Fundsache, Nr. 213 Älter als die Pyramiden
27.09.2007, 10:20 UhrDie lange archäologische Grabungssaison in diesem Sommer hat in Bulgarien wertvolle Funde ans Tageslicht gebracht. Unter ihnen stellen die Ausgrabungen im Heiligtum des mythischen griechischen Sängers Orpheus unweit der Stadt Kardschali, rund 250 km südöstlich von Sofia, eine Sensation dar. Denn jetzt wurden erstmals Beweise für die langjährigen Vermutungen gefunden, dass der Tempel an diesem Ort im ehemaligen Thrakien älter ist als die Pyramiden in Ägypten. "Vor 6000 Jahren ist an diesem Ort ein Heiligtum entstanden", bekräftigt nun der Archäologe Nikolaj Owtscharow.
Während der jüngsten Ausgrabungen am Orpheus-Heiligtum bei dem heutigen bulgarischen Dorf Tatul ist Owtscharows Team auf eine Schicht aus der Kupfersteinzeit (4300-2200 vor Christus) gestoßen. Sie gab sowohl Kultgegenstände als auch Reste von Gebäuden frei. An diesem Ort wurden Hirsche und Wildschweine geopfert, ist der in Bulgarien auch liebevoll "Indiana Jones" genannte Professor überzeugt. Allein aus der Bronzezeit stammen mehr als 30 Opferaltäre, an denen die Zukunft vorausgesagt wurde. Owtscharow geht davon aus, dass in diesem Heiligtum im 2. Jahrtausend v. Chr. auch der sagenhafte Sänger Orpheus verehrt wurde.
Zu ältesten Zeiten war das Heiligtum nur zwischen den natürlichen Felsen angelegt, erklärt die Reiseführerin Tanja. In der Bronzezeit gaben die Menschen den großen Steinen bestimmte Formen. Sie meißelten aus dem Stein des Hügels eine Pyramidenform, jedoch ohne Spitze. Darin ist ein beeindruckendes riesiges Grab angelegt. "Es wird vermutet, dass dies ein symbolisches Grab des Orpheus ist", sagt Tanja. Auf der südlichen Seite des Felsstumpfes gibt es ein zweites Grab mit einer seitlichen Öffnung. Tanja zeigt auf die kleinen Kanäle am Rand, in denen Wein bei rituellen Handlungen geflossen sein soll.
Acht große steinerne Treppen führen vom "Grab des Orpheus" zu einem Thraker-Tempel mit einem Altar in den Felsen. Er ist nur wenige Meter unterhalb des Pyramidenstumpfes angelegt. Der Tempel hat eine fast quadratische Form und ist aus riesigen Steinen gebaut. Er ist in einer Höhe von 6 Meter erhalten. Der gesamte "heilige Berg" bei Tatul wird von einer Steinmauer geschützt.
Seit der Antike haben zahlreiche Völker ihre Spuren in dem Balkanland hinterlassen. Zu den interessantesten Bewohnern gehören zweifellos die Thraker. Ihre Stämme siedelten in der Antike auf dem Balkan - dem eigentlichen Thrakien -, das Teile des heutigen Rumänien, Bulgarien, Griechenland und der Türkei umfasst. Das Heiligtum von Tatul ist laut Owtscharow der erste überirdische thrakische Tempel, der bisher entdeckt wurde.
Genutzt wurde diese Kultstätte des Orpheus im östlichen Teil des Rhodopen-Gebirges bis zu Beginn des fünften Jahrhunderts nach Christus. Dann treten die Thraker, die auch reich verzierte Goldgegenstände hinterlassen haben, zum Christentum über. Ihre Zivilisation geht unter, da "die Thraker kein Schrifttum und auch kein Volksgedächtnis gehabt haben", erläutert Professor Boschidar Dimitrow, der das Nationale Museum für Geschichte in Sofia leitet.
Elena Lalowa, dpa
Quelle: ntv.de