Zum Herausforderer geboren AMG GT - Selbstbewusst gegen den 911er
12.09.2015, 11:54 Uhr
Vorn 19-, hinten 20-Zoll-Felgen: Ein selbstbewusster Auftritt des Mercedes-AMG GT-S.
(Foto: Textfabrik/Busse)
Der SLS war so fabelhaft wie ein Einhorn, näher an der Lebenswirklichkeit der meisten Sportwagen-Kunden ist der AMG-GT. Immer noch recht kostspielig, aber handhabbar und geerdet. Was noch in ihm steckt, zeigt der n-tv.de-Praxistest.
Pferde und Stiere, Sterne und Propeller, jede Menge Federschwingen – was hat man nicht schon alles an Firmenwappen und Markenlogos von Autoherstellern gesehen? An einen Baum, der reiche Früchte trägt, wird man sich erst gewöhnen müssen. Es ist das Signum der schwäbischen Gemeinde Affalterbach und es ziert die Mittelarmlehne eines der spannendsten Sportcoupés deutscher Herkunft: des Mercedes-AMG GT-S.

Die trapezförmigen Endrohre des Mercedes-AMG GT-S entlassen einen sonoren Abgas-Sound.
(Foto: Textfabrik/Busse)
Nach dem Flügeltür-Hammer SLS ist es erst die zweite komplette Eigenentwicklung der ehemaligen Mercedes-Sportabteilung und deshalb ist der 5000-Seelen-Ort vielleicht auch noch nicht so bekannt wie Maranello, Sant’Agata, Stuttgart und München, wo die anderen Markenlogos herkommen. Aber die zahlreichen Äpfel an dem Wappen-Baum haben Symbol-Charakter: Allein in Deutschland wurden dieses Jahr schon rund 1000 der zweisitzigen Boliden neu zugelassen.
Das ist enorm, denn unter 115.000 Euro ist keiner davon zu haben. Die 510 PS starke "S"-Version kostet sogar 134.351 Euro – ohne Extras versteht sich. Gegenüber dem wuchtigen SLS wirkt der GT fast filigran, trägt nicht so dick auf. Das muss auch so sein, denn sein Widersacher ist ebenfalls drahtig und muskulös. Der Porsche 911. Ob man nun den Turbo oder den GT3 zum Konkurrenten erklären will, ist eine Frage der Perspektive: Der eine hat einen aufgeladenen Motor, der andere Heckantrieb – der AMG hat beides. Und er hat einen Kostenvorteil. Vom GT3 trennen den AMG zwar nur wenige Scheine, aber vom 911 Turbo immerhin rund 30.000 Euro.
Wo es heiß hergeht
Dass Autos mit dem Stern günstiger sind als die Wettbewerber kennt man so nicht, dass sie mindestens genauso gut aussehen, schon. Die fast 1,80 Meter lange Haube ist kein maskulines Imponiergehabe, sondern technische Notwendigkeit. Damit der Vierliter-V8 hinter der Vorderachse montiert werden kann und nicht in die Passagierzelle hineinragt, muss der Motordeckel so lang sein. Willkommener Nebeneffekt ist eine sehr ausgewogene Gewichtsverteilung. 53 Prozent Achslast – also rund 832 Kilogramm - befinden sich hinter den Insassen. Das Doppelkupplungs-Getriebe, das in der sogenannten Transaxle-Bauweise montiert ist, trägt einen Gutteil zu diesem Verhältnis bei.
In der knapp 1,30 Meter flachen Kabine geht es ebenso kompakt wie edel zu. Man schlüpft hinein wie in einen knapp geschnittenen Trainingsanzug. Vielleicht hätte die Mittelkonsole nicht ganz so mächtig ausfallen müssen, aber schließlich soll man im Cockpit auch keine Dehnübungen machen, sondern ein Fahrerlebnis besonderer Art zelebrieren. Dass es nicht nur unter der Haube, sondern auch im Innenraum heiß zugehen kann, signalisieren die Ausströmer-Öffnungen, von denen es tatsächlich sechs Stück gibt. Vier davon sind mittig unter dem Zentral-Monitor angeordnet, der wie ein mobiles Tablet aufrecht in der Ledermulde des Armaturenbretts steht. Die Funktionsbefehle erhält das Display von einem Dreh-Drücksteller, über den sich die Handballenauflage wölbt.
