Frage & Antwort

Frage & Antwort Verletzt. Ist der Fingerabdruck dahin?

Seit 1903 nutzt man in Deutschland Fingerabdrücke, um Täter zu identifizieren. Heute übernehmen leistungsfähige Computer den Abgleich und die Zuordnung von Fingerabdrücken. Narben allerdings können dabei Probleme bereiten.

Seit 1903 nutzt man in Deutschland Fingerabdrücke, um Täter zu identifizieren. Heute übernehmen leistungsfähige Computer den Abgleich und die Zuordnung von Fingerabdrücken. Narben allerdings können dabei Probleme bereiten.

(Foto: imago stock&people)

Ich habe mein Smartphone mit einem Fingerabdruck gesichert. Das klappt gut. Aber was passiert, wenn ich mir mal in den Finger schneide? (fragt Leo K. aus Heidelberg)

Finger hinterlassen Spuren. Einzigartige Spuren. Keine zwei Menschen auf der Welt sind bekannt, die Finger mit dem gleichen Abdruck hätten. Selbst eineiige Zwillinge bilden unterschiedliche Fingerabdrücke aus. Die Linien, Furchen und Kurven, die unsere Fingerkuppen zieren, sind unverwechselbar. Sie gehören jeweils uns ganz allein und sind ein gängiger Identitätsnachweis. Aber Achtung: Diese Identität kann sich verändern. Und auch fälschungssicher ist sie nicht.

Ob und wie sich Verletzungen am Finger auf den Abdruck auswirken, erklärt uns Dr. Thilo Sydow, Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädische Chirurgie im Alexianer Krankenhaus Hedwigshöhe in Berlin: "Je nachdem, wie schwer die Verletzung ist, muss man davon ausgehen, dass sich der Fingerabdruck verändert", sagt Sydow. Die Haut unterteilt sich, wie der Mediziner beschreibt, in drei verschiedene Schichten: Da ist einmal die für uns sichtbare Oberhaut, die Schicht also, in der die Hautspalten liegen, die unseren Fingerabdruck so individuell machen. Darunter befindet sich die Lederhaut, und dann kommt die Unterhaut. Was noch tiefer geht, stößt auf Muskeln und Knochen.

Narbe erschwert die Erkennung

Bei oberflächlichen, leichten Schnitten kann sich die Haut der Fingerkuppen komplett regenerieren - inklusive der charakteristischen Linien. Bei tiefgehenden Verletzungen aber ist das nicht mehr möglich. Wirken Säuren, Laugen oder Hitze lange auf die Haut ein (und damit tief), bildet sich eine Narbenplatte. "Wenn die Verletzungstiefe die Lederhaut überschreitet", erläutert Sydow, "sei es durch eine Schnittverletzung, durch Verätzungen oder Verbrennungen, dann ist eine Narbenbildung unausweichlich." Der Chirurg bringt auf den Punkt, was das bedeutet: "Der Fingerabdruck wird dann verändert sein – und zwar auf Dauer. Zwar können um die Narbenplatte noch Linienanteile vorhanden sein, aber letztlich wird der Fingerabdruck durch eine schwere Verletzung modifiziert. Er ist nicht mehr identisch mit dem Fingerabdruck vor der Verletzung."

Was bedeutet das für die Identitätserfassung? "Es kann vorkommen, dass Scannersysteme den Fingerabdruck dann nicht mehr als den primär eingelesenen erkennen", sagt Sydow. Eine Verletzung - und der Zugang zum Smartphone bleibt also womöglich verwehrt. Das Passwort stimmt einfach nicht mehr. Ist die Wunde klein, ist eine Identifizierung nach wenigen Wochen wieder möglich; dann eben, wenn sich die unverwechselbaren Furchen und Kurven wieder neu gebildet haben, ganz nach dem alten Muster.

Bei Narbenbildung aber ist das ursprüngliche Passwort dahin, die Identität ist für die Scanner nun eine andere – jedenfalls bei den einfacheren Systemen. Hochwertige, professionelle Fingerabdruckscanner, etwa die von Bundeskriminalamt und Bundesnachrichtendienst, sind oft in der Lage, den Linienverlauf im vernarbten Teil des Fingers zu rekonstruieren. Allerdings spielt auch hier eine Rolle, wie die Narbe beschaffen ist und wie viel vom ursprünglichen Muster zerstört wurde. Mitunter schafft die Narbe eine neue Identität, die der alten nicht mehr zugeordnet werden kann.

Fingerabdrücke sind also kein unveränderliches Identitätsmerkmal. Und selbst wenn sie ein Leben lang unversehrt bleiben, so sind sie – das ist lange bekannt – nicht fälschungssicher. Schon 2004 zeigte der Chaos Computer Club, wie einfach es ist, einen Fingerabdruck zu kopieren. Inzwischen reicht ein Foto von den Fingerkuppen aus, um daraus die entsprechenden Abdrücke zu extrahieren. Dann ist es möglich, sich mit fremdem Fingerabdruck Zugang zu fremden Daten zu verschaffen. Sei es durch Verletzung oder Fälschung: Die Identität, die der Fingerabdruck bietet, ist anfällig. Sie kann einfach mal verloren gehen.

Quelle: ntv.de

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