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Krank, weil arbeitslos Teuflische Spirale

Vor dem Tagungszentrum des 108. Deutschen Ärztetags dreht sich die Spirale von Arbeitslosigkeit, Alkoholmissbrauch und Krankheit. Die Ärzte haben sich für die Konferenz "Krankheit und Armut" den Sozialbrennpunkt Berlin-Neukölln ausgesucht.


In dem Stadtteil herrscht eine Arbeitslosenquote von 23,4 Prozent -passend zum Schwerpunktthema. Der Präsident der Ärztekammer Berlin, Günther Jonitz, sagt: "Die Probleme haben wir hier jeden Tag in den Praxen."
Die Schere zwischen Arm und Reich hat sich unter Rot-Grün in ganz Deutschland weiter geöffnet. Nach dem im März vorgelegten Armuts-und Reichtumsbericht der Regierung sind 13,9 Prozent der Familien arm. Die Ärzte warnen vor massiven Folgen für die Gesundheit der Betroffenen.


Für Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe steht fest: "Soziale Schichtzugehörigkeit, Wohn-und Umweltbedingungen stehen in sehr engem Zusammenhang mit Gesundheit und Gesundheitsverhalten." Dass Armut ein gravierendes Krankheitsrisiko ist, zeigt am Mittwoch der Düsseldorfer Medizinsoziologe Johannes Siegrist anhand internationaler Studien. Selbst in der reichen Schweiz sterben Männer der oberen Schicht im Schnitt 4,4 Jahre später als einfache Angestellte und Arbeiter.


"Je niedriger die soziale Schichtzugehörigkeit, desto größer die Krankheitslast", stellt Siegrist fest. Die Gründe: materielle Einschränkungen, ungünstiges Wohnen, instabile Familienverhältnisse und gesundheitsschädigendes Verhalten führen zu Krankheiten.


Seit wenigen Jahren betonen Soziologen, dass in Deutschland die staatlich organisierte Umverteilung durch Steuern und Sozialleistungen keineswegs die sozialen Unterschiede einebnen -sondern dass eine "neue Unterschicht" ("Die Zeit") entstanden ist. Siegrist weist beispielsweise eindringlich auf ein Probleme hin, das auch Bundesverbraucherministerin Renate Künast (Grüne) bereits oben auf ihrer politischen Agenda angesiedelt hat: das Übergewicht vieler Kinder gerade aus niedrigeren Schichten. Das Übergewicht lässt sich später nur noch schwer bekämpfen, die Gesundheitsfolgen sind oft fatal.


"Wenn man die Volksgesundheit nachhaltig stärken möchte", sagt Ärztefunktionär Jonitz, "muss man drei Dinge tun: Arbeitsplätze schaffen, Arbeitsplätze schaffen, Arbeitsplätze schaffen." Das Sterblichkeitsrisiko nach drei Jahren Arbeitslosigkeit ist nach einer Studie des Robert-Koch-Instituts 3,4-fach höher als bei Menschen mit Arbeit. Krankheiten, unter denen Arbeitslose verstärkt leiden: psychische Störungen, Herzinfarkt, Krebs, Unfallverletzungen, Sucht.


Den Gang zum Arzt scheuen Ärmere nach Überzeugung der Ärzte mittlerweile aber immer öfter –

aus Angst vor Gebühren und Zuzahlungen. Nach Einführung der Praxisgebühr haben beispielsweise in Berlin nach Angaben des Chefs der Kassenärztlichen Vereinigung der Hauptstadt, Manfred Richter-Reichhelm, "vor allem ärmere Menschen auf einen Arztbesuch verzichtet".


Einig sind sich die Praktiker und Fachleute, dass gegen Krankheitsrisiken durch Armut nicht nur die Gesundheitspolitik gefordert ist. Arbeitsplätze schaffen kann Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD), an die die Ärztefunktionäre ihre Forderungen normalerweise richten, schließlich kaum. Unter anderem mit dem Präventionsgesetz will Schmidt die Stellung der sozial Schwächeren aber auch im Gesundheitssystem bessern: "Wir wissen, dass Angebote der Prävention zurzeit vorwiegend vom Mittelstand genutzt werden." Mit einem Netz an wohnortnahen Vorbeugungsangeboten – mit den Ärzten -will Schmidt Ärmere künftig besser erreichen.

Quelle: ntv.de

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