Die Lust am Gruseln Warum schauen wir gerne Horrorfilme?
30.10.2024, 18:00 Uhr Artikel anhören
Der Slasher-Film "Scream" von Wes Craven wurde 1996 zum Kassenschlager.
(Foto: picture alliance/dpa/Courtesy Of Paramount Pictures)
Gänsehaut, Herzklopfen und schwitzige Hände - eigentlich ist Angst ein unangenehmes Gefühl. Dennoch schauen viele Menschen gerne Horrorfilme und setzen sich dem Schrecken freiwillig aus. Woher kommt die Lust am Gruseln?
Erbarmungslose Killer, markerschütternde Schreie, viel Blut und Schockmomente - Horrorfilme zeigen das, was man eigentlich nicht sehen will. Dennoch erfreut sich das Horrorgenre seit seinen Anfängen großer Beliebtheit. Filme wie "Der Exorzist", "Es" oder "Insidious" spielen hohe Summen an den Kinokassen ein. Und gerade jetzt zu Halloween wollen sich viele Menschen vor den Bildschirmen gruseln. Doch warum setzt man sich dem Schrecken freiwillig aus?
Eine große Rolle spielt Experten zufolge die typische Mischung aus Anspannung und Entspannung. "Das Anschauen eines Horrorfilms kann eine Art emotionale Achterbahnfahrt sein", schreibt der Psychologe Shane Rogers von der Edith Cowan University auf der Wissenschaftsplattform "The Conversation".

Sowohl der Originalfilm als auch das Remake von "Es" begeisterte die Zuschauer.
(Foto: imago/Cinema Publishers Collection)
Ähnlich wie beim Achterbahnfahren oder Fallschirmspringen werden dabei Endorphine und Dopamin, der sogenannte Botenstoff des Glücks, ausgeschüttet. Somit gibt es bereits auf neurologischer Ebene eine Verbindung zwischen Angst und Spaß. Ist die Stresssituation vorbei, entspannt sich der Körper wieder - und das Dopamin kann wirken. Das bedeutet: Die vorher erlebte Angst wird mit positiven Gefühlen belohnt. Eine Studie, die mit Besucherinnen und Besuchern eines Spukhauses in einem Freizeitpark durchgeführt wurde, konnte die Existenz einer solchen "Post-Angst-Euphorie" beweisen und zeigen, dass Versuchspersonen nach dem Angsterlebnis sogar bessere Laune hatten als vorher.
Die morbide Neugier des Menschen
Allerdings funktioniert das nur, wenn die furchteinflößende Situation in einer kontrollierten Umgebung stattfindet - wie zum Beispiel auf dem heimischen Sofa. Damit Angst Spaß machen kann, müssen sich Menschen prinzipiell sicher fühlen. So gibt es beim Horrorfilm die nötige Distanz zum Geschehen - schließlich wird man ja nicht selbst von einem Axtmörder durch den Wald gejagt. Man weiß, dass einem nichts passieren kann.
Aus dieser sicheren Position heraus könne der Zuschauer seine morbide Neugier befriedigen, die in einigen Menschen schlummert, schreibt Rogers. Morbid-neugierige Menschen hegen ein überdurchschnittliches Interesse an unangenehmen Dingen wie etwa Verbrechen und halten die Welt generell für gefährlicher als die Mehrheit. "Die Gewalt, der Tod, die Zerstörung und die grotesken Elemente können Menschen einen sicheren Raum bieten, um Dinge zu erforschen, die in der realen Welt nicht sicher (oder sozial angemessen) sind."
Die Freude am Nervenkitzel gibt es dabei nicht erst seit der Erfindung der Filmkamera. Bereits unsere Vorfahren hatten Lust am Gruseln. "Früher gab es öffentliche Hinrichtungen oder Folter. Das waren Massenveranstaltungen, auch noch in unserer christlich geprägten Religion", sagte der Potsdamer Psychologe Gerd Reimann der dpa. Zu solchen grausigen Veranstaltungen strömten im Altertum und Mittelalter oft Menschen in Scharen - ähnlich wie heute ins Kino.
