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Was hilft bei Allergie? "Übertriebene Hygiene macht anfällig"

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Eine der häufigsten Allergien ist die Pollenallergie, die auch als Heuschnupfen bezeichnet wird.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Allergien haben sich in den letzten Jahrzehnten zur Volkskrankheit entwickelt. Bis zu 30 Millionen Deutsche sind inzwischen betroffen, darunter viele Kinder und Jugendliche. Warum das Immunsystem der Menschen in Industrieländern immer öfter nicht Gut von Böse unterscheiden kann, erklärt Professor Thomas Werfel, Präsident des 5. Deutschen Allergiekongresses in Hannover.

n-tv.de: Die Allergie wird als die Volkskrankheit des 21. Jahrhunderts bezeichnet. Immer mehr Menschen leiden darunter - Tendenz steigend. Woran liegt das?

Thomas Werfel: Es gibt zahlreiche Theorien. Es gibt überzeugende Hinweise aus Studien, die für die so genannte Hygienehypothese sprechen, die besagt, dass das kindliche Immunsystem immer weniger Erregern ausgesetzt ist, mit dem es sich beschäftigen muss. Das hat zur Folge, dass sich die Immunitätslage zugunsten von Allergien ändert.

Es sind also nicht die Zusatzstoffe in unserer Nahrung, Kosmetika oder Reinigungsmitteln?

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Mit einem Allergietest können Ärzte herausfinden, worauf das Immunsystem des Patienten reagiert.

(Foto: picture alliance / dpa)

Nein, die Zusatzstoffe werden allgemein überschätzt, auch wenn sie selten Allergien auslösen können. Von einer "echten" Allergie sprechen wir, wenn nachweisbare immunologische Reaktionen zu gesundheitlichen Problemen nach Allergenkontakt führen. Daneben gibt es sogenannte Pseudoallergien, also Intoleranzreaktionen. Dabei reagiert der Patient so ähnlich wie ein Allergiker, aber Ärzte können beim Haut- oder Labortest nichts finden. In diesem Zusammenhang werden die Zusatzstoffe immer wieder angeschuldigt. Aber die Rate von Pseudoallergien, die gesichert in Zusammenhang mit Zusatzstoffen gebracht werden können, ist sehr gering.

Ist die Allergie tatsächlich eine Krankheit der Industrieländer?

Im Zusammenhang mit der Zunahme von Allergieerkrankungen denken wir insbesondere an Neurodermitis, Heuschnupfen und allergisches Asthma. Eine Zunahme dieser drei Erkrankungen ist tatsächlich in den letzten Jahrzehnten in den westlichen Ländern zu verzeichnen.

Gibt es ein bestimmtes Alter im Menschenleben, bei der das Risiko an einer Allergie zu erkranken, besonders hoch ist?

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Neurodermitis trifft vor allem Kinder im ersten und zweiten Lebensjahr.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Das ist von Allergie zu Allergie verschieden. Der früheste Beginn ist bei der Nahrungsmittelallergie und der Neurodermitis zu beobachten. Die meisten Allergiker, die davon betroffen sind, haben erste Symptome im ersten oder zweiten Lebensjahr entwickelt. Das allergische Asthma dagegen kann zwar auch bereits im ersten und zweiten Lebensjahr beginnen, entwickelt sich aber meist erst etwas später in der Kindheit. Der Heuschnupfen kommt meist noch ein bisschen später - hier ist der Gipfel der Neuerkrankungen während der Pubertät. Dazu kommen noch weitere Allergien, wie das allergische Kontaktekzem - Stichwort Nickelallergie - oder die Medikamentenallergie, z.B. die Penicillin-Allergie. Beide Krankheitsgruppen können in jeder Phase des Lebens neu auftreten, auch noch im Seniorenalter.

Einige Allergiker berichten davon, dass sie von einem Tag auf den anderen beschwerdefrei geworden sind. Gibt es solche Spontanheilungen?

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(Foto: picture-alliance/ dpa)

Das gibt es, allerdings passiert das nicht von einem Tag auf den anderen, auch wenn es individuell manchmal so empfunden wird. Tatsächlich ist es so, dass sich das Immunsystem weiterentwickeln und umschalten kann, so dass einstige Allergene dann wieder als normale Stoffe erkannt werden. Wir nennen das spontane Toleranzinduktion. Man kann einer solchen Heilung nachhelfen, indem man dem Immunsystem ein Allergen in hohen Dosen und in etwas veränderter Form anbietet, so dass ein "Umschalten" des Immunsystems mit hoher Wahrscheinlichkeit passiert. Das ist das Prinzip der spezifischen Immuntherapie oder Hyposensibilisierung.

In den letzten Jahren gibt es die Hyposensibilisierung mit neuen Mitteln. Wie ist der Stand der Dinge heute?

