Individueller Stromer aus UK Jaguar I-Pace - immer noch up to date?


Die neueste Ausgabe des Jaguar-Stromers ist durch den geschlossenen Grill gekennzeichnet. Matrix-LED-Scheinwerfer gibt es gegen Aufpreis.
(Foto: Patrick Broich)
Kaum jemand weiß: Der Jaguar I-Pace war, abgesehen von den Tesla-Modellen, das erste fahrdynamisch spannende Elektroauto noch vor Fahrzeugen wie Porsche Taycan und selbst knapp vor dem Audi E-Tron. Wie schlägt sich der Brite heute?
"Alles hat seine Zeit", sagt ein Sprichwort. Eine Binsenweisheit. Anhand von Jaguars Modellpalette kann man sehr schön sehen, dass an dieser Erkenntnis etwas dran ist. Wussten Sie, dass Jaguar bereits vor sechs Jahren richtig durchstarten wollte mit der Elektromobilität? Auf dem Genfer Salon im Frühjahr 2018 konnte die Weltöffentlichkeit erstmals überhaupt ein richtig ambitioniertes Elektroauto bestaunen. Okay, Tesla Model S und Roadster seien an dieser Stelle einmal ausgeklammert. Man muss das so drastisch formulieren, denn zu dieser Zeit waren weder Offerten wie der Audi E-Tron oder der Mercedes EQC vorgestellt. Und der Porsche Taycan sowieso noch lange nicht.

Was ist der Jaguar I-Pace eigentlich? Limousine oder SUV? Mit der flachen Linie geht er jedenfalls als Crossover durch.
(Foto: Patrick Broich)
Und genauso drastisch, wie der Jaguar I-Pace damals war, also ein innovatives elektrisch angetriebenes Auto für Early Adopter, ist die Jaguar-Geschichte seit Debüt des I-Pace verlaufen. Leider im negativen Sinne. Es ist nämlich eine Geschichte der Verluste. Vor allem im Hinblick auf das Modellangebot. Da wäre der Verlust der XJ-Baureihe. Der Verlust des Sechs- und Achtzylinders für die XF-Reihe. Und überhaupt sind die Kombis und Limousinen der Marke längst in die Bedeutungslosigkeit abgedriftet.
Für die SUV der Marke gilt das freilich nicht. Und das hier besprochene elektrisch angetriebene SUV (wobei, eigentlich ist es eher ein Crossover dank flacher Linie mit 1,57 Metern Höhe) verdient durchaus, noch einmal näher betrachtet zu werden. Schließlich muss ja nicht schlecht sein, was vor ein paar Jahren einmal richtig gut war. Schlecht sowieso nicht. Gutes Stichwort, das will ausprobiert werden.
Nach sechs Jahren noch attraktiv

Mattlack in Kombination mit schwarzen Felgen ergibt ein sexy Erscheinungsbild. Das mit 4,68 Metern Außenlänge der Mittelklasse zugehörige BEV macht immer noch an.
(Foto: Patrick Broich)
Nachdem ich aufmerksam registriert habe, dass dieser frisch zugelassene I-Pace auch äußerlich nicht mehr der von vor sechs Jahren ist (die Front mit der jetzt geschlossenen Maske fällt sofort ins Auge), schaue ich innen genau hin. Das geräumige Interieur ist nach wie vor nobel und der Brite präsentiert sich, was Materialverarbeitung angeht, von seiner besten Seite - ein Vorteil der langen Bauzeit.
Und die Innenarchitekten waren auch nicht die unkreativsten; sie haben Ästhetik mit Praktikabilität verbunden. So gibt es einen exponierten Bereich auf der Mittelkonsole mit einer ganzen Reihe an physischen Tasten (gut bedienbar). Zudem weilt etwas höher ein Display nebst Drehreglern zur Bedienung der Klimaautomatik. Noch ein Stückchen weiter oben hockt selbstverständlich ein Touchscreen - zehn Zoll groß. Und auch das Kombiinstrument besteht aus reiner Displayfläche (12,3 Zoll). Man übertreibt keineswegs mit der Aussage, das Interieur sei State of the Art.

Dass dieser Brite bereits sechs Jahre auf dem Buckel hat, sieht man seinem Innenraum kaum an. Es geht immer noch schick zu und das Infotainment ist auf einem modernen Stand.
(Foto: Patrick Broich)
Spricht eigentlich überhaupt etwas gegen den I-Pace? Antriebsseitig kommen jedenfalls ebenso keine Klagen auf, zumal die beiden Permanentmagnet-Synchronmotoren 400 PS an die Pneus des Nobel-Stromers mit dem attraktiven Design schicken sowie 696 Newtonmeter Gesamtdrehmoment. Ein beherzter Tritt auf das rechte Pedal katapultiert den mit 2,2 Tonnen Leermasse noch verhältnismäßig leichten Elektro-Jaguar dann auch wuchtig nach vorn (4,8 bis 100 km/h) und beschleunigt ihn bis 200 km/h. Dabei klingt das Sirren der Triebwerke weit entfernt vom Passagier.
Und es ist nicht nur die reine Längsbeschleunigung, die die Mundwinkel nach oben zieht. Der optional luftgefederte I-Pace macht generell einen ausgewogenen Eindruck. Hier haben die Ingenieure gute Abstimmungsarbeit geleistet. Er rollt geschmeidig ab, federt Bodenwellen wirkungsvoll weg, ohne dynamische Einlagen auf der kurvenreichen Landstraße abzublocken. Die solide rückmeldende Servolenkung macht das Fahrdynamikkapitel rund. Beeindruckend ist vor allem, wie leichtfüßig der schwere Brite Querperformance lebt - hier spielt natürlich der Schwerpunkt eine Rolle. Die schweren Akkus im Unterboden sorgen hier für eine gewisse Ausgewogenheit.
Der Jaguar I-Pace verbraucht zu viel

