Münchener "Tatort" im Schnellcheck Batic und Leitmayr suchen "Die Wahrheit"
23.10.2016, 21:43 UhrEin Mord ohne Motiv ist hartes Kriminalistenbrot. Umso schlimmer, wenn die Ermittler auch noch einen Kampf mit sich selbst ausfechten. In seinem 73. Fall strauchelt das Duo äußerst sehenswert durch ein Geflecht aus Burnout, Intrigen, Nächstenliebe und Mordlust.
Das Szenario

Ayumi Schröder muss miterleben, wie ihr Mann Ben in ihren Armen stirbt.
(Foto: R/X Filme/Hagen Keller/dpa)
Ben Schröder (Markus Brandl) will mit seiner Frau Ayumi (Luka Omoto) und seinem kleinen Sohn Taro (Leo Schöne) eigentlich nur kurz in den Supermarkt, als er vor dem Geschäft einen am Boden liegenden Mann sieht. Der Familienvater will dem augenscheinlich Hilflosen auf die Beine helfen, als der ein Messer zieht und mehrmals zusticht. Schröder kommt auf die Intensivstation, wo er kurze Zeit später stirbt. Ein verworrener Fall für Batic und Leitmayer. Nicht nur, dass es kein Motiv zu geben scheint und die Augenzeugen einander widersprechen. Ivo Batic (Miroslav Nemec) leidet zudem unter chronischer Schlaflosigkeit und kollabiert schließlich sogar. Eine Tatsache, die auch Polizeichef Karl Maurer (Jürgen Tonkel) nicht entgeht, der daraufhin den ebenfalls angeschlagenen Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) zum Leiter der Ermittlungen macht.
Die eigentliche Botschaft
Nichts ist, wie es scheint. Und die "Wahrheit", die titelgebende, ist so flüchtig wie Kerzenrauch im Schneesturm. Da wird Leitmayr zum Boss gemacht, um ihm doch nur eins auszuwischen. Die Augenzeugen, so scheint es, haben mindestens ein halbes Dutzend verschiedene Täter gesehen. Und Kollegin Christine (Lisa Wagner) telefoniert nicht etwa aus privaten Gründen mit jemandem in den USA. Nein, die gute Frau wechselt zum FBI. All die Erfahrung, all die knochenharten Dienstjahre nützen nichts, wenn alle Spuren im Sand verlaufen. Burnout, Midlife Crisis, der chronische Kater in Sichtweite der Pensionierung und vom Mörder keine Spur - gerade wenn man ein Erfolgserlebnis am nötigsten braucht, liegt es oft in unerreichbarer Ferne.
Darüber wird in der Mittagspause geredet
Fall um Fall - in Kürze werden es sage und schreibe 1000 sein - ist das "Tatort"-Muster das gleiche: Ein Toter gegen 20.18 Uhr, der erste Verdächtige um kurz nach halb neun, ein Verhör um halb zehn und wenn um 21.45 Uhr zu "Anne Will" geschaltet wird, ist der Mörder dingfest gemacht. Wie oft dachte man schon: Was, wenn man den mal nicht fängt? Die alten Hasen aus München bekommen es nun ausgerechnet mit so einer katharsis-freien Episode zu tun. Ein Mörder ist gefangen, ein weiterer, der vom Supermarkt, läuft immer noch frei herum. Darf der "Tatort" das? Jenes Filmgesetz brechen, dass die Guten am Ende gewinnen, die Moral siegt, das Verbrechen gesühnt wird? Er darf. Eine Schlusseinstellung, die nachhallt: Leitmayr, derangiert und fiebrig, vor der Wandcollage des Augenzeugen, der zum Mörder wurde und doch nur ein Nachahmungstäter war. Offenes Ende beim "Tatort" - kann man machen. Sehr gut sogar.
Der Plausibilitätsfaktor
"Mord ohne Motiv gibt es eigentlich gar nicht", so Alexander Horn, Leiter der Operativen Fallanalyse Bayern, im Interview zur Sendung. Ein Motiv gebe es immer, die Frage sei lediglich, ob es von außen nachvollziehbar ist. Sollte das nicht der Fall sein, wird es schwer. So schwer, dass sich die Ermittlungen wie in diesem Fall über Monate ohne Ergebnis hinziehen. In Deutschland betrug die polizeiliche Aufklärungsquote im Jahre 2015 bei Mord 94,8 Prozent. Bleiben 5,2 Prozent offene Fälle. Der Plausibilätsfaktor ist also durchaus hoch.
Die Bewertung
9 von 10 Punkten. Verworren, stimmungsvoll, ungewöhnlich - die Münchener Seniorenresidenz hat den Kampf gegen die neue Armada frischer Ermittlerteams endgültig angenommen.
Quelle: ntv.de