Frage & Antwort, Nr. 6 Wie lässt sich Stau vermeiden?
18.09.2006, 04:08 UhrImmer wieder stehe ich im Ruhrgebiet im Stau. Wieso eigentlich? Oft ist eine Ursache gar nicht zu erkennen. Und was soll man im Stau machen? Ich habe immer das Gefühl, auf der Spur, auf der ich gerade nicht bin, geht es schneller vorwärts ... (fragt F. Burmeister aus Essen)
Das können wir nachvollziehen. Es ist nicht nur nervend, im Stau zu stehen. Wenn man später nicht einmal eine Erklärung für die Zwangspause geliefert bekommt, bleiben wir ratlos und frustriert zurück - selbst wenn es wieder flotter geht. Immerhin jeder fünfte Stau hat eine erkennbare Ursache: Eine Baustelle etwa oder eine Spursperrung nach einem Verkehrsunfall.
Doch bei rund 80 Prozent der Staus ist das schwieriger, sie entstehen schlicht durch Überlastung. "Zu viele Leute sind zur gleichen Zeit an der gleichen Stelle unterwegs", weiß der Verkehrsforscher Prof. Michael Schreckenberg von der Uni Duisburg. 'Aus dem Nichts' entstehe so ein Stau allerdings dennoch nicht, sagt der Experte. Der Verkehr wird vielmehr an bestimmten Punkten wie Auffahrten und insbesondere bei Steigungen dichter, Schreckenberger spricht von "Dichtepunkten". Zwar fährt dann noch die gleiche Anzahl von Fahrzeugen, allerdings langsamer. Im Volksmund spricht man jetzt vom "zähflüssigen Verkehr".

Ein Projekt der Verkehrswissenschaftler der Uni Duisburg: Stauprognosen für Nordrhein-Westfalen
Bis hier ist noch alles in Ordnung, so der Stauforscher. Doch nun kommt es zum Fehlverhalten einzelner Verkehrsteilnehmer. Hierzu gehört insbesondere der zu schnelle Wechsel vom Beschleunigungsstreifen auf die mittlere oder gar linke Spur und das permanente Lücken-Schließen von eiligen Fahrern, die glauben, so schneller zu sein als die Konkurrenten. "Fatal", so Schreckenberg. "Durch den Wechsel der Spuren werden andere Fahrer zum Bremsen gezwungen. Meist wegen zu geringem Sicherheitsabstand muss der Nachfolgende immer ein wenig stärker Abbremsen als die jeweils vorausfahrenden Fahrzeuge. Das übermäßige Bremsen verstärkt sich von Fahrzeug zu Fahrzeug. Aber das interessiert die Fahrer nicht, sie blicken nur nach vorne." Die Folge sind sich nach hinten verstärkende Bremseffekte, einzelne Pkw kommen zum Stillstand.
"Bei einer Anfahrtsverzögerung von zwei Sekunden kommt es schnell zu einer Kettenreaktion, es entstehen wellenartige Staus, die sich mit einer Geschwindigkeit von 15 Kilometern pro Stunde rückwärts ausbreiten", so der Physiker Schreckenberg. "Man kennt das ja: Erst steht man im Stau, plötzlich geht es vorne weiter, aber kaum freut man sich ob der wieder flüssigen Fahrt, da muss man sich im nächsten Stau wieder hinten anstellen. Solche Staus können sich stundenlang hinziehen."
Was also tun?
Sinnvoll wäre es, so zu fahren, dass man kleinere Geschwindigkeitsanpassungen des Vordermannes ausgleichen kann, ohne bremsen zu müssen, rät Schreckenberg. Leider geht das in der Praxis aber nicht, da sich in etwas größere Lücken sofort ein Auto von links oder rechts dazwischen schiebt. Außerdem haben viele Fahrer die Sorge, wenn sie sich im zähflüssigen Verkehr rechts zwischen den Lkw einordnen, in der Beschleunigungsphase dann gar nicht mehr nach links zu kommen.
"Die Rücksichtslosigkeit nimmt zu", glaubt auch der Forscher beobachtet zu haben. "Im Auto wird der Mensch wieder zum Jäger und Sammler. In der Anonymität auf der Straße lässt er seiner ungehobelten Natur freien Lauf. Hochgradig unkooperativ denkt er grundsätzlich nur an sich, seine größte Angst besteht darin, von anderen Verkehrsteilnehmern plötzlich überholt zu werden und damit als Verlierer gebrandmarkt zu sein. Kaum ein Autofahrer denkt daran, dass sein Handeln auf der Straße eine enorme Wirkung entfalten kann. Aber wenn nur ein Einziger versagt und sich sein Auto querstellt, sind Tausende betroffen. Von den Risiken für Leib und Leben durch Unfälle ganz zu schweigen."
Welchen Tipp kann der Experte geben?

Michael Schreckenberg fährt selbst gerne in Staus hinein, um seine Thesen in der Praxis bestätigt zu sehen.
Schreckenberg selbst fährt immer nachts los, wenn es in den Urlaub geht. Ansonsten rät er: "Wenn Sie im Stau stehen, harren Sie einfach aus." Studien zeigen tatsächlich, dass die Autofahrer, die sich nicht um Verkehrsfunk, taktische Überlegungen oder die Empfehlungen des Navigationssystems kümmern, sondern immer die gleiche Strecke fahren, am Ende am schnellsten sind. Abfahren und über Landstraßen zuppeln ist dagegen meist ein schlechter Rat, einmal abgesehen davon, dass es unter Umständen psychologisch befriedigender für den Fahrer ist, in Bewegung zu bleiben. "Aber gerade durch die Zunahme an Navigationssystemen wird es auf den Ausweichstrecken immer sehr schnell sehr voll", sagt der Stauforscher. Da diese Strecken aber für wesentlich weniger Fahrzeuge ausgelegt sind, kommt es schon beim Wechsel von rund zehn Prozent der Autobahnfahrer auf den Landstraßen zum Kollaps."
Nur bei einer Vollsperrung sollte man abfahren, meint Schreckenberg. Aber: Warten Sie auf die Anweisungen der Polizei. Das Drehen auf der Autobahn, wie es früher manchmal von den Autofahrern in Eigenregie durchgeführt wurde, wird heute nicht mehr toleriert.
Quelle: ntv.de