Gediegener Transporter Fahrt mit dem vielleicht letzten Mercedes E-Klasse T-Modell


Immer öfter bei Mercedes zu sehen: der Zentralstern im Grill statt Kühlerfigur.
(Foto: Mercedes)
Sag niemals nie, heißt es, aber derzeit scheint es so, als läute Mercedes mit der Vorstellung seiner praktischsten E-Klasse die letzte Episode des T-Modells ein. ntv.de hat die sogenannte Baureihe S214 erstmals fahren dürfen.
Irgendwann kommt die Zeit, da überlebt sich das einst Revolutionäre. Und dann wird das Kapitel abgeschlossen. Beim T-Modell der E-Klasse könnte es mit der jüngst vorgestellten Baureihe so weit sein. Hat der Kombi tatsächlich bald ausgedient? Vielleicht wäre das übertrieben zu sagen - aber andere praxistaugliche Automobilformate wie beispielsweise das SUV werden ihm zweifelsohne gefährlich, die Nachfrage ist einfach enorm. Womöglich ist das der Grund, warum Mercedes dem T-Modell einen leicht burschikosen All Terrain zur Seite stellt.
Aber lass kurz in den Rückspiegel schauen: Im Jahr 1978 brachte Mercedes seinen ersten offiziellen Großserienkombi in den Markt - damals in Gestalt der Baureihe 123. Nicht, dass es früher generell keine Kombis gegeben hätte, aber im Luxussegment? Eher nicht. Interessanterweise war der Kombi phasenweise immer wieder auch in den Vereinigten Staaten ein Thema, wo dort heimische Marken durchaus luxuriös und praxistauglich zugleich unterwegs waren. Hierzulande kämpfte der Kombi aber mit dem Stigma des unattraktiven Handwerker-Autos. Dabei konnte ein etwaiger 280 TE diese Unterstellung locker abwehren - allein schon mit seinem horrenden Preis.
Zurück in die Gegenwart. Mit dem Wissen, das vielleicht letzte T-Modell zu fahren, versucht man automatisch, das Erlebnis mit ihm intensiver aufzusaugen. Ich spaziere um das Fahrzeug herum, studiere jedes Blechteil. Schaue mir das lang wirkende Heck genau an. Dabei täuscht dieser Eindruck - das neue T-Modell ist mit 4,95 Metern exakt so lang wie die Limousine. Früher (und zwar bis zum direkten Vorgänger der Baureihe 213) war der Kombi immer geringfügig länger. Und noch etwas steht sinnbildlich dafür, dass der Zenit des T-Modells überschritten scheint.
Der S214 ist kein Laderaum-Monster
Waren die großen Edeltransporter aus dem Hause Mercedes früher mal absolute Champions, was die Größe des Kofferraums angeht, schrumpfte das Laderaumvolumen bis zum S213 massiv zusammen. So konnte die Mitte der Neunzigerjahre eingeführte Baureihe 210 noch bis zu 1975 Liter Gepäckäquivalent einladen - damals der Höhepunkt. Jetzt sind noch 1830 Liter (PHEV-Modelle sogar bloß 1675 Liter) drin. Das sind zwar 10 Liter mehr als beim Vorgänger, aber alte T-Modell-Charakteristik ist das mitnichten. Klar, das ist Meckern auf hohem Niveau, aber Mercedes muss aufpassen, dass sich am Ende nicht noch die Münchener die Krone schnappen beim Thema Praxistauglichkeit. Die kommende BMW-Fünfer-Reihe wird nämlich ziemlich groß.
Freilich ist alles vergessen, sobald ich am Steuer sitze. Jetzt fängt mich Mercedes wieder ein mit anschmiegsamen Lederfauteuils und tollem Superscreen. Der fällt nicht ganz so gewaltig aus wie der aktuell den EQ-Modellen vorbehaltene Hyperscreen, aber immer noch gewaltig genug. Und was die E-Klasse alles können soll, kann ich selbst auf dem Weg von München nach Südtirol gar nicht alles ausprobieren. Beispielsweise, dass eine Künstliche Intelligenz (KI) jetzt immer die Sitzheizung bei kühlen Temperaturen einschaltet, wenn ich das ein paar Mal getan habe. Dafür meldet sich irgendwann der Energizing-Coach mit Musikvorschlägen, ausdrucksstarken Farben seitens der Ambientebeleuchtung plus korrespondierender Sitzmassage. War wohl etwas müde am Steuer. Auch gut, dass wenigstens die Passagiere hinten dank rund zwei Zentimeter gewachsener Breite und Radstand etwas mehr Platz haben als früher, wenn man beim Ladevolumen schon was abknapst.
Das Infotainment-Potenzial im 214er ist unerschöpflich

