter jedem Interesse für die vorislamische Historie des Landes gleich eine Abweichung von der reinen Lehre des Islams wittern, sind vermutlich nur eine kleine Minderheit. Die Mehrheit der Saudis interessiert sich schlicht nicht für Archäologie, weshalb die Teilnehmer des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Projektes in Tayma auf dem kahlen Hügel auch völlig ungestört graben und vermessen können.

Anne-Beatrice Clasmann, dpa

Quelle: ntv.de

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