"Happy Birthday Sarah" Das Mädchen und der Mord
01.12.2013, 22:18 Uhr
Die "Tatort"-Kommissare Thorsten Lannert (l., Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) ermitteln in "Happy Birthday, Sarah".
(Foto: dpa)
Die Kommissare Richy Müller und Felix Klare werden im Stuttgarter "Tatort" mit Missbrauch konfrontiert. Sie müssen den Mord an einem Sozialarbeiter aufklären – und ein Mädchen beschützen. Das ist alles in allem solide Krimikost aus dem Schwabenländle.
Nach rund 85 Minuten kommt ein Geständnis, was so sicher wie das Amen in der Kirche keines ist. Von Glaubensbekenntnissen halten die Kommissare aus Stuttgart herzlich wenig, denn es geht um Missbrauch. "Es ist egal, was wir glauben, wir sind nicht die katholische Kirche. Wir verteilen keine Schuld und wir vergeben keine" sagt Thorsten Lannert (Richy Müller). Er und sein Partner haben die Ermittlerarbeit im Umfeld eines Stuttgarter Jugendtreffs erledigt, mit einem Ende, das alles andere als nichtssagend ist.
Der junge Regisseur Oliver Kienle hat sich in seinem Debüt-"Tatort" "Happy Birthday, Sarah" ein Thema auferlegt, dessen Aktualität nicht aufgesetzt wirkt, sondern leider alltäglich ist. Minderjährige werden meist in einem Umfeld missbraucht, wo sie auf vertraute Wegbegleiter treffen. Nach 90 Minuten hätten die Handschellen ebenso in der katholischen Kirche, im Sportverein oder im Klassenzimmer klicken können. Kienle erzählt von der verhängnisvollen Beziehung zwischen Mädchen und Mann, aber treibt die Geschichte noch weiter: Er bringt auch eine Debatte auf um Kinder, die als Schutzschild vor dem Gesetz benutzt werden.
"Der Mann, wo meine Schwester bumsen tut"

Die junge Sarah wird zur Hauptverdächtigen der Kommissare Lannert und Bootz, als sie den Mord am Mitarbeiter eines Jugendhauses aufklären müssen.
(Foto: obs)
Doch zurück zum Anfang. Die Leiche eines Sozialarbeiters liegt mit eingeschlagenem Schädel und heruntergelassener Hose ersoffen im Klo eines Kinder- und Jugendhauses. Das "Tatort"-Duo trifft bei seinen Ermittlungen schnell auf Sarah (Ruby O. Fee), 13 Jahre jung, frühreif, rotzfrech, Dauergast im Jugendtreff. Das Kind kommt aus einer kriminellen Familie, lebt mit der Schwester und "dem Mann, wo meine Schwester bumsen tut" in einer verqualmten, heruntergekommen Sozialbauwohnung. Sie will raus aus dem Getto, rein in ein Leben mit Zukunft.
Die Spannung verdankt der Krimi vor allem seiner jungen Titelheldin. Schnell hängt man dem Mädchen an den vollen Lolita-Lippen, wenn sie auch nicht immer die Wahrheit sagen. Den beiden Kommissaren will Sarah weismachen, sie sei diejenige, die den Sozialarbeiter ermordet hat, weil er sie sexuell missbraucht hat. Das Mädchen ist minderjährig und somit noch nicht strafmündig. Schnell spielt sie die "Mir kann keiner was"-Rolle. Damit ist das Spannungsfeld aufgebaut, in dem sich dieser "Tatort" bewegt. Denn strafmündig sind Jugendliche erst mit 14 Jahren.
Aktuelles Thema
Aktuell ist das Thema auch deshalb, weil der Regisseur diese Grauzone an den Pranger stellt. Kinder müssen nicht ins Gefängnis, werden nicht vor Gericht gestellt und genau deshalb etwa als Drogenkuriere von ihren kriminellen Familien eingesetzt. Oder sie müssen vor Gericht für die sogenannten Ehrenmorde ihrer älteren Geschwister herhalten, weil sie als Minderjährige nicht büßen müssen.
Der "Tatort" ist gut gemacht, doch wie sich das anfühlt, ausgenutzt und missbraucht zu werden, sieht der Zuschauer in den anderthalb Stunden nicht, er hört es allenfalls. Wann immer sich Sarah von der Erwachsenen-Welt abkapseln will, stöpselt sie sich nicht etwa Altersgenossen-Musik von Rihanna oder Eminem ins Ohr, sondern die Rollling Stones, Creedence Clearwater Revival und The Prodigy ("You’re no good for me, I don’t need nobody"!). So temporeich und spannungsgeladen wie die Songs auf dem MP3-Players des Unterschichtenmädchens ist der ganze Film, der nach einem Drehbuch von Wolfgang Stauch entstand.
Kommissaren-Klone
Um den Gegensatz zu Sarahs Lebenswelt zu erzählen, bedient sich der "Tatort" im Privatleben von Sebastian Bootz (Felix Klare). Auch beim Kommissar fliegen zu Hause die Fetzen, allerdings ist das vergleichsweise harmlos. Bootz wurde von seiner Frau verlassen, teilt sich wochenweise mit ihr die Kinder und das ist ein wenig so, als hätte sich der SWR einen Klon geschnitzt. Denn es gibt bereits eine Vielzahl von alleinerziehenden "Tatort"-Kommissaren, angeführt vom Berliner Polizeibeamten Felix Stark, der seinen Jungen alleine groß zieht, über Fahnderin Inga Lürsen und ihre erwachsene Tochter bis hin zum Jung-Single-Papa Henry Funck in neuen Erfurt-Tatort. Darf ein Kommissar denn gar nicht mehr glücklich sein? Schade, dass die "Tatort"-Macher Sebastian Bootz Frau, Kinder und Heim nicht gelassen haben. Jetzt darf er sich einreihen in die Gruppe all der Beziehungsversager unter all den TV-Kommissaren. Immerhin gibt es vom Partner aus Stuttgart tröstende Worte. "Da muss man sich erstmal reinfinden, wenn man alles allein machen muss", sagt Thorsten Lannert, der selbst Frau und Kind bei einem tragischen Unglück verloren hat.
Am Ende sind die beiden auch als Ermittler ein eingespieltes Team. Kein wilder Action-Ritt durch den Hexenkessel, wenig Blut und Lacher, aber dafür spannend-solide Krimikost aus dem Schwabenländle zeichnen diesen "Tatort" aus.
Quelle: ntv.de