Unterhaltung

"Christiane F. on champagne"? Koksende Giraffen im Berliner Sumpf

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Die Party läuft nur mit Drogen und trotzdem ins Leere.

(Foto: imago/EST&OST)

Frauen, die sich auf der Suche nach einem Leben im Luxus reiche Typen anlachen, heißen in Anne Philippis Welt "Giraffen". Die Hollywood-Reporterin seziert in ihrem Debütroman das kaputte Leben einer Jetset-Schnepfe zwischen Blowjobs und Leberschäden.

Eva und Henry langweilen sich. Es ist fünf Uhr morgens und das Jetset-Pärchen sitzt randvoll mit Koks und Cocktails im Weekend, dieser Touristenfalle mit Dachterrasse, die in bestimmten Kreisen merkwürdigerweise immer noch als authentischer Berliner Club durchgeht. "Es war eine dieser Nächte, in denen das bloße Kokainnehmen wirklich für den Arsch war, es würde nichts weiter passieren", lautet der dazu passende innere Monolog Evas. Die Konsequenz kann nur ein spontaner Kurztrip nach Paris sein - inklusive Blowjob im Flugzeug, versteht sich ja von selbst.

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"Giraffen" ist bei Rogner und Bernhard erschienen und kostet 19,95 Euro.

(Foto: Rogner & Bernhard)

Wer den ersten Absatz dieses Textes gelesen hat, weiß im Grunde genommen schon alles, was es über "Giraffen" zu wissen gibt, viel mehr passiert in Anne Philippis Debütroman nicht mehr. Die Figuren der Hollywood-Reporterin sind Abziehbilder: Koks und Alk haben ihre Hirne und Seelen erkalten lassen, wie Zombies wanken sie von einer oberflächlichen Party zur nächsten. Klar, die Berliner Boheme besteht zu einem nicht geringen Teil aus genau solchen Typen - als entlarvende Kurzgeschichte würde "Giraffen" deshalb bestimmt auch wunderbar funktionieren. 200 Seiten kann man dem Thema aber nur schwer widmen, ohne sich selbst mit einer Wagenladung Pulver wach zu halten - ganz einfach deshalb, weil die Handlung niemals mehr Tiefgang erreicht als der abgeschnittene Strohhalm in Evas Nase.

Wie "Christiane F. on champagne"?

"Ich komme aus Berlin, dort lebe ich seit langem, habe viele Freunde, einen schönen Job (ich sage, ich bin in den Medien, obwohl ich da schon lange nicht mehr bin) und ich bin in der Regel gut drauf", stellt sich Eva ganz am Ende des Buches einem Sugardaddy vor, nachdem ihre Beziehung mit dem multitoxisch veranlagten Henry in die Brüche gegangen ist. Der magere Halbsatz in Klammern enthüllt mehr über die 36-Jährige als die 173 Seiten zuvor. Warum Eva so devot, servil, co-abhängig und willenlos ist, wie sie eben ist, wird in ein paar wirren Rückblenden lustlos angedeutet: Die katholische Kirche spielt eine genauso klischeebeladene Rolle wie familiäre Probleme.

Die Vergangenheitslosigkeit der Hauptfigur mag ein bewusstes Stilelement Philippis sein - es führt aber in Kombination mit der extrem unterkühlten Schreibweise dazu, dass sich der Leser nie mit Eva identifizieren kann. "Giraffen" soll angeblich wie "Christiane F. on champagne" sein, aber das ist natürlich Quatsch: Wo sich in "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" selbst das brave Bildungsbürgertum in eine heroinabhängige Jugendliche hineinversetzen konnte, bleibt die Möchtegern-Giraffe Eva bis zum Ende ein Fremdkörper aus einer perversen Parallelwelt. 

Eine Parallelwelt, die Anne Philippi mit ihrer jahrelangen Erfahrung als Vanity-Fair- und Vogue-Reporterin nur zu gut kennt - und deren Demaskierung per se eine gute Sache ist; allerdings, und das ist das Traurige an der Sache, geht das Destillat aus jahrelanger Partyerfahrung, das Philippi vermitteln möchte, an der Antipathie des Lesers ihrer Hauptfigur gegenüber verloren. Die braucht nämlich tatsächlich erst mal den völligen Absturz, nur um am Ende festzustellen: "Es machte keinen Sinn, ein Hotelzimmer für achthundert Euro zu mieten, um sich dann gegenseitig anzufassen." Was für eine Erkenntnis.

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Quelle: ntv.de

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