"Tatort" aus Dortmund Faber ist angekommen
03.05.2015, 21:43 Uhr
Ungewöhnlich: Faber entwickelt Vatergefühle.
(Foto: WDR/Thomas Kost)
Vom Baseballschläger-schwingenden Saulus zum sensiblen Paulus: Die Resozialisierung des misanthropen Dortmunder Kommissar kommt in "Schwerelos" zu einem vorläufigen Abschluss. Alle anderen brauchen mehr Adrenalin denn je.
Wie eine fette Qualle sitzt das Mundstück des Beatmungsgerätes im Gesicht des jungen Mannes und pumpt mit einem fürchterlichen Röcheln Luft in seine Lungen. Es klingt wie der Soundtrack des Todes, als entwiche mit jedem Atemstoß das Leben aus dem geschundenen Körper des verunglückten Fallschirmspringers. Ganz ruhig und doch quälend langsam schaltet eine Ärztin die lebenserhaltenden Systeme ab - es sind so viele, es dauert so lange. Neben dem Bett die hübsche Mutter und ihr Sohn: Der Junge soll Abschied nehmen und zuckt doch nur bei jedem markerschütternden Röcheln aufs Neue zusammen. Irgendwann hat Kommissar Faber genug: Er schnappt sich den Jungen und rettet ihn aus der Intensivstation.
Die unglaublich eindringliche Krankenhausszene im neuen Dortmunder "Tatort" markiert einen vorläufigen Schlusspunkt in der Resozialisierung des todessehnsüchtigen Krawall-Kommissars Faber: Genau der Faber, der in den vergangenen fünf Episoden lieber mit dem Baseballschläger auf Autos eingeprügelt hat, um den Tod seiner Familie zu verarbeiten, wird in "Schwerelos" zum sensiblen Retter: "Der Tod des eigenen Vaters ist kein Anblick für einen Neunjährigen", sagt er der Mutter später.
Tennis- statt Baseballschläger
Die Entwicklung von Jörg Hartmanns Charakter hatte sich in den vergangenen Folgen - dank horizontaler Erzählweise - bereits abgezeichnet und wird von den Zuschauern entsprechend goutiert: Faber ist mittlerweile einer der Lieblingsermittler der Deutschen, auch und gerade wegen seiner bisherigen Kantigkeit. Ob das so bleibt, falls Faber sich als Ruhepol im Dortmunder Gefühlschaos etabliert, bleibt abzuwarten - für den aktuellen Fall funktioniert seine neue Ruhe allerdings ausgesprochen gut.
Das zentrale Thema in "Schwerelos" ist der Wunsch fast aller Charaktere, sich selbst zu spüren: Kollegin Nora Dalay (Aylin Tezel) kann das seit der Abtreibung in der vergangenen Folge nicht mehr und verfällt deshalb einem Basejumper. Der allerdings ist gleichzeitig dringend tatverdächtig, den Fallschirm des Mannes an der Beatmungsmaschine sabotiert zu haben - beide suchen beziehungsweise suchten den Adrenalinkick, um sich lebendig zu fühlen. Und überhaupt: Auch Faber braucht noch dringend ein Ventil, allerdings allgemeinverträglicher - statt Massaker an unschuldigen Autos zu verüben verdrischt er jetzt des Nachts Tennisbälle auf gewässerten Ascheplätzen.
Der eigentliche Fall rückt bei den ganzen emotionalen Verstrickungen über weite Strecken in den Hintergrund - nur um die Zuschauer dann am Ende mit einem gewaltigen Twist in den restlichen Abend zu entlassen. Der wird hier natürlich nicht verraten - ganz im Gegensatz zu Fabers Erkenntnisgewinn, menschlichen Verlust betreffend: "Diese Leere, hört die irgendwann wieder auf", fragt die frisch Verwitwete den leidenserprobten Faber. "Nein, aber man lernt damit zu leben". Ehrlich, nüchtern, Faber.
Quelle: ntv.de