Luzerner Kriegs-"Tatort" Tschetschenien ist überall
04.03.2017, 13:58 Uhr
Flückiger (Stefan Gubser) und seine Kollegin Ritschard (Delia Mayer) stellen einen Verdächtigen.
(Foto: ARD Degeto/SRF/Daniel Winkler)
Die Gräuel der Tschetschenienkriege sind im Angesicht von IS und Al-Kaida aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwunden, Terror, Tod und Zerstörung gab es aber auch damals schon im Überfluss. "Kriegssplitter" beschwört die Geister von gestern wieder herauf.
Nicht mal nach dem Sex hat man noch seine Ruhe: Kommissar Reto Flückiger (Stefan Gubser) guckt nach einem Schäferstündchen mit seiner heimlichen Geliebten noch ganz selig in den lauen Luzerner Sommernachtshimmel, als plötzlich ein Journalist an den beiden vorbeisegelt und ziemlich tot unten aufschlägt. Na was für ein Zufall aber auch. Und noch ein ziemlich glücklicher dazu, weil die Staatsmacht ja quasi direkt mit den Ermittlungen beginnen kann.

Nurali (Joel Basman, l.) und Nura (Yelena Tronina) sind ziemlich ungleiche Zwillinge.
(Foto: ARD Degeto/SRF/Daniel Winkler)
Allerdings hätte sich Flückiger ruhig noch eine Zigarette auf dem Balkon gönnen können, bevor er sich Hals über Kopf in die Ermittlungen stürzt - mehr als eine blutige Nase holt sich der Schweizer Kommissar ohnehin zunächst nicht. Der Fokus des neuen Luzerner "Tatorts" liegt stattdessen auf dem ziemlich ungleichen Geschwisterpaar Nura (Yelena Tronina) und Nurali (Joel Basman): Während Letzterer bereits als kleines Kind von einem Schweizer Paar adoptiert wurde und ein ruhiges Leben als Versicherungskaufmann führt, läuft seine Schwester mit einer Pistole im Handgepäck herum und nimmt den weiten Weg aus Tschetschenien auf sich, um sich für vergangene Grausamkeiten zu rächen.
Spannendes Fundament für eine packende Story
Das klingt naturgemäß einfacher als es am Ende tatsächlich ist - vor allem, weil nicht nur Nura und die Schweizer Polizei den mysteriösen tschetschenischen Kriegsverbrecher suchen, der mutmaßlich auch den Journalisten auf dem Gewissen hat, sondern auch noch der russische Geheimdienst seine Finger im Spiel hat. Was folgt, ist eine wilde Jagd, die eher Politthriller als Whodunit-Krimi sein möchte, und dabei einen zwiespältigen Eindruck hinterlässt: Die Tschetschenien-Kriege der 1990er-Jahre und der Umgang mit untergetauchten Kriegsverbrechern bilden ein spannendes Fundament für eine packende Story, der Fokus auf Nura und Nurali sorgt für den nötigen Schwung, um sie auch umzusetzen.
Negativ bleiben dagegen die diversen Abkürzungen im Gedächtnis haften, welche die Macher von "Kriegssplitter" immer dann wählen, wenn sie sich in ihren Erzählsträngen vergaloppieren: Das fängt mit der Eingangsszene an und hört kurz vor dem Showdown auf, als Nura auf der Suche nach ihrem Bruder entdeckt, dass dieser bequemerweise ein neuartiges Ortungsgerät in seinem Wagen installiert hat. Mit ein bisschen mehr Mühe wären den Drehbuchautoren Stefan Brunner und Lorenz Langenegger sicherlich elegantere Lösungen für die Auflösung dieser und anderer Situationen eingefallen.
Sei's drum: Wer in punkto Plausibilität ein Auge zudrücken kann, sich ganz der Kriegsverbrecherhatz hingibt und obendrein noch die gewohnt furchtbare Nachsynchronisation erträgt, kann mit "Kriegssplitter" durchaus vergnügliche 90 Minuten haben. Vor allem, weil der Twist zum Ende des Streifens einer von der besseren Sorte ist.
Quelle: ntv.de