Die klassische Hyposensibilisierung ist die subkutane (unter die Haut) Injektion, also das Spritzen von Allergenen. Die Wirksamkeit ist hier sehr gut gesichert, da es diese Art der Therapie schon seit einiger Zeit und diverse Untersuchungen dazu gibt. Am besten ist die Art der Behandlung bei der Bienen- und Wespenallergie geeignet. Hier spricht sie so gut an, bei mehr als 90 Prozent der Betroffenen, sodass es ein Fehler wäre, sie nicht durchzuführen. Zu den neuen Entwicklungen gehören die sublingualen (unter die Zunge) Mittel. Diese sind Weiterentwicklungen der bisherigen Therapien. Hier gibt es Tabletten und Tropfen, die der Patient täglich und ohne Arzt einnimmt. Diese haben die Vorteile, dass der Patient nicht mehr zum Spritzen in die Praxis kommen muss, auch sind sie ziemlich gut verträglich. Die Nebenwirkungen, über die bisher berichtet wurden, halten sich im Rahmen. In diesem Therapieprinzip steckt noch viel Heilungs- und Entwicklungspotential. Auch die subkutane Therapie wird ständig weiterentwickelt. Die Allergene werden beispielsweise so modifiziert, dass es nicht mehr zu diesen ungewollten Sofortreaktionen kommt und die Wirksamkeit gesteigert wird.

Die neuen Mittel für die sublinguale Hyposensibilisierung sind sehr teuer. Woran liegt das?

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(Foto: Thomas-Max-Müller, pixelio)

Bislang werden diese Therapie-Allergene alle aus Naturstoffen gewonnen. Das ist zum Beispiel bei hohen Konzentrationen an Gräserpollen, die in Tabletten oder Tropfen sind, sehr aufwendig. Die Gewinnung des Rohstoffes ist dementsprechend teuer. Dazu kommen natürlich die Entwicklungskosten, die in die Preise von neuen Medikamenten mit eingerechnet werden.

Immer mehr Allergologen verschreiben diese teuren Medikamente, bekommen aber von den Krankenkassen nur einen geringen Satz pro Patient. Wie groß ist die sogenannte Regressgefahr für den Arzt?

Das stimmt. Bisher sind die Abrechnungsmodalitäten nicht optimal geregelt, dieses war auch auf dem 5. Allergiekongress in Hannover ein Diskussionspunkt. Allerdings ist die Regressgefahr, also die Gefahr, dass der Arzt die Behandlung aus eigener Tasche zahlen muss, relativ gering. Es ist so, dass die Allergologen häufiger in ein Prüfverfahren kommen und dann darlegen müssen, dass die Behandlung wirklich sinnvoll war. Wenn sie viele Patienten mit Allergien behandeln, werden diese teuren Verordnungen in der Regel als sogenannte Praxisbesonderheit anerkannt.

Was kann man denn tun, um sich bzw. seine Kinder vor Allergien zu schützen?

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Professor Thomas Werfel arbeitet an der Klinik für Dermatologie und Venerologie der Medizinischen Hochschule Hannover.

Es gibt aktuell eine neu erarbeitete Präventionsleitlinie. Was wirklich wirkt, ist das ausschließliche Stillen von Babys über einen Zeitraum von mindestens vier Monaten. Wenn das nicht funktioniert, dann ist ein (Zu-)Füttern von sogenannten Extensivhydrolysaten, das sind die hypoallergenen Milchen, angeraten. Diese Milchen sind recht teuer, weil in ihnen die Proteine komplett verdaut sind. Außerdem hat sich herausgestellt, dass der Fisch präventiv wirksam ist. Das heißt, sowohl die werdende als auch die stillende Mutter kann durch den Verzehr von Fisch Allergien vorbeugen. Aber auch das Füttern des Kindes mit Fisch im ersten Lebensjahr scheint präventiv zu wirken. Die Hersteller von Baby-Nahrung haben bereits darauf reagiert. Rausgenommen aus den Präventionsleitlinien haben wird die Empfehlung des vorsichtigen Kostaufbaus. Nach neuesten Erkenntnissen sollten Kinder frühestens nach dem fünften Lebensjahr normal ernährt werden. Ganz selbstverständlich sollte sein, dass Kinder nicht passiv rauchen dürfen. Unter anderem steigt dabei auch das Allergierisiko. Gerade kürzlich wurde eine Verdopplung des Risikos der Entwicklung einer Neurodermitis von Kindern rauchender Eltern beschrieben.

Wie verhält es sich mit der Haltung von Haustieren?

Sogenannte Allergie-Risikofamilien, das bedeutet, mindestens ein Familienmitglied hat eine Allergie, sollten auf keinen Fall eine Katze halten. Hunde dagegen scheinen sich nicht störend auszuwirken.

Mit vielen anderen Kindern an frischer Luft täglich im Dreck spielen, ist das Allergieprävention?

Ja, tatsächlich ist es so, dass eine übertriebene Hygiene nicht sinnvoll im Sinne der allergenen Vorbeugung ist. Der Kontakt zu anderen Kindern und damit gekoppelt, die Übertragung von verschiedenen "banalen" Infektionserregern kann helfen, das Immunsystem auf dem richtigen Weg zu halten.

Mit Thomas Werfel sprach Jana Zeh

Quelle: ntv.de

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