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New York, Stadt der Ex-Lover Sloane Crosley, was tun, wenn alte Lieben uns verfolgen?

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In New York gibt es viele Boulevards of Broken Dreams.

In New York gibt es viele Boulevards of Broken Dreams.

(Foto: picture alliance / Photoshot)

"Einfach direkt ermorden?" Wenn man der New Yorker Autorin Sloane Crosley Fragen stellt, kommen die Antworten schnell, sarkastisch und unglaublich lustig. Das Gleiche lässt sich über ihren neuen Roman "Cult Classic" sagen.

Manchmal bleibt einem nichts anderes übrig, als Interviews via Mail zu führen. Besonders wenn ein Atlantik, die dazugehörige Zeitverschiebung und volle Terminkalender zwischen einem liegen. Wenn aber eine Autorin mit schneller, spitzer Feder auf deine Fragen antwortet, dann fühlt sich so ein Mailaustausch schnell an, als würdest du mit einer neuen Freundin in einer dieser New Yorker Bars abhängen, die sie so treffend in ihren Kolumnen und Romanen beschreibt. Auch in ihrem neuen Roman "Cult Classic" spielt ihre Heimatstadt New York eine Hauptrolle. Die zweite Hauptrolle gehört Lola, einer Frau, die auf einmal an jeder Straßenecke auf ihre Ex-Lover trifft und der erst nach und nach dämmert, dass das kein Zufall ist. Und dass ihr Ex-Chef, Fast-Liebe und Möchtegern-Guru Clive an diesen Begegnungen nicht unschuldig ist.

Wer über gescheiterte Lieben in New York schreibt, kommt natürlich an allen Liebesgeschichten, die schon in den Köpfen sind (ob Bücher, Filme oder Serien) nicht vorbei. Doch Sloane Crosley hat die Herausforderung angenommen und noch mal einen neuen Dreh gefunden - einen, der den von Dating-Apps und Social Media gebeutelten Singles und Möchtegern-Paaren aktuell garantiert näher ist, als alte Empire-State-Building-Romanzen.

ntv.de: "Cult Classic" ist das erste Deiner Bücher, das ins Deutsche übersetzt wurde. In den USA hast Du bereits einen Bestseller veröffentlicht und bist für Deine humorvollen Essays bekannt. Dein Name war eine Antwort bei Jeopardy, Du beschreibst Dich selber aber als "mittelberühmt". Damit unsere Leser sich vorstellen können, was das heißt - wie oft wirst Du in New York, wo Du lebst, angesprochen?

Wie das Sprichwort sagt: "Wenn Du das Wort Heimlich sagen kannst, brauchst Du das Manöver nicht." Beim Einschätzen des eigenen Ruhmes ist es ähnlich. Wenn Du darüber nachdenkst, wo Du in einer Reihe bekannter Gesichter stehst, bist Du wahrscheinlich nicht sehr berühmt. Ich kann Dir sagen, dass ich in New York in fünfzehn Jahren etwa sechs Mal auf der Straße angesprochen wurde. Ich kann Dir sagen, dass das in Restaurants öfter vorkommt. Ich kann Dir sagen, dass es einmal auf einem Flughafen in Madison, Wisconsin, passiert ist, nachdem ein Sicherheitsbeamter meinen Ausweis kontrolliert hat. Ich war so begeistert, dass ich darüber nachdachte, nach Madison, Wisconsin, zu ziehen. Eine ganze Minute lang.

"Boots hatte nur zwei ernsthafte Beziehungen gehabt, die College-Freundin und die gruselige Freundin eingeschlossen. Ich dagegen könnte ständig in Erklärungsnot geraten. Manche bekommen am Geldautomaten der Liebe eben die kleineren Scheine ausgezahlt" - Auszug aus "Cult Classic"

Deine Hauptfigur Lola begegnet einem ihrer Ex-Lover nach dem anderen - auf zunächst unerklärliche Weise. So etwas haben wir alle schon erlebt - wenn auch nicht so häufig. Ist Dir eine solche Begegnung besonders in Erinnerung geblieben?

