Leben

Starke Gefühle bei Kleinkindern Mit "schützender Gewalt" durch den Wutanfall

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Wut ist wichtig für die gesunde psychische Entwicklung von Kindern.

Wut ist wichtig für die gesunde psychische Entwicklung von Kindern.

(Foto: IMAGO/Panthermedia)

Der Wutausbruch eines Kleinkindes kann Eltern ganz schön hilflos machen. Ist so viel Wut noch normal und wie kann sich das Kind beruhigen? Warum Kinder tatsächlich lernen sollten, sich selbst zu regulieren und wann Eltern eingreifen sollten.

"Trotzphase" war früher, heute sprechen Psychologen und Erziehungs-Experten von der "Autonomiephase". Und die ist unbestritten wichtig für die Entwicklung des Kindes. Dennoch können Wutausbrüche des Kleinkindes für Eltern geradezu beängstigend und in der Öffentlichkeit besonders unangenehm sein - nicht nur an der viel zitierten Supermarktkasse. Den Wunsch nach weniger heftigen Gefühlsausbrüchen dürften viele Eltern kennen.

Das ist dem Kinder-Psychologen Michael Thiel zufolge ist das ein durchaus legitimes Ziel, denn "die eigenen Gefühle sollten erlebt, verstanden und später dann auch selbst reguliert werden können". Das sei wichtig für die gesunde psychische Entwicklung des Kindes. "Wer als Kind keinen Zugang zu seinen Gefühlen bekommen hat, wer nicht gelernt hat, sie zu bemerken, zu beschreiben und zu regulieren, wird auch nicht zum Mitfühlen, zur Empathie, fähig sein", so Thiel. Dieser Entwicklungsschritt sei gar die Grundvoraussetzung für menschliches Miteinander.

Woher kommt die Wut?

Alle Gefühle dürfen und sollen also sein, wahrgenommen und angemessen ausgedrückt anstatt unterdrückt werden. Sie zeigen "was mit uns los ist", so Thiel. Gefühle seien wie "Signale im Kopf" und wenn eine Situation belastend oder gefährlich oder auch besonders schön erscheine, würden entsprechende Hormone ausgestoßen. So bereite beispielsweise Wut auf Kampf oder Flucht vor.

Seit der Ur-Zeit also alles völlig normal und sinnvoll, dabei dürfen wir aber auch zugeben, dass Wut in Form eines Wutausbruchs des Kindes ganz schön unangenehm sein kann. Auch für den Kinder-Psychologen ist zu viel davon problematisch: "Wut kann zerstörerisch sein und kann das Kind oder sein Gegenüber buchstäblich kaputt machen." Kinder seien noch ungeregelt im Ausdruck ihrer Gefühle und ohne Scham, so Thiel: "Sie sind 100 Prozent Wut, mit hochrotem Kopf, Schreien und Strampeln. Das kann Eltern Angst machen und ist zudem auch peinlich, wenn es in der Öffentlichkeit passiert."

Besonders sensible oder sogar hochsensible Kinder, deren Amygdala schnell Stresshormone ausschüttet, würden dabei tendenziell stärkere Emotionen und intensivere Wutausbrüche erleben, erklärt der Kinder-Psychologe. Sie nehmen ihre Umgebung und ihre eigenen Emotionen oft intensiver wahr. Dadurch können sie sich schnell von Dingen überwältigt fühlen, beispielsweise durch laute Geräusche, starke visuelle Eindrücke oder starke emotionale Reaktionen. Solche "hochreaktiven" Kinder würden dementsprechend empfindlicher auf ihre eigenen Emotionen reagieren.

Darum sollte Wut reguliert werden

Für die kindliche Entwicklung ist die Abgrenzung von den Eltern, die sie zuvor als zu sich gehörend empfunden haben, elementar. Als andere mögliche Gründe für kindliche Wut nennt Michael Thiel: Frustration bei Hindernissen oder Schwierigkeiten, unzureichende Kommunikationsfähigkeiten und das Gefühl, nicht gehört oder verstanden zu werden. Aber auch bei Einschränkungen und Regeln können Kinder wütend reagieren, wenn sie das Gefühl haben, dass ihre Freiheit oder ihr Wunsch nach Autonomie stark eingeschränkt wird. Überforderung durch zu viele Reize, Anforderungen oder Aktivitäten kann zu Überstimulation führen.

Auch ungelöste Konflikte wie Probleme in der Familie oder in Kindergarten und Schule können bei Kindern das Gefühl auslösen, dass ihre Bedürfnisse nicht erfüllt werden. Darüber hinaus haben Kinder oft ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl und das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, kann sie wütend machen.

