Frage & Antwort, Nr. 43 Verschluckt CERN die Erde?
11.09.2008, 11:12 Uhr
Der neue Teilchenbeschleuniger in Genf gilt als Meisterwerk. Aber wie gefährlich ist er?
Das Europäische Kernforschungszentrum (CERN) in Genf hat am 10. September 2008 einen neuen Teilchenbeschleuniger gestartet. Zuvor befürchteten Experten, dass durch das geplante Experiment im so genannten LHC ("Large Hadron Collider") Schwarze Löcher entstehen könnten, die dann allmählich die Erde verschlucken.
Auf die Frage: Warum leben wir noch? antwortet Dr. Bernd Ramm, Physiker aus Berlin.
Also, das kann ich Ihnen ganz leicht beantworten. Es finden noch keine Experimente statt; die Wissenschaftler testen erst einmal nur den Beschleuniger.
Weil nur ein Strahl losgeschickt wurde?
Ja, der macht noch nichts. Der ist ganz sicher harmlos. Die Wissenschaftler in Genf testen jetzt erst mal die Anlage. Bis zum eigentlichen Experiment dauert es noch ein paar Wochen.
Im Oktober wird dann ein zweiter Protonenstrahl losgeschickt, um mit anderen Protonen zu kollidieren. Das ist das eigentliche Experiment. Wir haben also nur eine Schonfrist bekommen?
Ja, wir können noch einmal Wein trinken gehen.
Ganz ehrlich, kann da etwas passieren, mit den kleinen Schwarzen Löchern?
Also ich bin ja ein sehr realistischer Mensch. Es sollen Schwarze Löcher erzeugt werden. Da ist ein ganzer Detektor, der die Dinger aufspüren soll. Das ist kein Witz. Aber: mit aller größter Wahrscheinlichkeit werden die dann zerstrahlt. Und jetzt generell über Wahrscheinlichkeiten: Es ist durchaus physikalisch möglich, und es besteht eine, wenn auch extrem geringe Wahrscheinlichkeit, dass sich zum Beispiel die Luft hier in Berlin entmischt - in Sauerstoff und Stickstoff . Das ist theoretisch vorstellbar. Und ich würde mit aller Vorsicht sagen, dass man die Wahrscheinlichkeit, dass da was passiert, auch so einschätzen muss. Ich glaube aber, wir beide haben keine Angst, dass sie drüben nur noch Sauerstoff und ich hier nur noch Stickstoff habe und damit ganz schnell ersticke.
Wie entstehen Schwarze Löcher?
Es gibt verschiedene Entstehungsmöglichkeiten, manche sind noch nicht ganz geklärt. Die einfachste Entstehungsmöglichkeit ist folgende: ein großer Stern, der mehrere Sonnenmassen haben muss, hat einen Lebensrhythmus und am Schluss bricht er unter seiner eigenen Gravitation zusammen und wird dann zum Schwarzen Loch. Unsere Sonne hat dafür zu wenig Masse. Sie wird nicht zum Schwarzen Loch. Es gibt Schwarze Löcher, die ein paar Millionen Sternenmassen haben, und da weiß man bisher nicht so genau, wie die eigentlich zustande gekommen sind.
Es gibt einen Vergleich mit zwei Mücken, die aufeinander treffen. Diese hätten genauso viel Energie wie zwei Teilchen im LHC, die aufeinander treffen. Ist da etwas dran?
Das ist Quatsch. Die Energien objektiv zu betrachten ist natürlich lächerlich. Wenn sie zwei Protonen nehmen und aufeinander ballern lassen, so groß diese Energie auch sein mag, dann ist das für unsere Maßstäbe sozusagen gar nichts. Aber bei den Energien im subatomaren Vergleich sind das riesige Energien und da können eben all diese Dinge entstehen. Diese schwarzen Löcher entstehen nicht im drei oder vier - dimensionalen Raum, wenn man die Dimension Zeit dazu nimmt. Da sind die Energien zu klein. Aber jetzt wird es kompliziert: Theoretisch könnte es mehrdimensionale Phänomene geben, aber nur auf diesem irrsinnig kleinen Bereich bezogen. Und wenn das der Fall ist, dann ist die Energie in mehr-dimensionalen Räumen ausreichend, damit diese kleinen Schwarzen Löcher wirklich entstehen.