Bicolor nicht für jedermann
Die Bicolor-Innenausstattung des Testwagens (Aufpreis 4641 Euro) mag nicht jedermanns Geschmack sein. Die roten und schwarzen Flächen aus anschmiegsamem Nappaleder passen aber zum Charakter des Fahrzeugs, zu dessen Stärken ein unauffälliger Auftritt nicht gehört. Das Anlassgeräusch, das per Druckknopf an der Mittelkonsole entfacht wird, lässt keinen Zweifel daran, dass hier ein selbstbewusster Herausforderer den sportlichen Wettkampf sucht.
Der unvergleichliche Klang des Achtzylinders ist schon im Leerlauf Ehrfurcht gebietend. Zwar wird immer wieder das baldige Aussterben der V8-Motoren beschworen, aber eigentlich gibt es dafür keinen Grund. Im Falle des GT-S sind die Zylinder noch 500 Kubikzentimeter groß, macht zusammen vier Liter Hubraum. Dass Downsizing bis in ganz andere Dimensionen möglich ist, hat Honda schon 1965 in der Formel 1 gezeigt. Der Rennmotor hatte zwölf Zylinder – bei 1,5 Litern Hubraum. Dank doppelter Turboaufladung bringt es das Mercedes-Coupé auf 510 PS, das sind 44 Pferdestärken mehr, als sie das Schwestermodell GT aufbietet. Damit beschleunigt der GT-S in 10,8 Sekunden, wie andere Tester herausfanden – auf 200 km/h!
Flüssig sortierte Übersetzungen

Weiches Nappaleder in provozierender Koloration: "Red Cut"-Interieur kostet 4641 Euro.
(Foto: Textfabrik/Busse)
Die Hunderter-Marke fällt schon nach knapp vier Sekunden, und es braucht volle Konzentration, um bei dem Gebrüll des V8 nicht die Nerven zu verlieren und vom Gas zu gehen. Schon im Komfort-Modus gönnt sich das Getriebe keine Denkpausen. Stellt man an dem über dem Startknopf angeordneten Fahrmodi-Schalter "S+" ein, kommt der Fahrer kaum mit dem Denken hinterher, so flink und flüssig sind die Übersetzungen durchsortiert.
Schwer zu zähmen, eigenwillig oder gar bockbeinig ist das Coupé nicht. Eher geschmeidig und freundlich, so lange der Gasfuß nicht zu unkontrolliert zuckt. Da Traktion keine Mangelware ist, braucht auch niemand Respekt vor den 650 Newtonmetern Drehmoment zu haben, die ab 1750 Kurbelwellen-Umdrehungen bereit stehen. Die 295er-Pneus, hinten auf 20-Zoll-Felgen montiert, krallen sich in den Belag und schieben unerbittlich an. Und zwar in die gewünschte Richtung, obwohl man bei den Leistungswerten leicht mit einem nervösen Heck rechnen könnte.
Die Wahl der richtigen Richtung ist überhaupt ein Kapitel für sich: Die Lenkung ist – bis auf eine Winzigkeit - einfach ein Gedicht. Die Servo-Unterstützung ist genau so portioniert, dass einerseits das Motorgewicht nicht spürbar ist, es andererseits aber nicht an Direktheit und Präzision fehlt. War beim SLS noch ein gewisser Kraftaufwand nötig und die Rückmeldung nicht immer zuverlässig, so reagieren die Vorderräder hier unmittelbar schon auf wenige Grad Einschlagswinkel. Auch wenn man weiter als bei anderen Sportwagen von der Lenkachse entfernt sitzt, gibt es null Probleme, die Peilung zu treffen – nicht zuletzt, weil es vorn genug Grip gibt. Lediglich zum Rangieren in der Stadt oder auf dem Parkplatz dürfte noch etwas mehr Lenkhilfe sein. Auf die Rückfahrkamera (+476 Euro) sollte man auf keinen Fall verzichten: Die elegant bündig eingepasste, aber äußerst flache Heckscheibe dient allenfalls zur Aufhellung des Innenraums - sehen kann man dadurch nicht allzu viel.
Standfest und gut dosierbar

Auch im Detail überzeugt die kraftvolle Linienführung des Mercedes-AMG GT-S.
