Einblick in die Comicszene Die coolen Kids sind "Millionäre"
23.03.2017, 17:23 Uhr
Arbeit der US-Künstlerin Gina Wynbrandt, die beim "Millionaires Club" in Leipzig zu Gast ist.
(Foto: Gina Wynbrandt)
Während sich die Massen der Leipziger Buchmesse durch riesige Hallen schieben, feiern in der City internationale Comic-Künstler ihr eigenes Festival. "The Millionaires Club" ist aber nur ein Beispiel für eine Comicszene jenseits der Verlagswelt.
Ist das Sarkasmus? Ausgerechnet "The Millionaires Club" nennt sich eine kleine Veranstaltungsreihe parallel zur Leipziger Buchmesse. Es geht um Comics - also ein Medium, mit dem man in Deutschland als Künstler bestimmt keine Millionen verdient. "Diese Leute gehen keine Kompromisse ein", heißt es dafür in einer Ankündigung über die Macher des kleinen Festivals in der Leipziger Kolonnadenstraße. Das lässt aufhorchen am Rande der üblichen Messeroutine.
Die Organisatoren sind selbst Zeichner und Grafiker, darunter etwa Max Baitinger, der bereits mehrere Bücher veröffentlicht hat, oder Anna Haifisch, die für Vice den Comic "The Artist" zeichnet, der mittlerweile auch gedruckt erschienen ist. Neben deutschen Zeichnern sind Gäste aus China, den USA und Kanada dabei. Es gibt Ausstellungen, Comiclesungen, Künstlergespräche und Workshops zu Siebdruck und dem Selberbauen einer Tattoomaschine.
Hinzu kommt ein Markt für Comics, Fanzines und grafische Kunst. Dort präsentieren sich zwar auch kleine, unabhängige Comicverlage, die auch auf der Buchmesse präsent sind. Daneben gibt es aber Künstler, die Selbstverlegtes verkaufen, Zeichnungen und Kleinkunst. Nicht selten sind es avantgardistische Werke, provokant und herausfordernd, zeichnerische und erzählerische Experimente, die man in etablierten Verlagen selten findet, die aber trotzdem fester Bestandteil der Comicszene sind.

Auf Veranstaltungen wie der Comicinvasion Berlin (hier 2016) präsentieren Künstler selbstverlegte Zeichnungen und Comics.
(Foto: Markus Lippold)
"The Millionaires Club" ist ohnehin nur ein Beispiel für diese Szene am Rande der Verlagswelt, die aus Online-Comics und Blogs besteht, aus Magazinen und selbstverlegten Büchern. Wenn diese Szene zusammenfindet, präsentiert sie sich vielfältig und vital, nicht nur in Leipzig. Anfang Mai etwa findet bereits zum sechsten Mal die Comicinvasion Berlin statt. Ende desselben Monats folgt das Comicfestival München, 2018 wieder der alle zwei Jahre stattfindende Comicsalon in Erlangen, das größte deutschsprachige Comicfest.
Im besten Fall präsentieren sich dabei Verlage, unabhängige Magazine und Künstler nebeneinander. Die qualitativen Differenzen sind ohnehin kleiner geworden. "Die technischen Möglichkeiten, also sowohl der Kommunikation als auch des Drucks, haben sich dermaßen verbessert, dass die Unterschiede fließend geworden sind", erzählte etwa Andreas Hartung n-tv.de beim letztjährigen Comicsalon. "Mit Begriffen wie Underground-Comix kann ich deshalb eigentlich nichts mehr anfangen", sagt er mit Verweis auf die alternative Comicszene, die in den 60er- und 70er-Jahren entstand.
20 Konflikte, 40 Künstler
Hartung ist Mitherausgeber des Comicmagazins "Epidermophytie", das sich Mitte der 90er gründete. "Uns war es wichtig, uns von klassischen Fanzines abzugrenzen", erzählt er über die damalige Zeit. Man wollte kein geklammertes Heft aus dem Kopierer, sondern ein gedrucktes Magazin. Mittlerweile gebe es viele professionell gemachte Magazine. "Die sind auf jeden Fall wichtig, als Publikationsform und als Netzwerk, als Austausch", sagt Hartung. Trotzdem beobachtet er eine neue Szene von Fanzines, deren Macher gerade das Selbstgemachte schätzen.