Wenn man einmal mit einem Buch von Sloane Crosley angefangen hat, will man gleich weiterlesen. Zum Beispiel ihren Essayband "I was told there'd be cake"

Wenn man einmal mit einem Buch von Sloane Crosley angefangen hat, will man gleich weiterlesen. Zum Beispiel ihren Essayband "I was told there'd be cake"

(Foto: Beowulf Sheehan )

Ich bin sicher, mir würden viele einfallen, wenn ich mich hinsetzen und darüber nachdenken würde. Ich nehme an, Du bittest mich gerade, genau das zu tun. Wenn Du Romane schreibst, verwendest Du natürlich die Realität als Brennstoff, als Mahlgut für die Mühle - ich bin nicht sicher, ob es diesen Ausdruck im Deutschen gibt, aber für mich fühlt er sich deutsch an.

Klingt deutsch, ja, aber wir erhalten leider nur Wasser auf unseren Mühlen, wenn wir zum Beispiel eine Meinung zu etwas haben und da unerwartet Unterstützung kriegen.

Wasser auf die Mühle! Oh, das gefällt mir. Ich habe einmal mit einer Freundin diskutiert und auf einmal sagte sie: "Ich fühle mich, als würden wir die Liegestühle auf der Titanic umstellen", und ich hielt inne und sagte: "Moment, das ist brillant."

Das kannte ich auch nicht! Nur das mit dem Tanzen vor dem Untergang.

Zu Deiner Frage: Es wäre auf jeden Fall unaufrichtig, wenn ich behaupten würde, dass jeder einzelne Aspekt des Buches frei erfunden ist, ohne einen Hauch Realität dahinter. Es ist ein zeitgenössisches Buch. Aber es ist ein Roman, es geht nicht darum, meine eigenen Erfahrungen exakt aufzuschreiben. Wenn überhaupt, dann geht es um die Erfahrungen des Lesers. Bist Du jemals in jemanden reingelaufen, den Du früher gut kanntest und der Dir jetzt fremd ist? Dann habe ich genau die richtige Geschichte für Dich! "Cult Classic" existiert, weil ich mir eine ziemlich universelle Erfahrung vorgenommen und sie verdreht und damit gespielt habe, um sie in den Dienst einer wilden, witzigen Handlung zu stellen.

Dank Social Media können wir uns bereits über das Leben unserer Ex-Freunde auf dem Laufenden halten, wenn wir das wollen. Mit Hilfe der künstlichen Intelligenz wird es wahrscheinlich auch möglich sein, uns synthetische Nachrichten usw. zu schicken und uns damit in den Wahnsinn zu treiben. Wie beendet man also am besten eine Liebesbeziehung?

Wahrscheinlich durch einen Mord. Einfach direkt ermorden. Ich habe keine Ahnung, ich bin kein Experte für Romantik. Es gibt einen Moment im Roman, in dem Lola merkt, dass ihr Plan, vor Silvester mit jemandem Schluss zu machen, dumm ist, und sie denkt: "Das war, bevor ich wusste, dass das Timing eine grausamen Tat nicht mehr oder weniger grausam macht, bevor ich wusste, dass der einzig gute Weg, jemanden zu verletzen, der ist, es nie zu tun."

"Da waren jüngere Männer, die inzwischen so alt waren wie ich damals, als sie mit mir Schluss gemacht hatten. Männer, die mich lieber vermisst hatten, als mit mir zusammen zu sein. Männer, die mir geschworen hatten, sie seien mir verfallen" - Auszug aus "Cult Classic"

Ich hatte noch keine Gelegenheit, Deinen Roman und Bestseller "The Clasp" zu lesen, aber es scheint auch darum zu gehen, dass das Leben nicht den Erwartungen entspricht. Sind unsere Erwartungen die falschen?

Erst als ich mit dem Schreiben von "Cult Classic" fertig war, wurde mir klar, was der Roman mit meinem ersten Buch "The Clasp" gemeinsam hat - abgesehen vom Ton. Ich denke, es sind beides verdrehte Wunscherfüllungsnovellen. Egal, ob Berlin oder New York, pulsierende Städte ziehen junge Leute an, und junge Leute neigen dazu, in ihren eigenen Dramen zu schmoren, in ihren Gedanken zu kreisen, sich gegenseitig aufzuziehen und zu beeindrucken. Das kann wunderbar sein, aber es kann auch zu einem gewissen Maß an Solipsismus führen. In "The Clasp" ging es darum, so eine Art Gruppe von Freunden zu nehmen, einfach nur ein Haufen junger Leute, die sich in einer Bar in Brooklyn gegenseitig foppen und verurteilen, und ihnen ein echtes Abenteuer zu geben. Ein Rätsel, das es zu lösen gilt. "Cult Classic" ist eine etwas anspruchsvollere und romantischere Version dieser Idee. Lola ist so verloren und unentschlossen, ein Mitglied einer bestimmten pseudointellektuellen Klasse und Generation, die in den Medien tätig ist. Und plötzlich bietet sich ihr diese spekulative Gelegenheit. Ihr soll geholfen werden, sich vor sich selbst zu retten.

