100. Todesfall Vogelgrippe in Indonesien
29.01.2008, 13:41 UhrNur neun Jahre wurde der kleine Junge, der am Sonntag in der indonesischen Hauptstadt Jakarta starb. Vogelgrippe lautete die Diagnose, wie bei der 23-Jährigen, die den Kampf gegen Fieber und Lungenentzündung ebenfalls am Wochenende verloren hat. Die indonesische Statistik führt die beiden am Dienstag gemeldeten Todesfälle nüchtern als Nummer 99 und Nummer 100. Mit 124 bestätigten Infektionen und 100 Todesfällen ist Indonesien nicht nur mit Abstand das am schlimmsten betroffene Land der Welt, es hat auch die höchste Sterberate bei den registrierten Infektionen mit dem Virus H5N1.
"Indonesien gehört zu den Hochrisikoländern", sagt Christoph Müller, Delegationsleiter des Deutschen Roten Kreuzes in Indonesien. "Traditionelle Lebensweisen der Bevölkerung in Städten und auf dem Land, in engem täglichen Kontakt mit Geflügel, erschweren die Prävention der Übertragung." Deutlicher wird Try Satya Naipospos, einst stellvertretende Chefin der Vogelgrippe-Kommission: Die Regierung habe versagt. "Wenn sie nicht bald härter durchgreift, wird es noch schlimmer werden", kritisierte sie.
Vietnam und Thailand, die 2004 die ersten Ansteckungen von Menschen mit dem H5N1-Virus meldeten, brachten die Lage offensichtlich unter Kontrolle. Nach der Statistik der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gab es im vergangenen Jahr nur acht neue Fälle bei Menschen in Vietnam und keinen in Thailand, wo allerdings die Tierseuche kürzlich nach fast einem Jahr in einer Geflügelfarm wieder aufflackerte. In Ägypten steckten sich zwar 25 Menschen an, doch starben nur 9. In Indonesien gab es dagegen 42 Fälle - 37 davon endeten tödlich. Die Sterberate stieg im vergangenen Jahr auf 88 Prozent, räumte der Chef der Vogelgrippe-Kommission, Bayu Krishnamurthi, im Dezember ein.
Mit 220 Millionen Einwohnern in mehr als 70 000 Dörfern und mehr als 1,4 Milliarden Hühnern sei "die Herausforderung, die Vogelgrippe unter Kontrolle zu halten, umso schwieriger", sagte er. In den engen Slums von Jakarta wird deutlich, was er meint. Hunderttausende Familien hielten hier Hühner. Das wurde Anfang 2007 zwar verboten und Massenschlachtungen angeordnet. "Das Verbot wird aber nicht mehr durchgezogen", sagte Naipospos. "Und die Pläne, Geflügelfarmen und Schlachthäuser aus Wohngebieten zu verlegen, sind auch nicht umgesetzt worden."
"Es ist unmöglich, Geflügelfarmen aus Wohngebieten zu verbannen", meint Marthen Malole von staatlichen Agrarinstitut in Bogor. Die Menschen lebten schließlich davon. Er verlangt aber viel rigoroseres Durchgreifen, wenn Geflügelbestände befallen sind. Man dürfe sich nicht nur auf die Impfung von Tieren beschränken.
Die Vogelgrippe-Kommission setzt viel Hoffnung in die Aufklärung. "Wir müssen die Menschen einbeziehen, weil neue Infektionen verhindert werden können, wenn sie aufmerksam sind und ihr Verhalten ändern", sagte Krishnamurthi. Auf dem Gebiet ist das Rote Kreuz aktiv. Es hat Poster entwickelt, die an Gemeindezentren ausgehängt werden, und schult Ortskräfte. "Die Aufklärung und die Vorbereitung auf den Ernstfall laufen gut", berichtet Müller.
Der Ernstfall, das wäre eine verheerenden Pandemie durch ein mutiertes Vogelgrippevirus, mit enormen Opferzahlen. Die Entwicklung eines Impfstoffs für Menschen ist schwierig, weil die Erreger sich ständig verändern und niemand weiß, wie ein Pandemievirus einmal aussehen könnte. Noch gibt es keine Anzeichen, dass die Vogelgrippe leicht von Mensch zu Mensch übertragen wird. Wenn das passiert, beginnt ein Wettlauf mit der Zeit: Mit dem mutierten Virus müsste ein Impfstoff entwickelt werden. Das benötigt nach WHO-Angaben 28 bis 50 Wochen - im Zeitalter des globalen Flugverkehrs dürfte das für Millionen Menschen zu lange dauern.
Indonesien hat die Vorarbeiten für die Impfforschung nicht gerade erleichtert. Immer wieder hat es die Weitergabe von Virenproben verweigert, aus Protest dagegen, dass große Pharmakonzerne mit dem Material kommerzielle Impfstoffe entwickeln könnten, die dann für Indonesien unerschwinglich sind. "Der unfaire Zugang zu Impfstoffen macht die Ungleichheit zwischen Arm und Reich größer, und das ist noch gefährlicher als eine Pandemie", sagte die indonesische Gesundheitsministerin Siti Fadilah Supari der Zeitschrift "Time".
Von Christiane Oelrich, dpa
Quelle: ntv.de