Einer wird gewinnen Auf sie sollten Sie beim ESC achten
08.05.2018, 12:06 Uhr
Geht als Topfavoritin ins Rennen: Sängerin Netta aus Israel.
(Foto: imago/ZUMA Press)
Mit dem ersten Halbfinale geht der Eurovision Song Contest in die heiße Phase. Und wie jedes Jahr wird heftig über die Favoriten des Wettbewerbs spekuliert. Wir zeigen Ihnen, wer den Sieg drauf hat, wer ihn verdient hätte - und wer nicht.
43 Länder gehen beim diesjährigen Eurovision Song Contest (ESC) in Portugals Hauptstadt Lissabon an den Start. Das erste Mal gesiebt wird im ersten Halbfinale, das am Dienstagabend über die Bühne gehen wird. Zeit, sich aus dem Fenster zu lehnen und eine Prognose zu den Favoriten in diesem Jahr abzugeben.
Schweden, oh Wunder, ist schon mal nicht dabei. Was der ESC-Dauerabonnent in diesem Jahr mit Benjamin Ingrossos Song "Dance You Off" zu bieten hat, ist einfach viel zu belangloser Dödel-Pop von der Stange. Auch den wieder gern gesehenen, weil weit gereisten Gästen aus Australien mit "We Got Love" von Jessica Mauboy mag man den Sieg nicht zutrauen. Ganz zu schweigen von San Marino, die mit "Who We Are" von Jessika Featuring Jenifer Brening auch ganz ohne Ralph Siegels Zutun wieder mal gnadenlos abschmieren werden. Stattdessen sollten Sie beim ESC auf diese Künstler und Songs ein ganz besonderes Augenmerk richten:
Israel: Netta, "Toy"
Diese Vorhersage ist einfach. Nicht nur, weil dieser Beitrag bei nahezu allen Buchmachern als Top-Top-Top-Favorit gehandelt wird. Und nicht nur, weil das zugehörige Video mit knapp 20 Millionen Klicks bereits x-mal häufiger bei Youtube aufgerufen wurde als jeder andere ESC-Clip in diesem Jahr. Nein, die israelische Version von Gossip-Sängerin Beth Ditto namens Netta scheint den Zeitgeist-Nagel vollends auf den Kopf zu treffen.
Aber Vorsicht: Dass auch ESC-Teilnehmer, die schon wie die sicheren Sieger aussehen, straucheln können, zeigte sich erst im vergangenen Jahr. Da wurde der Italiener Francesco Gabbani trotz seiner Favoritenrolle am Ende nur Sechster. Und ob es wirklich in allen Eurovisions-Ländern mehrheitsfähig ist, wie sich Netta durch ihren Song "Toy" gackert, darf zumindest bezweifelt werden.
Tschechien: Mikolas Josef, "Lie To Me"
Ein Stimmwunder wie die "goldene Stimme aus Prag" Karel Gott ist der Tscheche Mikolas Josef nicht. Aber er hat es faustdick hinter den Ohren - und schafft es mit seiner Performance und dem Song "Lie To Me", die für unmöglich gehaltene Kreuzung aus Harry Potter und Justin Timberlake auf die Bühne zu bringen.
Das funktioniert, auch wenn das Lied mit seinem Bläser-Loop ein wenig beim Sunstroke Project und "Hey Mamma", dem ESC-Beitrag aus Moldau im vergangenen Jahr, abgekupfert wirkt. Bei seinem Lausbuben-Charme verzeiht man Josef sogar den Ranzen, den er sich bei seinem Auftritt auf den Rücken schnallt. Und wer weiß? Vielleicht kann er in ihm am Ende ja sogar die ESC-Trophäe verstauen.
Bulgarien: Equinox, "Bones"
Bulgarien will es echt wissen. Aus dem Land kamen schon in den vergangenen Jahren äußerst starke Beiträge: 2016 wurde Poli Genowa mit "If Love Was A Crime" Vierte, Kristian Kostow schaffte es mit "Beautiful Mess" 2017 sogar bis auf den zweiten Platz. Aller guten Dinge sind drei, heißt es bekanntlich. Und so könnte den Osteuropäern nun mit Equinox und "Bones" tatsächlich der ganz große Coup gelingen.
Vier Männer und eine Frau bilden die Formation, die speziell für den ESC gegründet wurde. Dass sie zuvor noch nie zusammen gesungen haben, spielt vor allem auf Grund ihres Songs keine Rolle. "Bones" gräbt sich vielleicht nicht unbedingt gleich, wie es im Refrain heißt, tief in die Seele - aber verdammt tief in die Gehörgänge.
Russland: Julia Samoilowa, "I Won't Break"
Dass es auf den russischen Beitrag in diesem Jahr ganz besonders zu achten gilt, hat nicht in erster Linie mit dem Song "I Won't Break" zu tun. Vielmehr spielen die Ereignisse beim ESC in Kiew im vergangenen Jahr eine entscheidende Rolle. Die Ukraine wollte die von Moskau bestimmte Teilnehmerin nicht an den Start gehen lassen, weil sie zuvor aus Russland auf die besetzte Krim gereist und dort aufgetreten war. Die Folgen: ein russischer TV-Boykott der Veranstaltung und ein Eklat.
Die von Russland eigentlich ausersehene ESC-Kandidatin war die an den Rollstuhl gefesselte Julia Samoilowa. Sie tritt nun - ätsch, bätsch, Ukraine - in Lissabon an. Eine gewisse Solidarisierungswelle mit ihr kann nicht ausgeschlossen werden.
