Top of the Line BMW M 760 Li - der kann auch Rennstrecke?
05.02.2017, 16:53 Uhr
(Foto: Axel F. Busse)
Halb Supersportwagen, halb Luxuslimousine? Nur wenige Hersteller haben bisher Versuche in diesem winzigen Markt gestartet. Der aktuelle Beitrag von BMW: Zwölf Zylinder, 610 PS, 5,24 Meter Länge und Allradantrieb. Aber, wer braucht so was?
Die Frage, wer ein Auto wie einen BMW M 760 Li XDrive braucht, ist leicht zu beantworten: Derjenige, der sonst schon alles hat. Auch wenn die Zahl der Kunden hierzulande überschaubar bleiben dürfte, für ein Fahrzeug mit der Bezeichnung M 760 Li xDrive ist in den privaten Fuhrparks in USA, China oder dem mittleren Osten immer Platz. Zwar hätte BMW den in Europa relevanten Flottenverbrauch durch einen Verzicht auf das Modell sicher weiter senken können, doch die Aussicht, selbstbewusst neben Bentley- oder AMG-Limousinen einen Treppchenplatz einnehmen zu können, war wohl doch zu verlockend.

Äußerlich sieht man dem Bolzer seine Potenz kaum an. Aber wehe, wenn sie losgelassen.
(Foto: Axel F. Busse)
Das Entgegenkommen für die PS-verliebte Kundschaft führt zu einer interessanten Differenzierung des Angebots. Für die chinesischen Kunden wird der Wagen mit dem Zusatz "Excellence" versehen. Dort ist der Edel-Schlitten, der wohl ausnahmslos von angestellten Chauffeuren pilotiert werden wird, noch eine Spur komfortabler abgestimmt und mit mehr Zierrat veredelt. Jenseits des Atlantiks liegt der Schwerpunkt auf Renn-Trimm, es gibt Matt-Lackierung, reichlich Karbon, spezielle Felgen und große Lufteinlässe.
Mehr Power als in Le Mans
Daran, den langen Siebener mit dem V12-Motor Realität werden zu lassen, ist Rolls Royce nicht ganz unschuldig. Die zum Konzern gehörende Edelmarke fährt seit geraumer Zeit einen Zwölf-Ender mit sagenhaften 6,6 Litern Hubraum, dessen Grundsubstanz jetzt für den Über-Siebener genutzt wurde. Neue Kolben, Pleuel und andere Bauteile schufen eine BMW-konforme Leistungs- und Laufkultur. 610 Pferdestärken stehen zu Buche. Das ist mehr, als 1999 der Siegerwagen des 24-Stunden-Rennens in Le Mans hatte. Die Leistung jenes BMW V12 LMR ist, je nach Quelle, mit 560 bis 580 PS angegeben.

Klar kann ein BMW M 760 Li auf der Rennstrecke bewegt werden, aber eine Rennsemmel wird nicht aus ihm.
Der permanente Allradantrieb xDrive ist für den Normalbtrieb hecklastig ausgelegt. Das bedeutetet, dass der 760 Li auf einem Untergrund ohne Schlupfgefahr über die Hinterachse angetrieben wird. Im Bedarfsfall können jedoch bis zu 50 Prozent der Antriebskraft auf die Vorderachse geleitet werden. Die Wirkungsweise probiert man am besten auf einem Areal ohne störenden öffentlichen Verkehr aus. Die Frage, ob eine Limousine mit 3,21 Metern Radstand wirklich schwungvoll und dynamisch um eine Spitzkehre zu bringen ist, darf nach dem durchfahren eines gesicherten Rundkurses mit ja beantwortet werden.
Wie temperamentvoll der Edel-Kraftmeier wirklich ist, hat der Fahrer ohnehin selbst in der Hand und im Fuß. Nicht nur weil Gashebel und Lenkbewegungen das Ergebnis massiv beeinflussen, sondern auch, weil die wählbaren Fahrmodi dem Wagen eine erhebliche Spreizung des Charakters und des Fahrverhaltens ermöglichen. Auf kurvenarmen amerikanischen Highways gleitet der 760er lässig und flüsterleise dahin. Wer den Viertürer hingegen über die Rennstrecke peitscht, spürt eine Bissigkeit, die aber auf ein akustisches Muskelspiel vollends verzichtet. Vielmehr krall sich die Limousine dort in den Asphalt wo es Not tut, fordert den Fahrer aber auch im Sportmodus nicht über Gebühr und lässt trotz gestraffter Dämpfer genügend Raum für Komfort. Ein leichtes Untersteuern in langen, schnellen Kehren ist allerdings nicht wegzudiskutieren, da fordert der 285 Kilogramm schwere Motor auf der Vorderachse seinen Tribut. Die mitlenkende Hinterachse ist in so entstehenden Grenzsituationen ein Stabilitätsgewinn und macht den Ausritt in jeder Sekunde zum Vergnügen.
BMW-Individual: Wünschen ohne Grenzen
Die Sonderstellung des BMW 760 Li xDrive wird innerhalb der Baureihe dadurch dokumentiert, dass es keine anderen Zwölfzylinder gibt, auch nicht mit weniger Motorleistung oder kürzerem Radstand. Die Limousine ist definiert als das High-End-Produkt des bayerischen Automobilbaus. Und wem das nicht reicht, der wendet sich an BMW-Individual. Dort werden selbst die abseitigsten Kundenwünsche nach besten Kräften ins Werk gesetzt. Wie etwa neulich, als ein passionierter Angler die Klavierlackoberflächen des Interieurs durch die konservierte Haut seines größten Fangs ersetzt haben wollte.
Exzentrische Ideen sind überall auf der Welt zu Hause, weshalb der Leiter für Vertrieb und Marketing bei der BMW M-GmbH, Peter Quintus, beim 760er mit einem Veredelungsanteil von bis zu 30 Prozent rechnet. Andere Modellreihen bringen es auf höchstens zehn Prozent. Auch ohne den Eingriff der Individual-Kräfte eine Fundgrube an Luxus-Features. Für 166.900 Euro kann man schließlich einiges erwarten, wobei die Summe im Vergleich zu Wettbewerbern durchaus knapp kalkuliert erscheint. "Wir haben unser Auto ganz bewusst preislich etwas aggressiver positioniert", sagt Quintus. Er kann sich überdies sicher sein, dass kaum ein Kunde seinen Wagen in der Grundversion bestellt. Zwischen zehn und 20 Prozent des Basispreises werden gewöhnlich noch einmal in Optionen investiert.
Eine davon ist die Anhebung der serienmäßig limitierten Höchstgeschwindigkeit von 250 auf 305 km/h. Das nennt sich dann Driver's Package und öffnet die mögliche Gaszufuhr bis jenseits der prestigeträchtigen 300er-Marke. Wer denkt, damit sei das Zweitonnen-Schiff am Ende seiner Möglichkeiten angekommen, liegt falsch. Nur wird von Seiten BMWs niemand offiziell bestätigen, dass der Wagen auf dem firmeneigenen Testgelände in Miramas (Südfrankreich) mit 345 Stundenkilometern gemessen wurde. In diesen Regionen sind Reifen und Luftwiderstand die limitierenden Faktoren. Power steckt also reichlich drin, jedoch nehmen nur wenige der schnelligkeits-affinen Kunden die Möglichkeit des eintägigen Fahrertrainings wahr, das in den 2450 Euro für die Tempo-Entgrenzung enthalten ist.
Quelle: ntv.de