Leben

Das gibt's nur in Transsilvanien Ferien im Bett von König Charles III.

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Prinz Charles 2009 bei einem Besuch in Saschiz.

(Foto: REUTERS)

Was zieht den englischen König immer wieder in die Berge und Wälder von Transsilvanien? Unser Autor hat in Rumänien Charles' privates Refugium besucht und mindestens drei Gründe gefunden: Wilde Blumen, braune Bären - und die Bromance mit einem entfernten Verwandten.

"Schauen Sie mal", ruft der Mann, der als "der Graf" bekannt ist. Tibor Kálnoky lässt die eine Hand am Wanderstock hinabgleiten und stützt sich mit der anderen ab, bis er tief im Gras kniet. Dann schließt er die Augen und schnuppert andächtig an einer Blume: "Die wohlriechende Händelwurz!"

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Tibor Kálnoky schnuppert am Händelwurz.

(Foto: pli)

"Das gibt es nur in Transsilvanien", sagt Kálnoky. "Jedenfalls nur in dieser Qualität", ergänzt Raluca Olaru, eine junge Rumänin, die auch Deutsch spricht. Sie begleitet uns, weil sie aus Wildpflanzen Kosmetik herstellt, sich also auskennt. "Nennt mich ruhig Kräuterhexe", hatte sie beim Kennenlernen gesagt.

Der Graf hat zu einer Wanderung eingeladen. Sie führt durch die Wälder und über die von bunten Blumen übersäten Wiesenhügel von Zalánpatak. Das winzige Dorf, in dem seine Familie vor 300 Jahren mit einer Glaswerkstatt das Sagen hatte, liegt in der Mitte von Rumänien. Es ist jener Fleck von Europa, der von den Karpaten umgeben ist und seit Jahrhunderten "Transsilvanien" genannt wird. Nichts erinnert im Sonnenlicht an das Heulen der Hunde und Wölfe, die wir während der Nacht gehört haben. "Sie wollen die Bären verjagen, wenn sie zu tief ins Tal kommen", erklären die Menschen, die hier wohnen.

Vampire, immer noch der Köder für Touristen

Seit jeher gilt Transsilvanien als geheimnisvoll und unergründlich - selbst wenn jeder weiß, dass Knoblauch in den Gästezimmern noch nie einen Vampir verjagt hat. Die Saga um Graf Dracula, der zur gleichen Zeit wie der Weihnachtsmann zur internationalen Popfigur wurde, ist ein Köder für den Tourismus.

Die tatsächliche Anziehungskraft liegt in den unberührten Landschaften, in rund 300 Schlössern und Kirchenburgen aus dem späten Mittelalter, in unzähligen Storchennestern, die wie UFOs aus Heu über den Dörfern schweben, und sicherlich auch in den Geschichten, die sich um Adelsgeschlechter wie die Kálnokys ranken. Während der relativ große ungarische Teil der Bevölkerung von "Erdély" spricht, ist Transsilvanien für die viel kleinere und weiter westlich angesiedelte deutsche Minderheit "Siebenbürgen": das Land der sieben Burgen.

Auf unserem Ausflug, der mehr als drei Stunden dauert, nehmen wir dieselbe Route, die der Graf im Mai mit dem britischen König gemacht hat, als er noch Prinz von Wales war. "Endlich war er wieder da!", sagt Kálnoky, der 2021 vergeblich auf den hohen Besucher gewartet hatte.

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Gelbe Trollblumen so weit das Auge sieht ....

(Foto: pli)

Dafür sei die Freude diesmal besonders groß gewesen: "Charles hatte nicht nur Leibwächter und seinen Butler dabei, sondern auch den obersten Botaniker der englischen Krone." Während Kálnoky das erzählt, laufen wir durch ein Meer von gelben Trollblumen und durch blauen Wiesensalbei. Sie wachsen wie Symbole aus dem Boden - nicht etwa für die 350 Kilometer nördlich gelegene Ukraine, sondern für das Volk der Székler, die Vorfahren des Kálnoky-Clans.

