Roulettespiel mit Verlierern Truvada keine "Pille gegen Aids"
18.07.2012, 13:47 Uhr
Das blaue Wunder. Jede einzelne verhinderte Infektion zähle, egal ob durch Aufklärung, Abstinenz, Kondome oder eben "Truvada" - sagen Befürworter des Präventionsmittels.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Gefahr, sich in Sorglosigkeit zu wiegen, ist groß: Mit "Truvada" lässt sich das Risiko einer HIV-Infektion schließlich um bis zu 75 Prozent verringern. Doch ein Freifahrtsschein für ungeschützten Sex ist die Einnahme der Pille keinesfalls. Auch dann nicht, wenn man sie regelmäßig nimmt. Und regelmäßig, das heißt täglich.
Das Medikament "Truvada" erschwert es HI-Viren, in den Zellen des Körpers Fuß zu fassen. Zur Behandlung bereits infizierter Menschen ist das Mittel sowohl in den USA als auch in Deutschland schon länger zugelassen. In den USA ist jetzt auch die vorbeugende Einnahme möglich. Der Gedanke: Menschen in Risikogruppen, etwa homosexuelle Männer oder Drogenabhängige, die nicht mit HIV infiziert sind, nehmen die Pillen regelmäßig. Deren Wirkstoffe breiten sich im Körper aus. Falls das Virus dann - etwa beim ungeschützten Sex oder durch eine verseuchte Nadel - in den Körper kommt, kann es die Zellen schlechter infizieren und sich schwerer in ihnen vermehren. Auf diese Weise wird das Risiko, sich zu infizieren, verringert. Aber: Es besteht fort.
Die Deutsche Aids-Hilfe (DAH) warnt daher vor zu großen Hoffnungen. "Truvada" schütze bei Weitem nicht so zuverlässig vor HIV wie Kondome. Die Schutzwirkung sinke zudem drastisch, wenn das Mittel nicht regelmäßig eingenommen wird. "Truvada" muss nämlich täglich geschluckt werden, und es hat Nebenwirkungen. Betroffen sind Nieren und Knochen. Bei der Präexpositions-Prophylaxe handelt es sich somit, wie die Deutsche Aids-Hilfe betont, "nicht um eine 'Pille gegen Aids', die man direkt vor dem Sex einnimmt."
Wer gewinnt, weiß niemand
Kritiker verweisen auf jene Neuinfektionen, die sich durch "die Pille davor" nicht verhindern ließen. Keiner der Beteiligten weiß beim Sex, ob er bei diesem Roulette zu den Gewinnern oder den Verlieren zählen wird. Das Mittel könnte viele Menschen in falscher Sicherheit wiegen, so die Kritiker. Schwule, so heißt es, könnten sich die Medikamente besorgen und dann - vermeintlich geschützt - Analsex ohne Kondom haben. Das HIV-Infektionsrisiko dabei ist sehr hoch.
Befürchtet wird zudem, dass HI-Viren resistent gegen "Truvada" werden könnten. Und nicht zuletzt sieht die Deutsche Aids-Hilfe auch ethische Probleme: "Weltweit gibt es rund acht Millionen Menschen, die dringend eine HIV-Therapie benötigen, sie aber nicht bekommen", heißt es im Statement der Organisation. "Die Weltgemeinschaft stellt immer noch nicht genügend Geld für universellen Zugang zur Verfügung. Es wäre nicht vertretbar, HIV-Medikamente nun in größerem Ausmaß an Gesunde zu verteilen." Das Präventionsmittel ist vergleichsweise teuer. In Deutschland kostet eine Monatspackung "Truvada" mehr als 800 Euro.
Das US-Zentrum für Infektionskontrolle (CDC) weist vor diesem Hintergrund darauf hin, dass der vorbeugende Schutz nicht für jedermann, sondern nur für eine kleine Hochrisiko-Gruppe geeignet ist. Für diese aber "könnte PrEP ein wichtiges, zusätzliches, vorbeugendes Werkzeug sein".
Quelle: ntv.de, asc/dpa