Es gibt viele Geschichten über Liebe und Leid in New York. Wie schwierig war es, einen so frischen und neuen Ansatz zu finden, ohne einfach Geschichten wie "Sex and the City" nachzueifern und gleichzeitig New Yorker Flair zu vermitteln?

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"Sex & The City" ist nicht mein Problem. Ok, es ist buchstäblich mein Problem: Ich wohne in dem Viertel, in dem die Serie gedreht wurde, einschließlich der Fassade von Carries Haus, sodass ich an den Wochenenden durch Scharen von Touristen laufe. Aber aus schreibender Perspektive? Nicht mein Problem. Das Problem ist größer. Es lautet: Wie kann man die Suche nach Liebe in literarischer Form angehen, wenn Shakespeare und Wharton und Tolstoi das Thema schon verdammt gut bearbeitet haben? Es ist, als würde man einen Elektrozaun anfassen. Das Gleiche gilt für das Thema "New York". Wie kann man über New York schreiben, wenn es James Baldwin gab? Ah, aber man muss, wenn man kann. Nicht, weil New York besser ist als andere Orte, sondern weil es, wie die Liebe, ein sich entwickelnder Organismus mit unzähligen Versionen seiner selbst ist. Es ist Leben. Der erste Schritt besteht darin, die Angst vor dem Klischee auszurotten. Der nächste, also in meinem Fall zumindest, ist, zu versuchen, bei diesen großen Themen lustig zu sein. Und seltsam. Lustig und seltsam.

Lolas spitze Bemerkungen sind unglaublich witzig - hat sich der Humor in Teilen selbst geschrieben oder waren das im Gegenteil die schwierigsten Passagen?

Nichts schreibt sich von selbst. Genauso wenig, wie die Figuren anfangen, für sich selbst zu sprechen. Wenn sie das täten, würden sie Tantiemen bekommen. Wie auch immer, ist Humor meine Standardeinstellung. So sehe ich die Welt, in Analogien und Beobachtungen, in Verzweiflung und Unbeholfenheit. So beschreibe ich Dinge, so wie vielleicht ein Dichter eine bestimmte blumige Art hat, den Nachthimmel zu beschreiben. Der Humor muss also eher zurückgeschraubt werden. Es gibt nicht "zu viele Witze" für einen Stand-up-Comedian, aber als Prosaautor möchte man sich nicht in einen Clown verwandeln und den Schwung des Romans beeinträchtigen.

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Hast Du Dein nächstes Buch "Grief is For People", das 2024 auch in Deutschland erscheinen wird, unter dem Einfluss der Pandemie geschrieben?

Ich liebe diese Frage, denn im Englischen verwenden wir "unter dem Einfluss" nur, wenn wir uns auf Alkohol, Drogen, Sektenführer oder die Filme von John Cassavetes beziehen. Aber ich mag es, die Pandemie als eine Droge zu bezeichnen. Es fühlt sich tatsächlich an, als ob wir alle ein Beruhigungsmittel genommen hätten, das gerade nachlässt, aber vielleicht sollten wir noch nicht Auto fahren. Ein Großteil von "Grief is For People" wurde während der Pandemie geschrieben, obwohl gut die Hälfte der beschriebenen Ereignisse vor der Pandemie stattfanden. Allen voran ein traumatischer Überfall, der sich aber im Vergleich zum Selbstmord meines engsten Freundes dreißig Tage später dann nur als Appetizer erwies. Die Auseinandersetzung mit diesem Ereignis, mit der zeitlichen Nähe dieser beiden Ereignisse und der Pandemie obendrauf, bilden den Schwerpunkt dieses Buches über Trauer. Also ja, die Pandemie bot die richtige Stimmung, um ein Buch über Trauer zu schreiben. Es gibt Passagen, bei denen ich vom Schreibtisch aufstehen musste, um Pausen einzulegen und mich zusammenzureißen, bevor ich sie beenden konnte, was Wochen dauern konnte. Aber es gibt auch Momente, die mich immer noch zum Lachen bringen. Dafür würde ich gerne die Lorbeeren einheimsen, aber ich glaube, das passiert, wenn ein sehr, sehr lustiger Mensch stirbt.

Quelle: ntv.de

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