Leben

"Mutter kannte keine Angst" Ruth Baumgarte - im Rausch des afrikanischen Lichts

Freiraum Kunst: Die Künstlerin in den 80er-Jahren in ihrem Bielefelder Atelier. Im kommenden Jahr wäre sie 100 Jahre alt geworden.

Freiraum Kunst: Die Künstlerin in den 80er-Jahren in ihrem Bielefelder Atelier. Im kommenden Jahr wäre sie 100 Jahre alt geworden.

(Foto: Kunststiftung Ruth Baumgarte)

Ein Farbrausch, der Lust auf die Wärme und das Licht Afrikas macht: Posthum wird die 2013 verstorbene, deutsche Künstlerin Ruth Baumgarte mit Ausstellungen geehrt. Aktuell in der Wiener Albertina mit einem Afrika-Zyklus, der einen zum Träumen bringt.

Lavaartig fließende Landschaften, trunken machendes Licht, Menschen, die mit der Umgebung verschmelzen. Das Publikum spürt die Naturverbundenheit, die Wärme und Sonne Afrikas. Flammende Rottöne, sattes Orange und Ocker mischen sich mit kräftigem Rosa und Violett. Bilder, die die Sehnsucht nach anderen Lebenswelten schüren. Die farbstarke Malerei von Ruth Baumgarte erwärmt - besonders, wenn es draußen düster und kalt ist. Mit der Ausstellung "Africa: Visions of Light and Color" wird die deutsche Künstlerin jetzt in der Albertina in Wien wiederentdeckt. Besonderes Schmankerl: Zu ihrer Kunst gesellen sich einige Werke und Tapisserien von Athi-Patra Ruga, geboren 1984. Damit werden Baumgartes afrikanische Farbströme ins Heute katapultiert. Der südafrikanische Künstler hat gerade den mit 20.000 Euro dotierten Ruth-Baumgarte-Preis entgegengenommen.

Alexander Baumgarte freut sich, dass ein junger afrikanischer Künstler von den Farbwelten seiner Mutter begeistert ist.

Alexander Baumgarte freut sich, dass ein junger afrikanischer Künstler von den Farbwelten seiner Mutter begeistert ist.

(Foto: Sebastian Drüen)

Diesen Preis hat die Künstlerin ein Jahr vor ihrem Tod ausgelobt und mit ihrer Stiftung, die sie 2012 gründete, festgeschrieben. Die Liste der inzwischen acht Preisträger ist unter anderem mit Nan Goldin oder William Kentridge prominent besetzt. Baumgartes jüngster Sohn Alexander Baumgarte kümmert sich mit großem Einsatz um das Lebenswerk seiner Mutter. Er schaute von klein auf seiner Mutter im Bielefelder Atelier zu, später war er ihr interessierter Reisegefährte in Afrika. Baumgarte erzählt ntv.de von einer abenteuerlichen Fahrt zwischen Nairobi und Tansania, bei der das Auto wie irre auf der nicht befestigten Straße schwankte. "Ich war froh, als wir endlich am Ziel angekommen waren. Meine Mutter hingegen kannte keine Angst. Auf ihren Reisen ist ihr nie etwas Schlimmes passiert."

Frauen in tragender Rolle

Seit 1957 zog es die Künstlerin über 40-mal nach Afrika. "Das waren keine touristischen Urlaubsreisen", erzählt Alexander Baumgarte. "Sie hatte dort Freunde, kannte Journalisten, Künstler, aber auch andere Leute." Und blieb zum Teil über Monate in Südafrika, Uganda, Kenia oder Äthiopien. Hier schuf sie kleine Skizzen von Menschen, die sie traf, interessierte sich für ihre Geschichten. Erst zurück in ihrem Bielefelder Atelier entstanden diese farbintensiven Ölgemälde. Sie entfernte sich dabei von Ort und der Zeit, malte allgemeingültige Bilder, in denen sie Figur und Landschaft miteinander verwob.

Bilder von expressionistischer Wucht: Baumgarte erzählte vom wirklichen Leben in Afrika und beobachtete genau.

Bilder von expressionistischer Wucht: Baumgarte erzählte vom wirklichen Leben in Afrika und beobachtete genau.

(Foto: Kunsttstiftung Ruth Baumgarte)

Frauen spielen in den Bildern von Ruth Baumgarte eine tragende Rolle. Aber sie positioniert sie in ihren Bildern nicht als feministische Wesen. Die vorgefundenen Geschlechterrollen in Afrika hat sie reflektiert. Meist arbeiten Frauen in ihren Szenen hart, Männer tauchen in den weiblich besetzen Bildern nicht auf. Sie selbst heiratete 1952 den Bielefelder Industriellen Hans Baumgarte und musste einem knallharten Vertrag über Gütertrennung zustimmen. Als emanzipierte Frau wollte sie ihr Künstlerinnen-Dasein nicht gegen ein Leben als Hausfrau und Mutter eintauschen. Sie wollte beides vereinen. Über die Jahrzehnte dachte sie mehrfach über Scheidung nach, verzichtete aber aus Verantwortungsbewusstsein gegenüber den drei gemeinsamen Kindern und ihrer im Haus lebenden Mutter.

