Leben

Dufthammer oder Wohlgeruch? Was Düfte mit uns machen

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"Du, ich kann dich gut riechen!" Wussten schon Kay Kendall und Yul Brynner.

"Du, ich kann dich gut riechen!" Wussten schon Kay Kendall und Yul Brynner.

(Foto: imago images/Everett Collection)

Neulich, nach einem Regenguss, in einem Treppenhaus, das mit viel Holz ausgestattet ist, vor der Tür feuchter Rasen: Sofort schießen Bilder in den Kopf, von Ferien in der Kindheit, auf der Alm, frisch gemähtem Gras, dem dampfenden See, dem feuchten, gestapelten Heu und Holz. Und Rosen. ntv.de fragt Lutz Herrmann, Creative Director bei J.F. Schwarzlose und Söhne, was da so alles abgeht in unseren Nasen und Köpfen. Denn als Traditionsmarke und ehemaliger Hoflieferant beschäftigt sich die Parfum-Manufaktur mit immer neuen Duft-Kreationen, die aber auch an schon Dagewesenes anknüpft. Außergewöhnliche Düfte - und die sind begehrter als je zuvor - bedürfen einer intensiven Suche nach individuellen Zutaten - den eigenen "Signature-Duft" zu finden, kann daher eine sehr intime und langwierige Aufgabe sein.

Lutz Herrmann - ein Mann, den man gut riechen kann.

Lutz Herrmann - ein Mann, den man gut riechen kann.

(Foto: Schwarzlose)

ntv.de: Was ist denn angesagt momentan? Ich schnupper mich auf Flughäfen gern durch und merke dann, dass ich doch immer an denselben Sachen hängen bleibe. Dann glaube ich, das ist ein Trend - aber es ist ja nur mein Trend ...

Lutz Herrmann: (lacht) Es gibt ja Duftmessen! Dort fokussiere ich mich gern auf den sogenannten Nischenmarkt. Im Frühjahr war ich in Mailand. Da sind die ganzen kleinen Marken vertreten, also auch Schwarzlose. Wir stellen die Neuheiten vor und da merkt man schon, dass wir immer noch in so einer Art "Nach-der-Pandemie-Ära" sind. Aber der Trend geht immerhin wieder dahin, Düfte überhaupt wahrzunehmen.

Die Maske ist weg ...

Genau, wir waren quasi zwei Jahre eingeschlossen, sind nun wieder draußen und können das genießen. Und der Genuss geht einher mit einer olfaktorischen Reichhaltigkeit. Ob das jetzt in die eher blumige Richtung geht oder in Richtung rauchig bis holzig, das kann man noch nicht sagen. Es kann auch die Mischung von beidem sein. Auf jeden Fall sind es Düfte, die etwas mehr - der Bundeskanzler würde sagen - Wumms haben.

Ich mische Düfte meist aus Versehen. Morgens gehe ich mit dem einen Duft los und abends sprüh' ich was anderes drüber ...

Das ist tatsächlich ein Trend, der schon seit ein paar Jahren anhält, wir nennen ihn Duft-Layering. Also verschiedene Düfte übereinandersprühen und dadurch selbst ein eigenes, neues Ergebnis erzielen. Es geht immer mehr in Richtung individuell und deshalb geht auch der Trend zu den kleinen Marken, die eben wesentlich speziellere Düfte anbieten. Die großen Marken wollen möglichst viel verkaufen und deshalb wird alles vorher genauestens getestet. Doch das Ergebnis eines Tests, das kann immer nur der beste Durchschnitt sein.

Was macht einen unverwechselbaren Duft aus, wie zum Beispiel der von "Rosa Centifolia"?

Gutes Beispiel. Das ist auf jeden Fall ein Duft, der polarisiert. Da heißt es: Love it or leave it. Es liegt daran, dass der Duft auf gewisse Art und Weise genau das ist, was einen Duft so unverwechselbar macht. Er interpretiert das Thema Rose, genauer Mairose. Oder eben im Lateinischen die "Rosa Centifolia", also die sogenannte hundertblättrige Rose. Es ist ein Name aus der Biologie, also aus dem Lehrbuch, der eine bestimmte Rosenart beschreibt. Dieses Thema wird mit dem neu interpretierten Rosa Centifolia von unserer Parfumeurin Veronique Nyberg noch mal zu etwas ganz anderem: Es gibt Leute, die den ersten Geruch wahrnehmen und die sagen: "Oh, da ist ja gar keine Rose drin." Dieser Eindruck ist nicht ganz verkehrt, denn im ersten Moment spürt man die Rose nicht, weil sie ein bisschen kaschiert ist von etwas Trockenem, Holzigem.

Und das ist was, das Trockene, Holzige?

Was hier hinzukommt, ist Sandelholz. Diese Kombination gibt dem Ganzen diese sehr trockene, erste Note.

Ich habe eben nochmal dran geschnuppert - ich mag Rosen gar nicht so gerne. Weder als Blume noch als Duft, ist mir immer viel zu süßlich. Aber Centifolia ist überhaupt nicht süßlich. Stimmt was mit meiner Nase nicht?