Nach der Theorie von Hawkins zerfallen sie aber wieder. Man kann das bisher aber nicht beweisen. Auch die großen Schwarzen Löcher zerfallen. Aber die Zerfallszeit geht einher mit der Masse, d.h. je größer die Masse, desto größer die Zerfallszeit. Da die Massen aber riesig sind, sind die Zerfallszeiten so riesig, dass man die Zerfallsstrahlung nicht nachweisen kann. Die ist dann einfach zu klein bei den großen Schwarzen Löchern. Das ist reine Theorie und das verursacht, dass die Leute ein bisschen ängstlich werden. Man weiß einfach nicht, ob sie wirklich zerfallen.
Deswegen die Experimente?
Genau. Ich bin jetzt auch nicht in tiefe Sorge verfallen. Aber jetzt kommt das wichtige Argument: es wird wahrscheinlich im All so viel im hochenergetischen Bereich passieren, dass diese Art von Schwarzen Löchern wahrscheinlich schon sehr oft entstanden sein müssten, wenn sie denn stabil wären. Das ist aber auch wieder nicht so eindeutig, da zwar riesige Energien vorhanden sind. Diese treffen aber auf sozusagen ruhende Teilchen auf. Ob das denselben Effekt hat, wie zwei hoch beschleunigte Teilchen aufeinander zu ballern, das ist auch nicht so sicher. Das ist alles Theorie. Die Wahrscheinlichkeit ist extrem gering. Ein Fünkchen, ein ganz kleines Fünkchen Sorge kann man schon haben. Es ist nicht so, dass ich nachts nicht mehr schlafen kann. Aber ganz 100 Prozent wohl ist mir auch nicht. Ich bin froh, wenn die paar Wochen vorbei sind, wenn die Dinger entweder gefunden sind oder nicht und es ist wirklich OK.
Also warten wir bis zum Oktober?
A: Genau: Also wenn Schwarze Löcher entstehen, dann zerfallen sie das ist das Wahrscheinliche. Und wenn sie nicht zerfallen, dann gibt es extrem unterschiedliche Berechnungen, wie lange es überhaupt dauert, bis so ein Ding für uns gefährlich wird. Das sind ja irre kleine Dinger. Und die ziehen aus ihrer Umgebung Masse ab. Alles aber erst einmal auf der Ebene von Protonen und anderen Teilchen. Einige sagen, dass das ja Millionen oder Milliarden Jahre dauert, bis das Ding die Erde sozusagen aufgefressen hat. Das interessiert uns dann auch nicht mehr. In einigen Milliarden Jahren ist die Erde wahrscheinlich sowieso nicht mehr da, weil die Sonne womöglich ausgeglüht ist. Andere sagen, es dauert ein paar Monate, das wäre die Hölle. Und ganz andere sagen, dass das innerhalb von Minuten und Stunden geht.
Dann hätten wir ziemlich viel Geld dafür ausgegeben, um uns selbst umzubringen.
Das stimmt!
Sechs Milliarden Euro ist viel Geld. Was sagen Sie dazu? Als Physiker warten Sie wahrscheinlich auf die Ergebnisse.
Ich bin ein wenig zwiespältig, ob sich das rentiert, um rein theoretische Erkenntnisse zu bekommen. Andererseits finde ich es auch wieder super, dass der Mensch es wirklich schafft, mit seinem kleinen Hirn letztendlich an den Urknall heranzugehen. Es ist ein Experiment, das wirklich den Anfang des ganzen Alls simuliert. Ich finde das auch super spannend. Man sucht zum Beispiel auch sogenannte Higgs-Teilchen, die für die Schwerkraft zuständig sind. Da fliegen irgendwelche Teilchen umher und bei der Gravitation hat man diese Higgs-Teilchen postuliert, aber nicht gefunden. So etwas würde man da möglicherweise auch finden. Man würde über Schwarze Löcher möglicherweise eine ganze Menge erfahren. Vielleicht wird die Physik, wenn die Experimente vernünftig verlaufen, in ein paar Jahren massiv neu geschrieben werden müssen. Die Physik der Elementarteilchen und der Entstehung des Alls vielleicht auch.
Dr. Bernd Ramm ist Experte für Schwarze Löcher. Der promovierte Physiker beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Strahlen- und Strahlenschutz. Er hat mehrere Bücher über Röntgenqualitätsprüfungen und Strahlung in Umwelt, Medizin und Technik verfasst.
Quelle: ntv.de