Die rumänische Doppelstrategie des Thronfolgers

Charles, der nicht nur entfernt mit dem Grafen verwandt ist, sondern sich auch für einen Nachfahren von Fürst Vlad III. hält - der historischen Vorlage von Dracula - kann wohl als berühmtester Tourist von Transsilvanien gelten. Und weil er entschieden mehr sein will, hat er die Gegend zur einer Art Wahlheimat gemacht. Seit 1998 Jahren ist er fast jedes Jahr für eine Woche gekommen, zunächst als Gast beim Grafen im Dorf Miklósvár: in einem Apartment, das man als "Prince's Suite"mieten kann. Vielleicht wird es bald in "King's Suite umbenannt. Darüber hinaus hat er eine bemerkenswerte Doppelstrategie entwickelt, die darin besteht, die große weite Welt nach Rumänien zu bringen und ihr dort gleichzeitig zu entfliehen.

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Ein Haus passend zum Himmel ...

(Foto: pli)

2006 kaufte Prinz Charles, mittlerweile König, einen Hof im Dorf Viscri, das auch Deutsch-Weißkirch heißt, schon länger Weltkulturerbe der UNESCO ist und sich mit seinen bunten renovierten Bauernhäusern deutlich abhebt von vielen armen und nicht selten verwaisten Ortschaften der deutschsprachigen Siebenbürger Sachsen.

Mithilfe des prominenten Fürsprechers konnte sich Viscri zu einem Mekka für Yoga-Kurse und "Corporate Retreats" in historischer Kulisse entwickeln. Obwohl Charles dort einen Bio-Bauernhof betreibt und demnächst einen Laden mit nachhaltigen Produkten eröffnet, in dem dann auch die Kosmetikmarke "Hodaia" von Raluca Olaru verkauft wird, gibt der Graf preis: "Der Rummel ist in Wahrheit nichts für Charles."

Ein Ort der Stille

Das Gegenprogramm ist ein 17 Hektar großes Anwesen in Zalanpátak, dass der Prinz 2008 erwarb. Es ist ein Ort der Stille. Stilistisch ist das Krongut von Zalanpátak ein einmaliger Mix aus europäischen Traditionen: mit alten handgewebten Teppichen aus der Türkei, englischen Badezimmern und restaurierten "altdeutschen" Möbeln aus der Region. Praktisch ist es eine rustikale Herberge und ein idealer Stützpunkt für Ausflüge in die Natur.

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Der Autor hat ganz vorzüglich genächtigt.

(Foto: pli)

Wenn der Eigentümer nicht da ist, bietet das Anwesen in drei Häusern mit sieben Zimmern Platz für 13 Gäste. Der Autor selbst verbringt die erste Nacht im Zimmer des Butlers und zieht danach ins Gemach des Königs nebenan. Umgeben von seinen Wanderstöcken und Strohhüten sowie allerlei Stichen und Fotografien, etwa der jungen Königin Elizabeth II. und von Charles' Lieblingsschloss Birkhall, verläuft die erste Nacht auf der handgemachten Wollmatratze des Königs von England so friedlich und komfortabel, dass sie allein eine Motivation ist, den Aufenthalt um vier weitere Tage zu verlängern.

Bis auf die Espressomaschine mutet das rumänische Refugium von Charles eher "vormodern" an. Oder postmodern gesprochen: wie ein Filmset, zum Beispiel von "Game of Thrones". Charles hat das Anwesen mithilfe des Grafen gefunden und renovieren lassen - was in ungarischer Sprache auf Holzbalken festgehalten wurde. Sie befinden sich ausgerechnet im blau angestrichenen Haus - eine Fassadenfarbe, die in Transsilvanien früher den Leibeigenen vorbehalten war. Der Spruch verewigt den feudalen Treuebund der beiden Adeligen: "Für den Herzog von Wales errichtet vom Grafen Kálnoky im Jahre 2009".

Seifen für den König, Bartöl für den Butler

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Raluca Olaru mit Charles, zu dem Zeitpunkt noch Prince of Wales.

Neben vielen Kaminen, gemütlichen Sitzecken und einem Badezuber im Freien gebe es "heiße Duschen", wie Raluca betont. Das ist keine Selbstverständlichkeit, wenn man bedenkt, was Charles gesagt haben soll, als sich Donald Trumps Anwalt Rudy Giuliani über die Zustände in Birkhall beschwerte: "What did he expect - hot running water?" Als der Graf die Anekdote erzählt, lacht er laut.

Da Raluca Olaru ihren Hof am anderen Ende von Zalánpatak erst im April bezogen hat, geht sie regelmäßig ins Krongut, um die Waschräume zu benutzen. Man helfe sich gegenseitig, sagt sie und erzählt, wie sie der - damals noch - Prinz nach der Wanderung im Mai besuchte. Er habe nach Rat zum Anbau seltener und heilender Pflanzen gefragt. Zum Abschied habe er für sich Seifen und für den Butler Bartöl kaufen lassen.

