Von Tier zu Mensch Was ist Xenotransplantation?
05.06.2010, 14:16 Uhr
Jede Organtransplantation ist mit Risiken verbunden.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Vorstellung, Zellen oder gar ein ganzes Organ von einem Schwein implantiert zu bekommen, erzeugt Unbehagen. Wenn es jedoch um Leben und Tod oder um die Wiederherstellung von Lebensqualität geht, dann greifen Betroffene nach jedem Strohhalm. So wie die Eltern der kleinen Fae, die 1984 mit einem Herzfehler geboren wurde, den sie nach dem damaligen Stand der Medizin nicht hätte überleben können. Der kleinen Fae wurde kurz nach ihrer Geburt vom US-amerikanischen Chirurgen Dr. Leonard Bailey mit Zustimmung der Eltern ein Pavianherz implantiert.
Der Mediziner ging davon aus, dass das Immunsystem des Säuglings noch nicht so stark ausgeprägt ist, dass es das Tierherz abstoßen würde. Er irrte jedoch. Fae starb zwanzig Tage nach der Operation an immunbedingter Zerstörung des Pavianherzens. Die Geschichte des Mädchens gelangte unter der Bezeichnung Baby Fae an die Öffentlichkeit und ist bis heute ein populärer Fall der Xenotransplantation.
Von Spezie zu Spezie
Als Xenotransplantation wird der Vorgang bezeichnet, bei dem lebensfähige Zellen, Zellverbände, sogar Organe und ganze Körperteile von einer Spezies in eine andere übertragen werden. Darunter zählt auch die Übertragung von Mensch zu Tier und umgekehrt. Bisher werden vor allem Krebszellen zu Forschungszwecken in Nacktmäuse übertragen. Dieses Verfahren ist seit 1972 in der internationalen Forschung anerkannt.
Nacktmaus mit einem Tumor, der aus implantierten Prostata-Tumorzellen gewachsen ist.
(Foto: Singh Jaggi J, Henke E, Seshan SV, Kappel BJ, Chattopadhyay D, May C, McDevitt MR, Nolan D, Mittal V, Benezra R, Scheinberg DA, wikipedia)
Die Xenotransplantation vom Tier zum Menschen hingegen befindet sich noch ganz am Anfang. Damit will die Wissenschaft auf fehlende Organspenden reagieren. Rund 80 Prozent aller Deutschen befürworten eine Organspende, aber nur 12 Prozent haben einen Organspendeausweis. Demgegenüber stehen rund 12.000 Patienten, die dringend ein Spenderorgan benötigen, und ungefähr eintausend Tote jährlich, deren vorzeitiges Sterben durch eine Organspende hätte verhindert werden können.
Allerdings sind die Forschungen längst noch nicht so weit, dass die Transplantation ganzer Organe vom Tier zum Menschen zur Debatte stehen. 1963 bis 1964 wurden verschiedene Organe (Niere, Leber und Herz) von Schimpansen in drei schwerkranke Menschen verpflanzt. Obwohl die Primaten genetisch am nächsten mit dem Menschen verwandt sind, waren die Operationen nicht erfolgreich. Die Organe der Tiere sind physiologisch nicht geeignet. Das Herz des Schimpansen beispielsweise ist zu klein, um die Blutzirkulation aufrechtzuerhalten.
Schweine geeigneter
Besser als Primaten scheinen Schweine zur Xenotransplantation für den Menschen geeignet zu sein. Die Leistungsfähigkeit der Organe und der Stoffwechsel der Borstentiere sind den menschlichen sehr ähnlich. Trotzdem stößt der menschliche Körper tierische Zellen ab. Aus diesem Grund müssten die Schweine genetisch verändert werden. Ein weiteres Problem, mit dem die Forscher der Xenotransplantation zu tun haben, ist die Übertragung von krankmachenden Erregern von Tier zum Menschen. In Laboruntersuchungen wurde festgestellt, dass Schweineviren auf menschliche Zelllinien übertragen werden können.
Glücksschweine im Zoo von Osnabrück.
(Foto: picture alliance / dpa)
Große Hoffnung setzen Forscher auf den Einsatz von Insulin-produzierenden Zellen von Schweinen, die Menschen mit einer Typ-1-Diabetes helfen könnten. Vielversprechende Ergebnisse gibt es in Australien. In der weltweit ersten Studie dieser Art wurde sechs Diabetes-Typ-1-Patienten eine geringe Menge von Insulin-produzierenden Zellen implantiert. Um die Abstoßung zu vermeiden, wurden die Zellen mit einer Kapsel aus einer speziellen Algensubstanz, einem sogenannten Alginat, umschlossen. Die Insulingaben für die Patienten konnten um mehr als 25 Prozent gesenkt werden. Zudem wurden keine Abstoßungen festgestellt.
Ethische Bedenken
Um Schweine als Zell- oder Organspender für Menschen zu benutzen, müssen diese genetisch verändert, speziell gezüchtet und schließlich getötet werden. Daran entzündet sich eine ethische Debatte: Hat der Mensch das Recht, Tiere zu züchten, um ihre Zellen und Organe zu seiner Lebensrettung oder -verlängerung zu benutzen? Inwieweit greift der Mensch durch die Xenotransplantation in die Natur ein und schafft sogenannte Chimären – Lebewesen, die Zellen von zwei verschiedenen Spezies in sich tragen?
Mit den ethischen Problemen der Xenotransplantation beschäftigen sich seit Jahrzehnten weltweit zahlreiche Instanzen, unter anderem das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag, die Evangelische Kirche und Forschungseinrichtungen wie das Institut für medizinische Anthropologie und Bioethik in Wien. Der Tenor ist relativ einstimmig: Auch wenn das Verfahren reichlich Potential hat, sind die Gefahren der Xenotransplantation bisher nicht vollständig abschätzbar, sodass sie auch in Zukunft keine Alternative, sondern höchstens eine Ergänzung zur Organspende sein kann.
Quelle: ntv.de