Fünf Jahre zu Fuß durch Europa "Deutschland ist eine Perle, aber … "
25.05.2019, 10:08 Uhr
Heiko Gärtner und Tobias Krüger sind mit sogenannten Pilgerwagen unterwegs - so wandern sie seit fünf Jahren durch Europa. Das nächste Ziel: Afrika.
Heiko Gärtner und Tobias Krüger wandern seit fünf Jahren durch Europa. Die beiden Survival-Experten aus Bayern haben 46 Länder bereist und erzählen nun, kurz vor der großen Europawahl, was sie unterwegs erlebt haben. Warum Montenegro und Slowenien die tollsten Reiseländer sind, wie sie mit überraschend freundlichen Flüchtlingsschleusern sprachen und wie sich ihr Bild von Deutschland verändert hat.
n-tv.de: Ihr seid seit fünf Jahren unterwegs. Zu Fuß durch 46 Länder in Europa. Wo war es am schönsten?
2014 brachen Heiko Gärtner und Tobias Krüger auf. Ihr Ziel: Ohne Geld rund um die Welt. Mittlerweile haben sie Europa erwandert und sind nun auf dem Weg nach Afrika. Ihren langen Marsch wollen sie dazu nutzen, Spenden für Umweltschutzprojekte zu sammeln und gleichzeitig Wissen über Naturmedizin und das Leben im Einklang mit der Natur zu erforschen. Verfolgen kann man das Abenteuer der beiden Bayern unter www.lebensabenteurer.de
Krüger: Was die Natur angeht, war es Montenegro. Fast alles, was es so an Naturschönheiten irgendwo auf dem Planeten gibt, ist dort vereint. Da gibt es zum Beispiel den zweitgrößten Canyon der Welt, Steilklippen, Wälder, wie man sie sich für Skandinavien vorstellt, die wir dort aber gar nicht gefunden haben.
Gärtner: Du hast dort ohne Ende Schlangen, Schildkröten, Echsenarten. Es ist sehr ursprünglich, man kann aus jeder Quelle trinken, das ist genial.
Krüger: Wenn es nach den Menschen geht, war es Slowenien. Dort sind die Leute am gastfreundlichsten. Du kommst irgendwohin und wirst sofort eingeladen.
Gärtner: Frisches Brot, Slibowitz, Kuchen … wenn du dort jede Einladung annehmen würdest, wärst du an einem Tag zehn Kilo dicker. Du kommst maximal an drei Häusern vorbei, bis dich der nächste einlädt. Sobald du ein Wanderer bist, wirst du eingeladen.
Wie kommt das denn?
Gärtner: Die Menschen dort auf dem Balkan sehen in einem Wanderer weniger einen Fremden, sondern eher einen, der Wissen bringen könnte.
Ist das etwas, was man mitnimmt und übernimmt?
Gärtner: Man nimmt wirklich von jedem einzelnen Land Eigenschaften mit, die man als positiv einstuft. Ganz einfaches Beispiel: In Italien gibt es immer ein Mittagsschläfchen. Das ist so nährend und stärkend, das nimmst du mit! Wenn du siehst, wie die Griechen ihre Salate zubereiten, mit dem Olivenöl und den gesunden Zutaten, das nimmst du auch mit.
Gab es auch Länder, die euch enttäuscht haben?
Krüger: Ja, in Skandinavien. Wir erwarteten wilde Natur und freundliche Menschen, ein Paradies im Norden. Wir sind einmal um die Ostsee herumgewandert und es ist schon richtig, man ist viel im Wald. Aber jeder Wald ist in Reih und Glied gleich aufgebaut, das ist die reine Forstwirtschaft. Und die Menschen sind sehr vorsichtig. In Finnland wollte uns ein Mann von seinem Grundstück jagen, weil er erst gar nicht verstand, dass wir nur Wasser wollten. Dann bot er uns schließlich auch etwas zu essen an. Er meinte, sonst wollten die Leute immer nur etwas verkaufen.
Gärtner: Wenn man aber mit den Einheimischen in Finnland, den Samen, rausgeht, ist das anders. Sie haben uns auch in die Fischgründe in den Mooren geführt, wo noch der alte Reichtum war. Da wirfst du die Angel aus und während der Blinker noch nicht das Wasser berührt hat, hast du schon den ersten Hecht am Haken baumeln. Genial.
Europa wird manchmal als Einheit beschrieben. Wie habt ihr das erlebt?
Gärtner: Das Europa eine Einheit ist, stimmt meiner Meinung nach nur in der Industrie und der Wirtschaft. Die ähnelt sich überall. Aber wenn man die Länder selber durchwandert, sieht man riesige Unterschiede. Im Norden Schweden gibt es Gebiete, wo man im Winter mit Ofen, Elektroheizung und Kachelofen zugleich einen Raum gerade einmal auf 13 Grad geheizt bekommt. Einen Menschen der dort lebt, kann ich doch niemals vergleichen mit einem Menschen der in Süditalien lebt und mir sagt: "Ich habe gar keine Heizung. Wenn Winter ist, habe ich 19 Grad in meiner Bude."
Wie ist euch die EU unterwegs begegnet?
Krüger: Europa ist ein absoluter Segen. Du brauchst kein Visum und hast immer eine Arbeitserlaubnis. Aber es gibt auch die Negativseite der EU. Geisterflughäfen und Geisterstädte in Spanien zum Beispiel. Oder von Brüssel finanzierte öffentliche Trimm-Dich-Fitnessgeräte in ganz Europa, die kaum jemand nutzt. In Portugal haben wir viele arbeitslose Jugendliche getroffen, die einfach nur frustriert sind.