Über die Platzverhältnisse in der zweiten Reihe kann man sich nicht beschweren.
(Foto: Patrick Broich)
Bis hierhin ist der I-Pace ein feines Auto. Das Alter geht natürlich nicht spurlos an der Raubkatze vorbei. So ist die Ladeperformance beispielsweise nicht mehr angemessen für ein Auto dieser Klasse. ntv.de hat Ladetests durchgeführt, in deren Zuge der I-Pace binnen zehn Minuten 33 Kilometer Reichweite zugelegt hat. Und selbst unter optimalen Bedingungen schafft der Allradler in dieser Zeit nicht mehr als 85 Kilometer (eine optimistische Werksangabe). Schließlich beträgt die Ladeleistung lediglich 100 kW. Und der durchschnittliche WLTP-Verbrauch von 22,1 bis 25,2 kWh je 100 Kilometer saugt den mit 87,4 kWh nutzbarer Energie gesegneten Akku innerhalb von maximal 469 Kilometern leer. In der Realität sind es wegen des hohen Praxisverbrauchs eher unter 400 Kilometer. Ob man damit glücklich wird oder nicht, kommt tatsächlich auf den Anwendungsfall an.
Man kann den I-Pace tatsächlich mögen. Das Crossover ist ja nicht nur individualistisch, es gibt obendrein jede Menge Fahrspaß. Und wer beispielsweise überwiegend heimischen Sonnenstrom aus der eigenen Photovoltaikanlage lädt, bekommt ohnehin keine Rechnung (falls einem der hohe Energieverbrauch nicht passt). Für ausgedehnte Urlaubsfahrten ist der I-Pace eine feine Wahl ob seiner großzügigen Platzverhältnisse - die etwas längeren Ladepausen gehen in Ordnung, wenn man den Weg als Ziel betrachtet. Ansonsten könnte dieser Punkt tatsächlich das Ausschlusskriterium sein. Auch dass die Wärmepumpe nicht in der Preisliste erscheint, ist ein Zeichen dafür, dass der I-Pace einer alternden Elektroautogeneration entstammt.
In puncto Infotainment ist der Brite dann aber doch up to date. So präsentiert sich das Navigationssystem mit der Marketingbezeichnung "Pivi Pro" frisch modernisiert und überzeugt auch mit seiner Lotsenführung, wenngleich die Bedienung ein bisschen wirr anmutet. Dafür finden die hinteren Passagiere die gleichen fein klickenden Temperaturdrehregler vor wie vorn (lassen sich zwecks Aktivieren der Sitzheizung auch drücken) nebst zahlreichen USB-Anschlüssen.
Und dann macht der I-Pace auch noch auf Packesel: Legt man die Rücksitzlehnen um, passt Gepäck im Äquivalent von knapp 1500 Litern in den Kofferraum, dessen Heckklappe selbstverständlich elektrisch öffnet und schließt. Für stramme 92.400 Euro darf man das natürlich auch erwarten - formal zählt der 4,68 Meter lange Jaguar I-Pace ja bloß zur Mittelklasse.
Ironischerweise hat Jaguar nach einigen strategischen Manövern - und damit eben auch nach einer längeren Zeit des Stillstands - angekündigt, ab 2025 nur noch Stromer anzubieten. Dann allerdings basierend auf einer komplett neu entwickelten Plattform, die hoffentlich alle modernen Finessen der Elektromobilität bietet von hoher Effizienz bis zur blitzschnellen Ladegepflogenheit. We'll see.
Datenblatt Jaguar I-Pace EV400 AWD
Abmessungen (Länge/Breite/Höhe) | 4,68 / 2,01 (Außenspiegel eingeklappt) / 1,57 m |
Radstand | 2,99 m |
Leergewicht (DIN) | 2226 kg |
Sitzplätze | 5 |
Ladevolumen | 505 bis 1453 l |
Motorart | Zwei Permanentmagnet-Synchronmaschinen |
Getriebe | Eine Übersetzung, fest |
Systemleistung | 400 PS (294 kW) |
Antrieb | Allradantrieb |
max. Drehmoment | 696 Nm |
Beschleunigung 0-100 km/h | 4,8 s |
Höchstgeschwindigkeit | 200 km/h |
Akkukapazität | 84,7 kWh (netto) |
Maximale Ladeleistung (Gleichstrom) | 100 kW |
Ladeleistung (Wechselstrom) | 11 kW |
Verbrauch (kombiniert) | 22,1 bis 25,2 kWh |
kombinierte WLTP-Reichweite | Bis zu 469 km |
CO₂-Emission kombiniert | 0 g/km |
Grundpreis | Ab 92.400 Euro |
Fazit: Der in Graz bei Magna gefertigte Jaguar I-Pace ist eine heimliche automobile Legende, die noch lebt. Denn was kaum jemand weiß: Der drahtige Crossover war nicht nur Jaguars erster Stromer, sondern generell das erste emotionale batterieelektrisch angetriebene Fahrzeug mit hoher Fahrdynamik außerhalb von Elektropionier Tesla. Dass der Premium-Allradler in die Jahre gekommen ist, erkennt man an seiner mauen Ladeperformance und der mäßigen Effizienz. Attraktiv ist der Brite dennoch und besticht durch sportiv-elegantes Design sowie feine Fahreigenschaften. Wer weiß, vielleicht wird aus dem Vorreiter ja mal ein interessanter Klassiker. Dass er auf unseren Straßen eher rar ist, könnte an seinem durchaus strammen Preis liegen.
Quelle: ntv.de