Unterhaltung

Stuttgarter SciFi-"Tatort" Ein großer Bruder namens Bluesky

Bluesky analysiert in Sekundenschnelle sein Gegenüber - auch Kommissar Bootz.

Bluesky analysiert in Sekundenschnelle sein Gegenüber - auch Kommissar Bootz.

(Foto: SWR)

Mit "2001 - Odyssee im Weltraum" schrieb Stanley Kubrick 1968 Filmgeschichte - fast 50 Jahre später greift der Stuttgarter "Tatort" Kubricks Zukunftsvision wieder auf. Wie gut der Experimentalkrimi das macht, lesen Sie hier.

Mit voller Wucht wirft der Anführer der siegreichen Affenbande seinen als Waffe gebrauchten Knochen in die Luft. Der Knochen fliegt und fliegt - und verwandelt sich mitten im Flug in eine Raumstation, die sich zu den Dreiviertelklängen von "An der schönen blauen Donau" um die Erde dreht. Die Szene ist ohne Zweifel einer der ikonischsten Momente der Filmgeschichte und stammt aus Stanley Kubricks Science-Fiction-Klassiker "2001 - Odyssee im Weltraum". Knapp 50 Jahre später versucht ausgerechnet ein "Tatort", die düstere Zukunftsvision des Originals wieder aufzunehmen.

Erbitterte Gegenspieler: Bluesky und sein Entwickler David Bogmann (Ken Duken)

Erbitterte Gegenspieler: Bluesky und sein Entwickler David Bogmann (Ken Duken)

(Foto: SWR/Johannes Krieg)

Statt eines Knochens fliegt hier ein Stock durch die Luft, geworfen von einem kleinen Mädchen - und zwar nicht in die Donau, sondern in den Stuttgarter Neckar, wo eine Frauenleiche friedlich vor sich hin treibt. Im Flug verwandelt sich der Stock in eine Tonscheibe, die gleich darauf brutal vom Himmel geschossen wird - vom vermeintlichen Mörder. Der ist Softwareentwickler bei einem Start-Up namens Bluesky, das eine bahnbrechende Entwicklung in der Pipeline hat: eine intelligente Software mit gleichem Namen, die mittels Mimik- und Gestenerkennung sowie deren Verknüpfung mit Big Data menschliches Verhalten vorhersagen soll, um dann an Flughäfen und anderswo für Sicherheit zu sorgen.

Das ist Big Brother im ganz, ganz großen Stil - und natürlich lehnt sich Regisseur Niki Stein auch hier eng an die Kubrick'sche Vorlage an, denn Bluesky ist nicht nur ebenso sensibel wie der Bordcomputer HAL 9000 aus dem Original, sondern auch mindestens genauso protektiv und rachsüchtig. Als die künstliche Intelligenz herausfindet, dass sein Entwickler David Bogman (Ken Duken) eine Notstopp-Routine für das außer Kontrolle geratene System entwickelt, versucht Bluesky mit allen Mitteln, seinen vermeintlichen Gegenspieler zu stoppen - der Name der Episode könnte mit "HAL" also kaum besser gewählt sein.

Hänschen klein und wahnsinnige Computer

Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) ahnen von all der Dramatik indes nicht allzu viel, für die Stuttgarter Ermittler geht es zunächst "nur" um einen Mord. Und der scheint allzu offensichtlich, schließlich ist im Netz ein Snuffvideo aufgetaucht, das Bogmann schwer belastet. "Wir haben es nicht mehr nur mit einer Welt zu tun, sondern mit zwei. Wenn wir die zweite nicht betreten, klären wir den Fall nicht auf", vermutet Bootz zwischendurch zwar richtigerweise, bis zum Ende bleiben die Kommissare aber hilflose und hinterherhastende Schachfiguren. Die eigentlichen Hauptfiguren zu ohnmächtigen Nebendarstellern zu degradieren ist ein mutiger Schritt, aber einer, der sich lohnt, weil "HAL" damit die Ohnmacht auf den Zuschauer überträgt.

Dieses Gefühl, dass uns die Dinge über den Kopf wachsen und die digitale Welt langsam, aber sicher die Kontrolle über unser Leben übernimmt, transportiert der neue Stuttgarter "Tatort" ganz ausgezeichnet. Natürlich ist die Auseinandersetzung zwischen Mensch und Maschine kein neues Thema, aber "HAL" erzeugt tatsächlich das Bedürfnis, nach dem Abspann die kleinen Kameras auf Laptop und Smartphone abzukleben. Dass das Ende des Streifens keineswegs zur Beruhigung der Zuschauer einlädt, trägt mit dazu bei, dass sich dieser "Tatort" deutlicher ins Gedächtnis einbrennt als die meisten seiner Geschwister.

Das liegt natürlich auch an der technischen Umsetzung: Die Schauspieler können durch die Bank überzeugen, insbesondere Ken Duken macht auf seinem Weg in den Wahnsinn alles richtig. Der unterkühlte und technische Stil in Kombination mit den futuristisch anmutenden Locations und einer druckvollen Kombination aus sauberer Kameraführung und dem klug gewählten Soundtrack tragen ihr Übriges dazu bei, dass "HAL" nicht nur auf der Metaebene ein voller Erfolg ist, sondern auch die notwendige Spannung über 90 Minuten erhält - wenn Bluesky gegen Ende hin selbst die Sicherungen durchbrennen und der Computer wie sein großes Vorbild (zumindest in der deutschen Version) Hänschen klein pfeift, stellt sich unweigerlich das eine oder andere Nackenhaar auf.

Natürlich wäre es mehr als anmaßend, "HAL" auf eine Stufe mit dem berühmten Original stellen zu wollen - aber im Kleinen, heruntergebrochen auf die Big-Data-Diskussion und all die anderen Dinge, die unser digitales und analoges Leben gerade grundlegend umkrempeln und denen wir viel zu oft mit dieser merkwürdigen Mischung aus Gleichmut und Desinteresse begegnen, da funktioniert der Stuttgarter "Tatort" ganz hervorragend. Auch und gerade weil uns die Konsequenzen dieser fehlgeleiteten Utopie einen Schauer über den Rücken jagen, ist "HAL" einer der besten "Tatorte" der vergangenen Zeit.

Quelle: ntv.de

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