Unterhaltung

"Tatort" aus Berlin Mord und Vorurteil

Vertragen sich auch weiterhin nicht: die Kommissare Karow (Marc Waschke) und Rubin (Meret Becker)

Vertragen sich auch weiterhin nicht: die Kommissare Karow (Marc Waschke) und Rubin (Meret Becker)

(Foto: rbb/Arnim Thomaß)

Auch zehn Jahre nach den dramatischen Zuständen an der Neuköllner Rütli-Schule herrschen an Berliner Lehranstalten in Teilen immer noch schlachtfeldartige Zustände. Im neuen "Tatort" gilt jedenfalls: Schwule Lehrer leben gefährlich.

Die Schüler der Gesamtschule im Neuköllner Rollbergkiez vertreten einen ziemlich deutlichen Standpunkt, wenn es um Homosexualität geht: "Erst die Schwuchtelkarre, dann die Schwuchtel", lautet das ins Lehrerzimmer geschmierte Bekenntnis der gemeingefährlichen Rotzgören, nachdem am Vorabend das Cabrio ihres bekennend homosexuellen Paukers in Flammen stand. Als zwei Jahre später eine bis zur Unkenntlichkeit verbrannte Leiche vor der Kleingartenlaube ebenjenes Lehrers gefunden wird, scheint der Fall klar.

Der eigentliche Star dieses "Tatorts": Armin (Jens Harzer)

Der eigentliche Star dieses "Tatorts": Armin (Jens Harzer)

(Foto: rbb/Arnim Thomaß)

Ist er aber natürlich nicht: Kommissar Karow (Marc Waschke) und seine Kollegin Rubin (Meret Becker) entdecken am Tatort jede Menge Ungereimtheiten, die alle nur den Schluss zulassen, dass jemand deutlich Schlaueres als die Jungs aus dem Kiez für das Verschmelzen des toten Körpers mit dem Plastikliegestuhl verantwortlich zeichnet. Zum Beispiel Armin (Jens Harzer), der Mann des Lehrers, oder gar Duran (Justus Johannsen), der Quasi-Ziehsohn des schwulen Paares.

Ein des Lebens überdrüssiger Keksfabrik-Erbe

Die möglichen Motive der Beiden zu verraten, würde an dieser Stelle zu weit gehen, denn "Amour fou" lebt von seinen doppelten Böden und verworrenen Handlungssträngen. Der Film spielt exzellent mit der Erwartungshaltung der Zuschauer und der Ermittler gleichermaßen, die immer wieder auf ihre Vorurteile zurückgeworfen werden und sie dann konsequenterweise auch immer wieder hinterfragen müssen. Dass es Regisseurin Vanessa Jopp dabei gelingt, sich gleich mehreren gesellschaftspolitischen Fragen behutsam anzunähern, muss man der Grimme-Preisträgerin hoch anrechnen: Gerade im Spannungsfeld Schule, Homosexualität und Migrationshintergrund zucken ja sonst gerne mal hoch erhobene Zeigefinger durch die Gegend - gerade dann, wenn man die drei Themen miteinander kombiniert.

Schauspielerisch zeigen die Berliner Kommissare mal wieder, dass sie zu den besseren Ermittlern in "Tatort"-Deutschland gehören: Die latente Spannung zwischen den beiden grundverschiedenen Charakteren wirkt nicht aufgesetzt, und auch die Entwicklungen im Privatleben Rubins schaut man sich gerne an - bei Karow ist das ja ganz einfach deshalb nicht möglich, weil der Mann schlicht kein Privatleben hat und auch nachts noch mit Schwarzlicht an Tatorten herumschleicht. Der eigentliche Star dieser Folge ist allerdings Jens Harzer, der es schafft, den Keksfabrik-Erben Armin (zuletzt genial im Tukur-"Tatort") in einer Art verzagt-ironischer Entschlossenheit zu spielen, hin- und hergerissen zwischen Taedium Vitae und dem unbedingten Wunsch zu leben.

Leider fehlt es "Amour Fou" zwischendrin oft am nötigen Tempo, gerade der Mittelteil zieht sich bisweilen wie Kaugummi. Da bleibt nur zu hoffen, dass die Eingeschlafenen rechtzeitig zum Finale wieder aufwachen: Denn dann löst ein klug inszenierter Twist die bereits in Stein gemeißelt geglaubten Strukturen noch einmal auf und entlässt die Zuschauer leicht verwirrt, aber vielleicht ein bisschen weiser in den Abend.

Quelle: ntv.de

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