(Foto: Textfabrik/Busse)
Als Serienausstattung bringt die "S"-Version ein Sportfahrwerk und ein elektronisches Hinterachs-Sperrdifferenzial mit sowie die schaltbare Performance-Abgasanlage. Standard sind weiterhin schlüsselloses Zugangssystem, Tempomat, Klimaautomatik, Licht- und Regensensor, Kollisionswarnung und Bremsassistent, Knie-Airbags für Fahrer und Beifahrer, automatische Kindersitzerkennung und ein Multimedia-System mit zwei USB-Anschlüssen. Für das online-fähige Comand-System wird ein Aufpreis von 3510 Euro fällig.
Je nach Wunsch präsentiert sich der GT-S unterwegs als gelassener Cruiser oder bissiger Racer. Cruisen ist immer dann eine gute Option, wenn man nicht bei einer Mineralöl-Gesellschaft beschäftigt ist und auf Personalrabatt tanken kann. Zwar soll der AMG-Zweitürer nach EU-Normtest mit 9,4 Litern je 100 Kilometer auskommen, doch das ist graue Theorie. Alles, was der Bordcomputer unter 11 Litern anzeigt, kann als Ausweis äußerst zurückhaltender Fahrweise gelten. In diesem Test waren es am Ende 11,8 Liter, denn ganz ohne gelegentliche Ausflüge in den Hochgeschwindigkeits-Bereich kann man eigentlich gleich die Finger vom GT-S lassen.
Für die Kunden, die aus ihrem kostspieligen Pkw ein richtig teures Auto machen wollen, hat Mercedes (ebenso wie Porsche oder Audi) eine Bremsanlage mit Scheiben aus Keramik-Verbundstoff im Programm. Sie kostet 8270 Euro. Standfestigkeit und gute Dosierbarkeit kann ihr nach diesem Test bescheinigt werden, jedoch muss die Frage, ob Standardbremsen ein wesentlich schlechteres Ergebnis erbracht hätten, unbeantwortet bleiben.
Eine andere ist dagegen geklärt, nämlich die nach der Alltagstauglichkeit. Die Testfahrt mit dem SLS AMG-Roadster war seinerzeit geprägt von strenger Limitierung des mitführbaren Gepäcks. Unter der von innen zu öffnenden Heckklappe bietet der AMG GT fast doppelt so viel Stauraum an, wie jener. Der offizielle Wert beträgt 350 Liter Volumen, das ist Kompaktklasse-Standard. Die Versteifungsstrebe hinter den Sitzen stört nicht beim Beladen, die hohe Kofferraumkante muss man aber hinnehmen, denn auch sie ist trägt zur Verwindungs-Armut der Karosserie bei. Solide wie der Stamm im Markenlogo: Die Wappenprägung mit dem Motiv von Apfelbaum und Ventilstössel ist übrigens nur für den GT-S vorgesehen.
Fazit: Solch ein Sportwagen hat im Mercedes-Programm gefehlt. Er kommt nicht so aufgeblasen daher wie der SLS, aber auch nicht so tugendhaft wie der SL. Seine erstklassigen Fahreigenschaften sind geeignet, ambitionierte Sportfahrer zum Markenwechsel zu motivieren. Eine Mindest-Exklusivität wird vom Anschaffungspreis garantiert, für weitere Individualisierungs-Möglichkeiten sorgt der Hersteller. Verbrauch ist eine zu vernachlässigende Größe für die meisten Kunden in diesem Segment, was zählt, ist Dynamik. Und davon bietet der AMG GT-S allerhand.
DATENBLATT | Mercedes AMG GT-S |
Abmessungen (Länge/Breite/Höhe) | 4,55 / 1,94 / 1,29m |
Leergewicht (DIN) | 1629 kg |
Sitzplätze | 2 |
Ladevolumen | 350 Liter |
Motor | V8-Zylinder-Turbo-Ottomotor mit 3982 ccm Hubraum |
Getriebe | 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe |
Systemleistung | 375 kW/ 510 PS |
Kraftstoffart | Superplus |
Antrieb | Heckantrieb |
Höchstgeschwindigkeit | 310 km/h |
max. Drehmoment | 650 Nm bei 1750 U/min |
Beschleunigung 0-100 km/h | 3,6 s |
Normverbrauch (Stadt, Land, kombiniert) je 100 km | 12,2 / 7,8 / 9,4 l |
Testverbrauch | 11,8 l |
Tankinhalt | 75 l |
CO2-Emissionen (Normverbrauch) | 219 g/km |
Emissionsklasse | EU 6 / G |
Grundpreis | 134.351,00 Euro |
Preis des Testwagens | 173.674,55 Euro |
Quelle: ntv.de