Unreguliert kann ein starkes Gefühl wie Wut für das Kind zu Problemen führen, sagt der Kinder-Psychologe und Podcaster Michael Thiel ("Psychologen beim Frühstück"). Als ein Beispiel nennt er Umgang mit Freunden oder Lehrern. Es sei daher wichtig, mit ihm Strategien zur Emotionsregulation zu lernen. Es gelte, Techniken zu entwickeln, die Wut "in gesunde Bahnen" zu lenken und konstruktive Lösungen für Probleme zu finden.

Neben den unerwünschten sozialen Konsequenzen gibt es laut Thiel noch eine Reihe weiterer Vorteile und gute Gründe, Wut in angemessenere Stärke zu regulieren: emotionale Intelligenz zu fördern beispielsweise. Indem Kinder lernen, ihre Gefühle zu identifizieren und zu benennen, entwickeln sie ein besseres Verständnis für sich selbst und andere, so Thiel. Gefühle zu benennen und auszudrücken erleichtere die Kommunikation und helfe Kindern, ihre Bedürfnisse und Anliegen besser durchzusetzen. Das trägt laut Thiel auch zur gewaltfreien Konfliktlösung bei. "Wer redet, muss nicht hauen!", so der Psychologe. Außerdem werde durch stärkere Empathie das Verständnis für die Emotionen anderer Menschen gefördert, was wiederum zu echten, stabilen Beziehungen und Freundschaften führe.

Expertin rät zu "schützender Gewalt"

In ihrem aktuellen Buch "Die Superkraft der liebevollen Führung" beschreiben die Elternberaterinnen Dr. Martina Stotz und Kathy Weber, Empathie für das Kind sowie dessen Gefühle und Bedürfnisse zu würdigen als Kern der "Liebevollen Führung" (FüLi). "Reagiert dein Kind nun also wütend, schreit vielleicht, schlägt um sich, tritt oder beißt, brauchst du als Erstes die klare und empathische Haltung, dass dein Kind das nicht macht, um dich zu ärgern", so die Autorinnen.

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Eine förderliche Einstellung sei es, sich klarzumachen, dass das Kind im Wutausbruch nicht absichtlich handele, sondern gerade versuche, etwas über sich zu erzählen. Gleichzeitig sehen Dr. Stotz und Weber aber auch Handlungsbedarf, wenn ein Kind Gefahr laufe, sich oder andere zu verletzen: "Du sorgst mit der empathischen inneren Haltung dafür, dass alles und alle unverletzt bleiben." Ein solches kontrolliertes Eingreifen, das sie "schützende Gewalt" nennt, könne in mehreren Schritten ablaufen: Zunächst, wenn erforderlich, der körperliche Eingriff: "Wenn dein Kind schlägt oder tritt, hältst du die Fäuste oder Füße fest - so sanft wie möglich, aber so fest wie für den Schutz nötig." Ist die Situation aufgelöst, gelte es, das Nervensystem durch Berührung herunterzufahren. Das gelinge durch tröstende Gesten wie in den Arm nehmen.

Anschließend und erst wenn das Kind aufnahmefähig ist, können Eltern verbale oder nonverbale Botschaften über die bewältigte Situation senden. Etwa Aussagen wie "Ich bin da" oder "Wir kriegen das hin". Je nach Situation können die beiden letzten Schritte aber auch genau umgekehrt stattfinden, sagen Dr. Martina Stotz und Kathy Weber. Wichtig sei, auf das Kind empathisch zu reagieren und nonverbale Botschaften wie Ohren zuhalten aufzunehmen und zu interpretieren - nämlich als "Ich bin jetzt nicht bereit für Worte".

Wut regulieren und vorbeugen

Was hilft nun aber dem heranwachsenden Kind, seine teilweise überwältigende Wut zu besänftigen? Die Gefühle, die hinter der Wut stecken, sollte es herauslassen, so Stotz und Weber. Stress, Verzweiflung, Hilflosigkeit und Frustration könnten abgeleitet werden durch Rausschreien, Grimassen machen, ein Wutkuscheltier gegen die Wand werfen, Stampfen oder auf ein Kissen hauen. Sogar eine separate Wutecke könne man zu diesem Zweck einrichten, empfehlen die Elternberaterinnen. Aber zunächst mal sind die Eltern dran mit Schreien, Stampfen, Werfen: Kleinkinder benötigten ein Vorbild, das das Verhalten zeige.

Grundsätzlich sollten Eltern sich fragen, was ihr Kind schon alles selbst erledigen könne oder wo sie es unterstützen könnten, die Dinge allein zu schaffen. Denn: "Je stärker Autonomie im Alltag erfüllt ist, desto geringer wird die Frustration in solchen Momenten sein."

Quelle: ntv.de

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