"Trainingslager für die Psyche"
Horrorfilm-Fans als Psychos mit ethisch fragwürdiger Blutlust abzustempeln, wäre jedoch falsch. Denn das Interesse am Schrecklichen kann sogar nützlich sein. Anders, als man vermuten würde, können Horrorfilme sogar einen langfristigen positiven Effekt auf den Zuschauer haben. Regisseur Wes Craven, der Gruselklassiker wie "Nightmare on Elm Street" (1984) oder "Scream" (1996) auf die Leinwand brachte, hatte einst Horrorfilme als "Trainingslager für die Psyche" bezeichnet - und dabei nicht ganz Unrecht gehabt.

Laut dem "Science of Scare Project 2023" zählt James Wans Film "Insidious" aus dem Jahr 2010 zu den fünf gruseligsten Filmen aller Zeiten.
(Foto: IMAGO/Capital Pictures)
Tatsächlich bestätigt die Forschung, dass die regelmäßige Konfrontation mit Horrorfilmen Menschen auch im echten Leben strapazierfähiger werden lassen kann. So zeigte eine Studie aus dem Jahr 2021, dass Menschen, die regelmäßig Horrorfilme konsumieren, während der Corona-Pandemie eine größere psychologische Resilienz aufwiesen. "Indem wir negative Emotionen in einem sicheren Raum - wie einem Horrorfilm - empfinden, können wir möglicherweise Fähigkeiten zur Emotionsregulierung aufbauen, durch die wir in realen Gefahrensituationen besser mit diesen Emotionen umgehen", resümiert Studien-Mitautor Coltan Scrivner.
Außerdem kann das regelmäßige Schauen von Horrorfilmen wie eine Art Konfrontationstherapie wirken und Zuschauern helfen, besser mit ihren Ängsten und Traumata umzugehen. "Sie bieten eine Möglichkeit, persönliche Grenzen auszutesten und zu überschreiten, um im wirklichen Leben möglicherweise weniger Angst zu haben oder sich weniger vor Dingen zu ekeln", erklärt Psychologe Rogers. Allerdings sei es wichtig zu erwähnen, dass dieses Phänomen keine universelle Gültigkeit habe. Es gebe auch Menschen, deren Unwohlsein durch die Gruselbilder verstärkt werde.
Grusel-Fan oder Horrorfilm-Hasser?
Horrorfilme sind nicht für jeden reizvoll. Es scheinen sich sogar regelrecht zwei gegensätzliche Lager gebildet zu haben: Die einen lieben das Genre, ihnen kann es nicht gruselig und grausam genug sein. Den anderen bescheren Horrorfilme lediglich Albträume. "Empirisch belegt ist, dass Männer prinzipiell lieber Horrorfilme schauen als Frauen", sagt Angela Schorr, Professorin für Medienpsychologie an der Universität Siegen, dem Magazin "Quarks". Ob jemand Horrorfilme mag oder nicht, hängt demnach in erster Linie von zwei Faktoren ab: Persönlichkeit und Erfahrung.
"Kinder und Jugendliche zeigen in Studien bis zu dreifach stärkere Angstreaktionen als Erwachsene bei Horrorfilmen. Das liegt auch daran, dass sie weniger Erfahrungen mit Horrorfilmen und generell mit Gewaltdarstellungen und Schreckmomenten haben", so die Medienpsychologin. Sie könnten noch nicht so gut zwischen realer und tatsächlicher Gefahr unterscheiden.
Wichtig ist: Niemand sollte zum Schauen eines Horrorfilms überredet oder gezwungen werden. "Wir haben Hinweise aus der Psychotherapie, dass vor allem Personen traumatisiert werden können, die nicht aus freien Stücken einen Horrorfilm sehen", erklärt Schorr. Ob am morgigen Donnerstag ein Horrorstreifen über den Bildschirm flimmern muss, sollte also jeder für sich selbst entscheiden. Halloween-Stimmung kann schließlich auch durch Kürbisschnitzen und Süßigkeiten aufkommen.
Quelle: ntv.de