Ein Beispiel dieses Austauschs ist der von "Epidermophytie" und anderen initiierte "Comic Culture Clash". 40 Comic-Künstler behandeln in dem Buch 20 Konflikte rund um die Welt - wobei jeweils zwei Kurzcomics entgegengesetzte Perspektiven einnehmen. Es geht um Assad und die syrische Opposition, um Schiiten und Sunniten, um Geflüchtete und "besorgte Bürger" oder um Mieter und Vermieter. Das Buch, das mittlerweile auch online gelesen werden kann, ist ein Blick auf die Vielfalt der Comicszene, auf unterschiedliche Stile, Herangehensweisen und Meinungen. Es gibt starke Eindrücke, gelungene Auseinandersetzungen mit den Themen, auch wenn nicht jeder Comic überzeugt.
Einer der beteiligten Künstler ist Jeff Chi. Der Nürnberger hat nicht nur einen preisgekrönten Comicblog, sondern ist auch an dem 2013 gegründeten Magazin "Mondo" beteiligt. "Da ging es schon um sowas wie Selbstverwirklichung", sagt er über die Entstehung des Heftes. Immerhin könne man damit aber Druckkosten und Standmieten auf Messen bezahlen - "was gar nicht selbstverständlich ist bei Comics", wie Chi sagt. "Wirklich im Comicbereich arbeiten können in Deutschland ja sowieso nur sehr wenige Menschen."
Wie Hartung spricht auch Chi von einer Professionalisierung in der Szene, vor allem dank der Digitalisierung. Wobei die Übergänge für ihn fließend sind: "Ich glaube, viele junge Künstler, die später bei Verlagen landen, fangen mit Magazinen an", sagt er. Andererseits würden auch Künstler, die bereits bei Verlagen publiziert haben, weiterhin Hefte machen. Die deutsche Comicszene sei eben stark vernetzt - "in dem Sinne, dass man alle kennt", sagt er. Allerdings gebe es auch "eingefleischte Zine-Macher", so Chi. "Für die ist das eben das Medium, in dem sie sich ausleben können." Jene sowohl inhaltliche als auch formale Freiheit dürfte für nicht wenige Künstler der wichtigste Antrieb sein, ein eigenes Magazin oder digitales Produkt herauszubringen.
Die Möglichkeiten des Internets
Einen etwas anderen Weg als reine Comicmagazine geht die Webseite "Comicgate", die alle ein bis zwei Jahre auch ein gedrucktes Magazin herausgibt. Es beinhaltet weniger Comics als Texte über die Kunstform. "Die Idee war, Artikel zu schreiben, die etwas tiefgründiger sind, die auch hinter die Kulissen blicken", erklärt Mitherausgeber Thomas Kögel das Konzept. Die Macher, die vor allem als Fans zur Szene stießen, wollen Theorie und praktische Beispiele nebeneinanderstellen.
Begeistert zeigt sich Kögel von den digitalen Möglichkeiten. Vor allem das Internet ist für ihn der Ort für eine vielfältige Comicszene: "Die Leute stellen etwas ins Netz, bekommen unmittelbar Reaktionen und können sich auch eine kleine Fanbasis aufbauen", sagt er. Gerade im Manga-Bereich sei diese Szene sehr lebendig. Dojinshi nennt man dort im Selbstverlag veröffentlichte Hefte. "Die Leute haben ihre Follower auf Facebook oder bei anderen Netzwerken. Dann gehen sie zu Messen oder Conventions und verkaufen dort ihre Geschichten." Das sei wahnsinnig spannend, sagt Kögel, da entstehe sehr viel Neues.
Womit wir wieder bei der Leipziger Buchmesse wären. Dort wurde vor einigen Jahren der Comicbereich als Manga-Comic-Con ausgegliedert. Der Schwerpunkt liegt auf den japanischen Comics, wurde aber durch Bereiche wie Anime, also japanische Zeichentrickfilme, und Games erweitert. Zudem ist die Messe ein beliebter Treffpunkt von Cosplayern, die sich fantasievoll als ihre Lieblingscharaktere aus Mangas und Animes verkleiden. Auch sie sind mittlerweile ein fester Bestandteil der deutschen Comicszene, die zwar keine Millionäre hervorbringt, dafür aber Kreativität.
Quelle: ntv.de