"Ich bin kein Antisemit" Haftbefehl spricht über "Tatort"-Aufreger
12.03.2014, 18:43 Uhr
Immer im Einsatz: Til Schweiger.
"Hätte ich Gummibärchen an Eskimos verkauft, wäre die Textzeile anders ausgefallen", erklärt der Rapper Haftbefehl. Er spielt auf einen seiner Songs an, der im letzten "Tatort" für einen Riesen-Eklat sorgte - obwohl die strittige Stelle nicht zu hören war.
Die Aufregung war groß. Nicht nur, dass der Schweiger-"Tatort" die meisten Leichen ever zu verzeichnen hatte, nein, das Schlagwort Antisemitismus machte auch noch die Runde. Und sorgte so für Quoten? Vielleicht, denn mal abgesehen davon, dass nicht ganz so viele Zuschauer den zweiten Fall von Nick Tschiller sehen wollten wie den ersten, und auch völlig egal ist, ob die Folge nun gut oder schlecht war, ist eines sicher falsch: den Machern Antisemitismus vorzuwerfen. Am Sonntag rauschte es im Blätterwald ganz gewaltig (auch n-tv.de berichtete), denn es hieß, im "Tatort" sei ein Song des Rappers Haftbefehl zu hören, in dem eine abwertend gemeinte Zeile über "Juden von der Börse" in Zusammenhang mit Kokain vorkommen sollte. Kam aber gar nicht, stattdessen wurde über viele andere "Minderheiten" hergezogen, der Hauptkommissar prügelte sich derbe, eine Staatsanwältin wurde per Auftrag vergewaltigt, ein anderer Drogenfahnder stand seiner Beute selbst nicht wirklich abgeneigt gegenüber - und niemand würde darauf kommen, den Machern vorzuwerfen, gewaltverherrlichende Machos inmitten eines frauenverachtenden Filmteams zu sein.
Aykut Anhan möchte nicht in die falsche Ecke gestellt werden - wer will das schon?
(Foto: picture alliance / dpa)
Sensibilität allen Glaubensfragen gegenüber sollte die Maxime sein, mit der ein Flaggschiff wie der "Tatort" auf Sendung geht, das ist sicher richtig. Ab und an verirren sich Klischees in eine Folge: Der Böse war der Türke, der Schwule spricht affektiert und der Prügelkommissar sitzt abends alleine zu Hause und frisst Tütensuppe. Da kann man sicher mal liebevoller rangehen und der Klischeefalle ein Schnippchen schlagen. Das ist aber ein eher allgemeines Problem deutscher Fernsehkultur.
Ja, und auch wenn der deutsche Rapper Haftbefehl - mit kurdischen Wurzeln und aus Offenbach stammend - sich nicht immer fein ausdrückt und schon des öfteren Ärger mit der Justiz hatte (wegen antisemitischer Texte) und an einigen Stellen immer wieder aneckt, eines möchte er sich im Zuge dieser ganzen Debatte nicht vorwerfen lassen: Antisemitismus. "Ich beurteile keinen Menschen aufgrund seiner Religion, Ethnie oder Hautfarbe. Bei uns existiert so was nicht und jeder, der sich die Mühe macht, sich mit mir und meinem Umfeld zu beschäftigen, wird dies erkennen und verstehen. Wir sind Kanaken, Balkans, Kartoffeln, Schwarze, Zigeuner, Ölaugen und Juden. Wir sind Brüder und Schwestern. Wir schätzen und lieben uns. Wir machen und hören Rap-Musik. Unsere Umgangssprache ist wie sie ist und macht vor keiner ethnischen Gruppe 'Halt'. Respekt und Humor ist die Basis meiner multikulturellen Realität in Deutschland. Meine Kunstform ist eine Mischung aus genau dieser Realität und Fiktion", gibt der Rapper zu bedenken.
Übrigens hat NDR-Sprecher Ralf Pleßmann alle Kritik zurückgewiesen: "Aus dem verwendeten Ausschnitt kann man in keiner Weise auf eine irgendwie auch nur annähernd antisemitische Aussage schließen." Dennoch: Eines haben "Tatort" und Haftbefehl-Rap sicher gemeinsam. Wenn man mal mehr auf die Feinheiten achtet, dann könnte echt was Gutes dabei rauskommen. Also beim Texten oder Drehbuchschreiben nächstes Mal schon vorher mehr Gehirn einschalten und dann erst auf Sendung gehen, kann ja nie schaden.
Haftbefehl hat sich dazu schon ein paar Gedanken gemacht: "Ein Aspekt des Antisemitismus' ist die Gleichsetzung von Judentum und Geld, die ich für falsch und dumm halte. Ich verstehe und sehe ein, dass bei Vorurteilen gegenüber Juden und anderen Minderheiten - besonders in diesem Land - jede Aussage auf die Goldwaage gelegt werden muss. Die Goldwaage aber ist ein sehr feines Instrument." Klingt gut. Wenn er sich ab jetzt bei der Zimmerreservierung in Hotels nicht mehr als jüdischer Teppichhändler Jakob Goldstein ausgibt, um ein besseres Zimmer zu bekommen (aus Spex, Antisemitismus im Rap), sondern als Aykut Anhan, so sein bürgerlicher Name, dürften doch alle zufrieden sein, oder?
Die Diskussion um Rap-Musik, um Hip-Hop, die so locker-flockig daher kommen und manchmal so scharfe, schlimme Textstellen aufweisen - frauenfeindlich, ausländerfeindlich, schwulenfeindlich, arbeitslosenfeindlich, kinderfeindlich, rentnerfeindlich -, dass einem Hören und Sehen vergehen sollte, kann nur dadurch besser werden, indem ständig darüber geredet wird. Insofern ist es okay, die Dinge nicht einfach hinzunehmen, auf keiner Seite, und wenn dann noch ein Dialog entstehen würde, wäre es das Allerbeste.
Quelle: ntv.de