Kleine Mercedes-Sternchen als LED-Signatur der Schlussleuchten verleihen der E-Klasse Wiedererkennungswert.
(Foto: Mercedes)
Eine große Hilfe ist der inzwischen recht ausgereifte Sprachassistent, mit dem man sich flüssiger unterhalten können soll als früher. In dieser Disziplin ist Mercedes tatsächlich nicht schlecht. Und darin, kultiviert laufende Selbstzünder zu bauen. Ich habe mir für den Anfang einen bodenständigen (falls man das angesichts von 66.818 Euro Grundpreis überhaupt so sagen kann) E 220d mit 194 plus inzwischen 23 Elektro-PS herausgepickt, um letztlich festzustellen, dass man mehr Motor gar nicht braucht. Dieser drehmomentstarke Vierzylinder-Diesel mit zwei Litern Hubraum (440 Newtonmeter) zerrt den Zweitonner hinreichend energisch Steigungen hinauf oder macht souverän seine Runden auf der Autobahn. Dank Neungang-Wandlerautomatik bleibt die Drehzahl außerdem meist schön niedrig, was dann auch in Verbräuchen von unter sechs Litern (WLTP) pro 100 Kilometer resultiert.
Apropos Antrieb und Verbrauch. Mercedes ist stolz auf seine Plug-in-Hybride (Benzin und Diesel) samt installierten 25 kWh Strommenge, um rund 100 Kilometer rein elektrisch fahren zu können. Hier schon mal zu fahren: der etwas später einsetzende Selbstzünder mit 313 PS Systemleistung. Mit der Kombination Selbstzünder und E-Maschine hat Mercedes nicht nur einen einzigartigen Produktvorteil, sondern einen durchaus geschmeidigen Antriebsstrang geschaffen. Weil der Diesel generell nicht so hoch dreht wie der Benziner, wirkt das Package irgendwie weniger hektisch. Und die betriebsstrategischen Übergänge zwischen Verbrenner erfolgen weitgehend glatt. Nimmt man beide Aggregate zusammen, marschiert der hier als Allradler ausgeführte Benz schon sportiv vorwärts.
Beschleunigungszeiten bleibt der Hersteller noch schuldig, aber kaum vorstellbar, dass der 300de länger als sieben Sekunden für den Sprint auf 100 km/h benötigt. Rein elektrisch ist aber auch schon nicht unsouverän mit 129 PS. Verschiedene Fahrmodi beeinflussen freilich die Betriebsstrategie. In der elektrischen Einstellung steht der Verbrenner jedenfalls bis zur Kickdown-Schwelle still, sollte genügend Saft in der Batterie sein.
Der betagte 124er hat alles, was man braucht

Im Vergleich zu heutigen E-Klassen wirkt der W124 geradezu zierlich. Die 4Matic-Variante ist rar.
(Foto: Mercedes)
Bevor das Kapitel E-Klasse T-Modell im Rahmen dieser Abhandlung endet, muss aber unbedingt noch die anschließende Fahrt im Klassiker der Baureihe 124 stattfinden. Die Mercedes-Klassikabteilung hat dem S214 nämlich unter anderem einen 300 TD Turbo 4Matic zur Seite gestellt. Und der hat für das Jahr 1989 bereits unglaublich fortschrittliche Dinge an Bord wie beispielsweise Doppelairbag. Die sich dringend stellende Frage lautet nun, ob man auch ohne 4D-Burmester-Sound plus Dolby Atmos, fancy Head-up-Display, KI, Monster-Touchscreen, ferngesteuertes Parken per Smartphone-App und Videostreaming leben kann.

Kenner identifizieren den kräftigen Turbodiesel anhand der Lufteinlassschlitze im rechten Kotflügel.
(Foto: Mercedes)
Und ob! Ich könnte mit dem betagten Turbodiesel - 143 PS samt Viergang-Wandlerautomatik und 250.000 Kilometer auf der Uhr - gefühlt gleich von Brixen nach Berlin oder Köln fahren, ohne mit der Wimper zu zucken. Der Kombi, dessen selbstzündender Dreiliter-Reihensechszylinder nur etwas mehr Power hat wie die E-Maschine des PHEV allein, fährt geschmeidig und komfortabel. Nur einen Tempomat hat der Vorbesitzer vergessen zu bestellen - dann wäre die Langstrecke perfekt zu meistern.
Dass ein Kombi heute wie damals bei Mercedes kein günstiges Vergnügen ist, zeigt der Preis des ollen Dreihunderters. Als Turbo mit den markanten Lufteinlassschlitzen im rechten Vorderkotflügel sowie einer Hand voll Optionen wie Klima, Leder plus feinem Becker-Radio stößt der praktische Benz damals fast an die 90.000-Mark-Grenze. Für dieses Budget hätte der Geschäftsmann oder die Geschäftsfrau auch einen luxuriösen 500 SE bekommen, wenngleich nur in Grundausstattung. In der heutigen Zeit, da nobel ausgestattete T-Modelle auch mal 100.000 Euro und mehr kosten können, erscheint das surreal günstig. Übrigens ist der schwäbische Alleskönner S214 auch als E 450 4Matic mit sonorem Reihensechszylinder und Reserven ohne Ende (381 plus 23 PS) zu haben.
Ob die Story des T-Modells mit der aktuellen Ausführung wirklich endet, muss man sehen. Wäre doch schade, wenn Autofahrer mit den Wunsch nach mehr Praxistauglichkeit unweigerlich dazu verdonnert würden, auf ein SUV umsteigen zu müssen.
Quelle: ntv.de