(lacht) Ein Duft entfaltet sich bei jedem Menschen anders. Wir haben versucht, alles in Worte zu fassen, was es mit Rosen auf sich hat. Weil die Rose als solche sehr reich ist und oft einfach nur ein Dufthammer (lacht), anders kann man das nicht nennen. Also, alles ist hier anders und neu interpretiert, im Angeruch erstmal trocken und nicht süß. Die Süße, die kommt dann etwas später erst durch, wenn man es länger auf der Haut hat. Erst wenn der Duft seine Herznote offenlegt, kommt auch die Rose zum Tragen. Und das ist dann so ein leicht überraschender Effekt, den man eigentlich nicht erwartet von einem großen Duft.

Ein großer Duft?

Ja, das würde ich so nennen. Wegen des überraschenden Effekts. Das macht den Duft unverwechselbar, wenn dort ein Twist drin ist. Ein Element, was man bisher nicht kannte oder erwartet hat. Es ist nicht so einfach, Überraschungen zu kreieren. Angeblich gibt es jedes Jahr 500 neue Frauendüfte und 300 neue Männerdüfte weltweit.

Ein olfaktorischer Overkill ...

Ja, aber etwas zu finden, was im Grunde genommen vorhandene Dinge neu interpretiert, das ist ganz schön schwer. Veronique Nyberg ist dabei unsere "Nase" - seit der erste Launch gemacht wurde, arbeitet sie permanent an allen Duftentwicklungen.

Hat denn so eine kleine Manufaktur wie Schwarzlose auch einen gewissen Zuwachs erfahren in der letzten Zeit?

Es gibt insgesamt einen Trend hin zu den kleineren Anbietern, weil das persönlicher ist. Und was ist schon persönlicher als ein Duft? Deshalb versuchen die Großen auch alle so zu tun, als wären sie klein.

Wie darf ich das verstehen?

Es gibt jetzt von den klassischen Anbietern spezielle Serien, die so tun, als wären sie jemand anderes. Die bekommen dann andere Namen, wie ein Spin-Off einer Serie. Sie wollen eben auch spezieller und individueller sein, andere Konzepte anbieten.

Gut, denn wenn ich ein Bild von Julia Roberts sehe oder Christina Aguilera mit so einem Duftpröbchen in der Zeitung, dann interessiert mich das überhaupt nicht. Denn danach riechen ja eh schon alle anderen.

Na klar, aber es funktioniert trotzdem. Als Orientierung, als Anhaltspunkt, der Sicherheit gibt. Wenn man sich bereits selbst gefunden hat, dann will man sich eindeutig identifizieren über die Kleidung und auch über den Duft. Aber vorher, da sucht man natürlich. Aber was? Man sucht etwas, das eine universelle Sprache spricht, und das ist dann doch eher die große Marke, die den Anspruch hat, die absolute Lösung im Duftbereich zu haben. Die richtig große Auswahl. Aber später, wenn ich meine Identität gefunden habe und mich ausdrücken kann, wenn dieses Experiment der Entwicklung vorbei ist und ich zu mir stehe, dann ist es nicht mehr unbedingt notwendig, dass ich mich mit anderen identifiziere. Dann kommt man in ein Alter, wo man sagt, okay, ich will jetzt nicht mehr unbedingt so wie XY sein oder riechen, sondern man will seine spezielle Individualität erklären. Und dann suche ich mir zum Beispiel einen speziellen, einen selteneren Duft.

Ich frage mich trotzdem immer wieder: Wie kann man sich auf diesem doch sehr überfluteten Parfummarkt überhaupt noch behaupten?

Dass die Marke wieder da ist, ist fast wie ein Hobby entstanden. Die Mittel für viel Werbung haben wir gar nicht, die stecken wir lieber in die Duftentwicklung. Man kann sich nur behaupten, wenn man die Geschichte, die man erzählt, authentisch und richtig wiedergibt. Es gibt viele Marken, die erzählen erfundene Geschichten. Wir erzählen die Geschichte einer Berliner Marke, die wirklich auch eine lange Tradition hat, über 150 Jahre existierte und die zu bestimmten Zeiten den Ruf hatte, die beste deutsche Parfum-Marke zu sein und sogar kopiert wurde. Die Produktgeschichten versuchen wir immer wieder neu zu interpretieren. Wir haben ja auch bei einigen Düften eindeutig die Bezüge zu den Ursprungsdüften wieder hergestellt. Wir haben alte Flakons gesammelt und diese unserer Parfumeurin Veronique Nyberg überlassen. Sie hat dann analysiert, was in diesen alten Ursprungsdüften drin gewesen ist.

Das ist sicher ein aufwendiges Verfahren, oder?

Es geht, weil alles, was in Flaschen ist, am Ende chemisch analysierbar ist. Man konnte die Rezeptur ungefähr rekonstruieren. Wir hatten nie die Original-Rezepturen, die sind irgendwie im Krieg untergegangen oder von den Nachfahren auch nicht aufgehoben worden.