Estland: Elina Nechajewa, "La forza"
Der ESC ist immer für Überraschungen gut. Und manchmal hat zum Schluss der Beitrag die Nase vorn, der so vollkommen aus einer anderen Welt als all die anderen zu kommen scheint. Das war so, als die Finnen Lordi 2006 in Athen die Konkurrenz einfach wegbliesen, als eine österreichische Frau mit Bart namens Conchita Wurst 2014 den Contest in Kopenhagen gewann oder selbstredend auch, als der Portugiese Salvador Sobral im vergangenen Jahr in Kiew die ESC-Gemeinde einlullte.
Auch Elina Nechajewa aus Estland sticht zweifelsohne aus der Masse der Teilnehmer in Lissabon hervor. Und das nicht nur wegen der aufwendigen Videoanimation bei ihrem Auftritt, die ihr Kleid mit der Bühne verschmelzen lässt. Die Opernsopranistin bringt mit "La forza" auch klassischen Gesang zu Gehör. Allerdings ist sie damit nicht die erste. Ähnliche Beiträge brachten es bislang nicht zum ESC-Sieg.
Norwegen: Alexander Rybak, "That's How You Write A Song"
Gucken Sie genau hin! Den kennen Sie ja wohl?! Richtig, Alexander Rybak ist ESC-Wiederholungstäter. Und zwar nicht irgendeiner. Sein Song "Fairytale", mit dem er sich 2009 beim Contest in Moskau zum Triumph fidelte, darf wirklich auf keiner ESC-Party fehlen und ist vielleicht einer der bekanntesten Gewinner-Songs aller Zeiten.
Das dürfte dem Norweger einen gewissen Startbonus geben. Doch auch hier gibt es zwei Aber: Zum einen hat der inzwischen 31-jährige Sänger doch ein wenig von seiner einstmals jugendlich-unbeschwerten Ausstrahlung eingebüßt. Zum anderen ist sein diesjähriges Lied "That's How You Write A Song" ja vielleicht ganz witzig - viel mehr aber auch nicht.
Frankreich: Madame Monsieur, "Mercy"
Die Franzosen zum Favoritenkreis zu zählen, ist gewagt. Schließlich liegt ihr letzter ESC-Triumph inzwischen mehr als 40 Jahre zurück. Und auch als eines der "Big 5" genannten Länder, die automatisch für das Finale gesetzt sind, hat Frankreich in den vergangenen Jahren nichts gerissen. Aber immerhin: 2016 ging es mit dem sechsten und 2017 mit dem zwölften Platz aufwärts.
Vielleicht schafft es das Duo Madame Monsieur diesen Trend fortzusetzen. Ja, vielleicht gelingt es ihm mit seinem schlicht "Mercy" betitelten Song sogar, ihn in einen Sieg zu münzen? Das entspannt vor sich hin groovende Lied hat jedenfalls Ohrwurm-Potenzial.
Schweiz: Zibbz, "Stones" ...
Nein, hoch gehandelt wurden unsere Schweizer Nachbarn im Vorfeld des Contests in Portugal nicht. Aber vielleicht entpuppen sie sich dort doch noch als Überraschung. Wenn Zibbz, wie sich das eidgenössische Indie-Pop-Geschwister-Duo unaussprechlich nennt, mit "Stones" auf der Bühne in Lissabon loslegen, brennt jedenfalls die Hütte.
... oder doch lieber Österreich: Cesár Samson, "Nobody But You"
Der Superhit "Human" von Rag 'n' Bone Man hat irgendwo im Hintergrund von "Stones" ebenso seine Spuren hinterlassen wie beim österreichischen Beitrag "Nobody But You". Die Buchmacher prophezeien Cesár Sampson zumindest schon mal, das Halbfinale zu überstehen. Sein Song hat vielleicht ein wenig mehr Potenzial als der Konkurrent aus der Schweiz. Allerdings erwies sich Sampson in Lissabon als stimmlich etwas schwach auf der Brust.
Deutschland: Michael Schulte, "You Let Me Walk Alone"
Ach was?! Auch dem deutschen Beitrag werden wieder einmal kaum Chancen eingeräumt? Die Buchmacher handelten ihn zuletzt nur irgendwo um den 19. Platz? Abwarten. Denn auch Michael Schulte könnte in Lissabon vom Mauerblümchen zur feuerroten Orchidee aufblühen.
Seine Performance jedenfalls lässt hoffen. Zwar steht auch er wie die im vergangenen Jahr mit dem vorletzten Platz abgestrafte Levina allein auf der Bühne. Aber Unterstützung erhält er von einer Videoanimation, die seinem Auftritt mit der Ballade "You Let Me Walk Alone" in Gedenken an seinen verstorbenen Vater durchaus Wumms verleiht. Und die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Die Hoffnung, dass er bei der Endabrechnung zumindest in die vorderen Regionen vorstoßen kann.
Spanien: Amaia y Alfred, "Tu canción"
Ist es gehässig, Ihnen noch einen Beitrag zur gezielten Inaugenscheinnahme zu empfehlen, der besonders negativ aus dem Teilnehmerfeld herausragt? Egal, wir machen es einfach. Die Spanier Amaia y Alfred schmachten sich zum triefenden "Tu canción" derartig zum Fremdschämen auf der Bühne an, dass man meinen könnte, Cindy und Bert hätten sich wiedervereint.
Dennoch: Bereits mehr als sechs Millionen Menschen wollten das bei Youtube sehen - nach dem Clip von Netta aus Israel bringt es das Video auf die zweithöchsten Abrufzahlen. Und auch die Buchmacher prognostizieren für den spanischen Beitrag einen Platz in den Top Ten. Was uns das lehrt? Die Wege des ESC sind nun mal einfach unergründlich.
Quelle: ntv.de