Sie blieb eine selbstbewusste Frau, ließ sich nicht in Rollenklischees und ein unpassendes Korsett drängen. Das Leben an der Seite eines vermögenden Mannes beschnitt ihre Freiheit jedoch in vielerlei Hinsicht. Zwischen den 1950er- und 70er-Jahren war es in der Bundesrepublik noch gesetzlich verankert, dass Ehemänner ihre Frauen bevormunden konnten. Als Akt der Selbstbefreiung gründete sie 1975 die Produzentengalerie "Das Fenster". Damit wollte sie die regionale Kunstszene fördern.

Die Galerie finanzierte sie aus ihren Bildverkäufen. Durch die Galeriearbeit hat sie allerdings auch weniger Zeit für die eigene Kunst. 1986 durchbricht sie diesen Teufelskreis und gibt die Galerie ab. In dieser Zeit wurde ihr das Leben in der von diffusen Ängsten geprägten Bundesrepublik zu eng, immer wieder reiste sie nach Afrika. Weg von Rüstungsdebatten und RAF-Terror. Die gesellschaftlichen Brüche der afrikanischen Kulturen, die Menschen, Landschaften, das soziale Leben in den Dörfern und Städten faszinierten die 63-Jährige. Sie begann ihren Afrika-Zyklus, der jetzt in der Albertina als Höhepunkt ihres künstlerischen Lebens betrachtet wird.

Blick auf Afrika ohne koloniale Arroganz

Athi-Patra Ruga ergänzt die Ausstellung mit einem aktuellen Blick auf Afrika: "Man spürt in Ruth Baumgartes Bildern den Respekt für das Thema.

Athi-Patra Ruga ergänzt die Ausstellung mit einem aktuellen Blick auf Afrika: "Man spürt in Ruth Baumgartes Bildern den Respekt für das Thema.

(Foto: Sebastian Drüen)

Athi-Patra Ruga passt als Preisträger besonders gut, denn er selbst sieht in weißen europäischen Künstlerinnen wie Ruth Baumgarte seine Inspirationsquellen. Seine Arbeiten sind ähnlich expressiv und farbintensiv. Fast könnte man sie in der Albertina übersehen, so gut fügen sie sich in die Ausstellung ein. In seinen Bildern, Performances, Tapisserien oder Glasbildern zeigt Athi-Patra Ruga Avatare, die frei von Geschlecht, Klasse oder Ethnie sind. Ungehemmt löst der 38-Jährige geografische Grenzen, geschlechtliche Zuschreibungen und soziale Unterschiede in der afrikanischen Geschichte auf. Er imaginiert ein gleichwertiges Südafrika ohne Rassismus und Homophobie. Denn trotz liberaler Gesetze haben es LGBTQIA+-Personen in der sogenannten Regenbogennation schwer und kämpfen immer noch um Gleichstellung.

Ruth Baumgarte zeigt Frauen mit einem respektvollen Blick bei ihrer Arbeit, zum Beispiel dem Kürbiskerntrocknen. Sie schaute auf Afrika ohne jegliche koloniale Überlegenheitsgeste. Die heute beinahe täglich aufflammenden postkolonialen Debatten, Fragen nach kultureller Aneignung und Enteignung gab es zu ihrer Zeit nicht. Die in Wien lebende und in New York geborene Kunsthistorikerin Renée Gadsden sagt in ihrer Rede auf den Preisträger Athi-Patra Ruga, dass sie wenig von diesem andauernden Diskurs hält, wo alle in irgendwelchen Schubladen landen. "Wir müssen verstehen, dass wir gemeinsam auf dieser Reise sind, alle Teilchen haben ihren Platz. Das ist vergleichbar mit dem Ying-und-Yang-Zeichen. Im Weiß ist ein Pünktchen Schwarz und im schwarzen Teil ein weißes. Du, Athi, bist der erste schwarze Künstler, bekennender Schwuler, der mit diesem Preis ausgezeichnet wird. Das ist für viele Menschen inspirierend und wichtig."

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Ruth Baumgarte: Africa: Visions of Light and Color
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Was Ruth Baumgarte zu dem Diskurs sagen würde, weiß keiner. Alexander Baumgarte beschreibt die 1923 geborene Mutter als Humanistin. Als sie 1941 in Berlin mit ihrem Kunststudium begann, wurde sie zur genauen Beobachterin ihrer Umwelt. Schon damals widmeten sich ihre Zeichnungen dem Menschen in seiner Realität. Da sie nicht vor unbequemen Wahrheiten zurückschreckte, wurden ihre Bilder von der NS-Diktatur nicht öffentlich gezeigt. In den 50er-Jahren porträtierte sie über Jahre Arbeiter in der Stahlindustrie. Immer wieder blickte sie in ihrer Kunst auf die Außenseiter der Gesellschaft.

In ihrem Afrika-Zyklus geht es auch um Verfolgung, Flucht und Migration - das ist in ihren Skizzen, die ebenfalls ausgestellt sind, ablesbar. Hier spielen politische Ereignisse dennoch eine Rolle, wird Mühsal und Verzweiflung gezeigt. Mit ihrer später getroffenen Farbwahl und der Auflösung der Formen drückte sie auch das in ihr flackernde Unbehagen gegenüber sozialen Konflikten aus. Die Energie, die von ihren Bildern ausgeht, ist positiv und macht Lust auf mehr von Ruth Baumgarte.

Die Ausstellung "Africa: Visions of Light and Color" läuft noch bis zum 5. März in der Albertina, Wien

Mehr zur Ruth-Baumgarte-Stiftung

Quelle: ntv.de

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