Eure Reise begann 2014 und fällt damit in die Zeit der Flüchtlingskrise. Wie habt ihr die wahrgenommen?
Gärtner: Wir haben Orte in Schweden gesehen, die wieder aufblühten, weil ein syrischer Arzt eine Praxis aufgemacht hat. Wir haben mit Schleusern in Griechenland gesprochen, die selbst Flüchtlinge waren und überraschend nett waren. Die sagten, "Ich finde hier keinen Job, also helfe ich anderen Familien herüberzukommen." Auf dem Balkan sprachen wir mit Menschen, die glaubten, in Deutschland erwarte sie ein Geldregen. Wir haben aber auch Kriminelle getroffen, die ihre Ausweise wegwarfen, da sie nicht mehr einreisen durften. Sie wollten eine neue Identität annehmen, um das zu umgehen.
Was für Veränderungen habt ihr auf eurer Reise durch Europa bemerkt?
Krüger: Das klingt jetzt hart, aber wir haben das Gefühl, Europa stirbt. Als wir 2014 losgewandert sind, wollten wir ohne Geld auskommen. Unsere Strategie war, in den kleinen Orten immer beim Bäcker, beim Schlachter oder bei kleinen Läden nach etwas zum Essen zu fragen. In Frankreich gab es da in jedem Dorf kleine Läden für Käse, Obst oder Gemüse. Auch in Italien hatte jedes Dorf seinen Obsthändler. Und das hat insgesamt wahnsinnig stark abgenommen.
Und wie ist es jetzt?
Krüger: Es gibt fast nur noch Supermärkte. Schon 2014 haben uns viele alte Bäcker und Schlachter erzählt, dass sie das noch vielleicht zwei Jahre machen und dann aufhören und ihr Laden dann schließt, weil ihre Kinder andere Jobs in der Stadt haben. Innenstädte und Dörfer sterben so aus. Am stärksten haben wir das in Frankreich wahrgenommen. Beim ersten Mal hat es uns begeistert, wie das Essen in jeder Familie zelebriert wurde. Beim zweiten Mal war es schon weniger und beim dritten Mal haben sich die Familien überwiegend aus Konserven ernährt. Es geht kaum noch anders, wenn man einmal im Monat 50 Kilometer mit dem Auto zum Supermarkt fahren muss.
Gärtner: Man merkt in vielen Ländern, wie gestresst die Leute sind. Die Arbeitsbelastung scheint immer größer zu werden. In Serbien dagegen gehen die meisten keiner geregelten Arbeit nach. Sie leben einfach von ihren Gärten. Kaum jemand stirbt am Herzinfarkt. Die Menschen riefen uns nach, wir sollten nicht so schnell laufen. Gott, waren die entspannt! Das hat mich am Anfang rasend gemacht, wie kann man so entspannt sein!
Krüger: Auch so ein Phänomen: In Mitteleuropa werden wir ganz oft gefragt: "Warum fahrt ihr nicht mit dem Fahrrad? Dann seid ihr doch viel schneller." Obwohl es für uns ja nicht darum geht, irgendwo anzukommen. Wir haben das Gefühl, egal, wo man hinwill, man müsste eigentlich schneller dort sein. Und das war nur auf dem Balkan nicht so.
Hat sich euer Blick auf Deutschland auch verändert?
Gärtner: Oh ja, oh ja. Deutschland ist auf jeden Fall eine Perle. Nirgendwo kann man so gut von seiner Arbeit leben wie in Deutschland und auch Österreich und der Schweiz. Aber wir haben auch viele Menschen erlebt, die Angst haben. Eine alte Frau, die sich vor herumlungernden Jugendlichen fürchtet. Ein Schüler, der Angst hat, in die Schule zu gehen, weil da 30 oder 40 Prozent aus anderen Ländern kommen. Ein Hauptschullehrer, der von seinen Schülern an die Tafel geschubst wird. In Sachsen und Brandenburg ist uns unglaublich negativ aufgefallen, was es da für eine Rechtsradikalität gibt. Supernette Menschen, aber diese Grundeinstellungen! Ich kann doch nicht anhand der Hautfarbe bestimmen, ob jemand ein guter oder ein schlechter Mensch ist!
Gab es denn auch positive Überraschungen auf eurer Wanderung durch Europa?
Gärtner: Ich muss ganz klar sagen, egal, wo man in Europa ist, man hat nirgendwo tiefere spirituellere und höflichere Gespräche als in Dönerbuden. Und die Menschen helfen dir, wenn du etwas Gutes tust. Wir haben unterwegs von der Menschlichkeit ein ganz neues Bild bekommen. Bevor wir losgegangen sind, dachten wir, die Menschen seien eher miesepetrig und wollen nicht so gerne helfen. Das stimmt überhaupt nicht.
Krüger: Wir sind seit rund 1500 Tagen unterwegs und haben vielleicht in 10 bis 15 Nächten, in denen uns die Leute nicht aufgenommen haben, keinen Schlafplatz gefunden.
Gärtner: Wir sind ein Europa voller liebender Menschen. Das ist so. Das sind lauter herzallerliebste Schnuckelchen. Wenn wir uns komisch und affig verhalten, dann liegt das daran, dass wir Angst haben. Dann schlagen wir dem anderen die Türe vor der Nase zu.
Das Interview führte Volker Petersen
Quelle: ntv.de