Ich war schon mal bei Ihnen im Haus, da habe ich mir diese alten Flakons anschauen können. Als Berlinerin finde es wirklich "dufte", dass so etwas Schönes aus meiner Stadt kommt, weil Berlin sonst ja immer nur den Duft von Buletten und Currywurst anzubieten hat. Und Döner. Doch gerade die alten Düfte, "1A-33" und "Treffpunkt 8 Uhr", da sind schon die Namen so süß und die Geschichten dahinter ebenfalls.

Ja, der ungewöhnliche Name 1A-33 zum Beispiel verwies auf das Automobilkennzeichen für Berlin und richtete sich an die moderne, motorisierte Frau. Der Glasflakon war im Art-Déco-Stil in der Form und im Etikett einem Kühlergrill nachempfunden. Wie gemacht für die mondäne Frau in einer freigeistigen Hauptstadt.

Apropos Glasflakon, das war Ihr Gebiet ...

Ja, ich habe vorher Parfumflaschen für viele große Marken entworfen, für Dolce & Gabbana beispielsweise. Auch für Celebritys wie David Beckham, die ein eigenes Parfum auf den Markt gebracht haben. Und irgendwann hab' ich gedacht: "Ich finde das ja alles ganz schick, aber was gibt es denn eigentlich in Deutschland außer 4711?" Ich habe recherchiert und bin auf die Berliner Marken gestoßen, und dann natürlich zwangsläufig auf diesen etwas merkwürdigen Namen Schwarzlose (lacht). Berlin war vor dem Krieg und vor dem Nationalsozialismus ein Zentrum von Kultur und Stil, die Stadt stand für Kultiviertheit. Es gab die jüdischen Modehäuser, die haben tatsächlich konkurriert mit der Pariser Haute Couture.

Das weiß ja kaum ein Mensch. "Berlin" und "Mode" und "Kultiviertheit" in einem Satz - das geht heute leider gar nicht so leicht über die Lippen.

(lacht) Das ist ein bisschen zu streng, finde ich. Jedenfalls haben die Dufthäuser in Berlin konkurriert mit den ausländischen Duftproduzenten. Schwarzlose hat die Messlatte allerdings ganz schön hoch gehangen. Die waren sehr orientiert an der französischen Parfümerie: Immer, wenn in Paris etwas neu gemacht wurde, hat man hier die deutsche Interpretation dazu geliefert. Es gibt einen Duft von 1913. Der hieß Ilona.

Lustiger Name.

Ja. Wenn ich mir die Geschichte angucke, wie das beworben wurde und was dazu als Storytelling gemacht wurde, um 1913 bis 1915, dann bezieht sich da alles auf die "Balletts Russes". Die "Balletts Russes" sind auf ihren Tourneen auch durch Berlin gekommen. Solche Ereignisse waren die pure Sensation - und Inspiration. Auch für den Duft "Ilona". Ungefähr 15 Jahre später machte Guerlain dann so einen ähnlichen Duft - dort hieß er "Shalimar."

Den es bis heute gibt.

Wie sehr wir es vermissen, riechen zu können, wissen wir immer dann, wenn wir erkältet sind.

Wie sehr wir es vermissen, riechen zu können, wissen wir immer dann, wenn wir erkältet sind.

(Foto: IMAGO/Zoonar)

Genau. Ich sitze manchmal zusammen mit Kunsthistorikern oder Freunden und fragen uns, wer wohl der erste war - ist dieser Duft in Frankreich entstanden oder war er doch von Schwarzlose in Berlin (lacht)? Ganz sicher ist, ist, dass Schwarzlose 1883 eine Innovation entwickelt hat, die in ganz Europa begehrt war: Das war der sogenannte Migränestift. Damit haben sich die Damen der Gesellschaft die Schläfen betupft. Ein Mentholstift, den die Dame von Welt neben ihrem Fächer immer dabeihatte. Dieses Produkt hat Schwarzlose von 1883 bis 1893 fast exklusiv in Deutschland und Europa hergestellt. Dieser Stift war die Grundlage für alles - man hat damals wahnsinnig viel Geld daran verdient.

Letzte Frage: Wie kann man anderen dezent klarmachen, dass man sein Lieblingsparfum nicht verraten möchte? Wie kommt man elegant aus dieser Nummer raus?

Ja, das ist schwierig. Über diese Frage habe ich schon oft nachgedacht. Es gibt ja Dinge, die auch ich nicht unbedingt verraten möchte, auch wenn ich möchte, dass möglichst viele unsere Parfums kaufen. Das ist schon schwierig. Ich hatte eine Zeit lang die Strategie, immer mein zweitliebstes Parfum zu nennen. Oder Sie nennen einen Namen, den sich kein Mensch merken kann, einen französischen zum Beispiel, der aus drei Teilen besteht (lacht). Und den sprechen Sie dann ganz schnell aus.

Mit Lutz Herrmann sprach Sabine Oelmann

Quelle: ntv.de

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