Unterdessen hält auf unserer Wanderung die Freude des Grafen an: über den Reichtum an Orchideengewächsen. Mehrmals bedauert er, dass Charles in diesem Jahr zu früh an- und abgereist sei und eine Menge verpasst habe. "Den Pannonischen Klee oder das Wanzenknabenkraut hat er nicht in voller Pracht erlebt."

Prinz Charles reitet und jagt nicht (mehr)

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Da steppt der Bär - Spurensuche für Fortgeschrittene.

(Foto: pli)

Der Grund für das schlechte Timing war eine Weltnachricht: Charles musste am 4. Juni in London das Thronjubiläum seiner Mutter abnehmen - "auf einem Pferd in der glühenden Mittagssonne, obwohl er Rückenprobleme hat und nicht mehr gerne auf Pferden sitzt". Auch in Rumänien reite oder jage er nicht. "Charles kommt, um auf Wanderungen Ruhe und Einkehr zu finden", sagt Kálnoky. Wie aufregend allerdings auch die Wildnis Rumäniens sein kann, bemerken wir selbst, als vor uns im Lehm frische Abdrücke großer und kleiner Bärentatzen auftauchen und wir aus den Büschen Fellknäuel pflücken.

"Mit Charles sind wir schon mehrmals Braunbären begegnet", sagt der Graf und betont: "Aus sicherer Entfernung". Trotzdem seien in diesen Momenten die Männer mit den Gewehren aus dem Hintergrund hervorgetreten, um den englischen Thronfolger zu beschützen. "In solchen Situationen war Charles meistens der Einzige, der nicht nervös wird, sondern vor allem neugierig."

Für den Fall einer Begegnung mit den Bären trägt der Graf übrigens einen weißen Regenschirm mit sich. "Wenn man ihn ruckartig öffnet, erschrecken sie sich", erklärt er. Dass seine Vorfahren dafür Pfeil und Bogen benutzten, erkennt man auch im Familienwappen der Kálnokys: Es zeigt einen Bären mit Pfeil im Hals - und erinnert an die legendäre Rettung eines Lehnsherren.

Die Förderung von Traditionen ist ein Ziel

Während Charles' Ehefrau Camilla noch nie in Transsilvanien war, werde er immer wiederkommen - "selbst wenn er König ist". Davon ist der 55 Jahre alte Tibor Kálnoky überzeugt. "Solange wir leben, werden wir uns für die gemeinsame Lebensaufgabe einsetzen, die wir in Rumänien gefunden haben." Sie macht die beiden zu Brüdern im Geiste, die sich für das einsetzen, was sie in Transsilvanien genauso wie in England oder in Schottland für schützenswert halten: ländliche Lebensformen und handwerkliche Techniken einer auf Eigenbedarf gerichteten Gesellschaft, die auch als "Subsistenzwirtschaft" bezeichnet wird und in der industrialisierten Massen- und Konsumgesellschaft keinen Platz mehr hat. In Zalánpatak leben vor allem die älteren Menschen weiterhin nach diesem Prinzip, während die meisten jungen Menschen wegziehen und zum Beispiel als Saisonarbeiter nach Deutschland gehen.

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In einem Interview hatte Charles von der "stabilen Verbindung zwischen Mensch und Natur" gesprochen und gewarnt, sie verschwinde für immer, wenn das Gefüge einmal zerbricht. Während sich der König der Einsicht daheim im Vereinigten Königreich nur mit modellartigen Förderprogrammen und Workshops widmen kann - etwa in seinem schottischen Dumfries House - sieht er offenbar in Rumänien die Möglichkeit, das Gleichgewicht zum tatsächlichen Wohl und Nutzen der Bevölkerung zu fördern.

Geplant sei, so Kálnoky, die touristischen Einnahmen aus den Gütern in Viscri und Zalánpatak zurückfließen zu lassen an die Menschen, die vor Ort arbeiten und leben. "2019 waren wir zum ersten Mal so weit", sagt der Graf und macht eine Pause, die er schließlich mit dem Hinweis auf die Folgen der Covid-Pandemie füllt - gegen die weder der König von England noch das härteste Kraut der Karpaten etwas ausrichten kann.

Quelle: ntv.de

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