"Neuleben" von Katharina Fuchs Boogie-Woogie, Jura und Tellerröcke
10.05.2020, 16:15 Uhr
In welche Zukunft schauen Therese und Gisela?
Katharina Fuchs ist Rechtsanwältin, Justiziarin und seit neun Jahren auch Buchautorin. Sie lebt mit ihrer Familie im Taunus. "Zwei Handvoll Leben" und "Neuleben" basieren auf ihrer eigenen Familiengeschichte. Die beiden Romane lassen sich unabhängig voneinander lesen. Mit Katharina Fuchs sprechen wir über ihre Bücher, das Leben und vor allem auch darüber, wie sich die Corona-Krise im Moment auf die Literatur-Szene auswirkt.
ntv.de: In Ihrem letzten Roman "Zwei Handvoll Leben" waren Ihre beiden Großmütter die Hauptpersonen. Jetzt haben Sie in zweiten Teil - "Neuleben" - Ihre Tante und Ihre Mutter im Fokus. Und wieder erzählen Sie die wahre Geschichte starker Frauenpersönlichkeiten Ihrer eigenen Familie.
Katharina Fuchs: Ursprünglich wollte ich meinen vorigen Roman nur über den Werdegang meiner Tante Therese schreiben. Bei Familienfesten tauchte sie rauchend, im Minirock, mit wechselnden Verlobten auf - sehr zum Entsetzen meiner Großmutter. Sie fuhr ein weißes Karmann Ghia Cabriolet, und ich war als Kind unglaublich beeindruckt von ihr. Obendrein war sie auch noch eine Richterin! Nach "Zwei Handvoll Leben" fragte man mich häufig, ob ich nicht eine Fortsetzung der Familiensaga schreiben könnte. Je länger ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir , dass auch die Geschichte meiner Mutter Gisela, als Schneiderin und Schnittzeichnerin in den 50er Jahren, erzählenswert ist. Die beiden so unterschiedlichen Lebenswege von Therese und Gisela sind schließlich zwei authentische Beispiele der Frauenemanzipation im Nachkriegsdeutschland.
Es war in den 1950er-Jahren für Frauen nicht selbstverständlich, einen Beruf auszuüben. Auch Therese und Gisela hatten mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Welche waren das?
Therese hatte es schon während des Jurastudiums richtig schwer: Die Hochschulprofessoren an der Freien Universität Berlin waren alt, konservativ, autoritär und hielten gar nichts von Frauen in der Jurisprudenz, was sie ihr deutlich zu verstehen gaben. Hinzu kam, dass meine Tante durch eine Verletzung des Faszialisnervs während ihrer Kindheit ein schiefes Gesicht hatte und wegen dieser Entstellung von vielen ihrer männlichen Kommilitonen gehänselt wurde. Es kam zu unzähligen zutiefst demütigenden Szenen. Ohne ihre überdurchschnittliche juristische Begabung und ihre Zähigkeit hätte meine Tante ihr Studium niemals durchgestanden. Im Referendariat gingen die Diskriminierungen weiter. Und meine Mutter staunte, als sie gleich nach ihrer Heirat auf ihrem ersten Arbeitsvertrag mit einem Konfektionsunternehmen die Unterschrift ihres Ehemanns vorweisen musste. Auch als sie Abendkurse besuchen und eine Weiterbildung zur Schnittzeichnerin machen wollte, durfte sie das nicht alleine entscheiden, sondern war auf seine ausdrückliche Zustimmung angewiesen.
Unvorstellbar heute. Sehen Sie die Schicksale Ihrer Protagonistinnen als Meilensteine der modernen Frauenbewegung in Deutschland?
Meine Tante und meine Mutter, 1927 und 1929 geboren, mussten gleichzeitig mit schweren Traumata aus dem Zweiten Weltkrieg zurechtkommen und gegen das starre und prüde Rollenbild der Fünfziger Jahre ankämpfen. In dieser Zeit verbreitete sich ein neuer Wunsch nach Gleichberechtigung. Die beiden verkörpern für mich durchaus den Beginn der Emanzipation der deutschen Frauen.
Ihre Eltern sind schließlich nach Wiesbaden gezogen. Also aus dem geteilten Berlin nach West-Deutschland. Waren es nur berufliche Gründe, die dafür den Ausschlag gaben?
Nicht nur: Mein Vater betrieb rege Schmuggelgeschäfte von Ost- nach Westdeutschland und umgekehrt. Außerdem versorgte er eine Presseagentur mit Informationen und Fotos über wirtschaftliche Probleme in der DDR, die dann an westdeutsche Zeitungen und Radiosender gingen. Nachdem er einmal auf der Fahrt von Chemnitz nach Berlin von der Stasi verhaftet und tagelang verhört wurde, lebten er und meine Mutter in Westberlin in ständiger Angst. Anfang der 50er Jahre war die Grenze innerhalb Berlins noch offen. Ein Zugriff durch die Stasi kam auch in West-Berlin häufig genug vor. In West-Deutschland war das für die DDR-Organe nicht so einfach, es war sicherer. Deshalb nahm er das Stellenangebot in Wiesbaden an.
Sie schildern die vom Krieg traumatisierten Deutschen, die sich wieder über Bohnenkaffee und neue Ware in den Geschäften freuten, oft nicht mehr als ein einziges Paar Schuhe besaßen. "Frauengold", "Maggi", "Russische Eier" machen die Geschichte aus den 50ern so authentisch. Fast, als wären Sie selbst dabei gewesen ...
(lacht) Ja, das alles liegt lange zurück und ist für uns Geschichte. Natürlich habe ich viel darüber gelesen und recherchiert. Aber sicher liegt die Authentizität wohl daran, dass ich immer noch meine Eltern habe. Sie sind 90 und 94 Jahre alt und haben mir auch für dieses Buch wieder unendlich viele Fragen beantwortet. Das war für uns alle drei eine große Bereicherung. Nun hoffe ich in diesen Zeiten inständig, dass die beiden, abgeschottet in ihrem Haus, die derzeitige Bedrohung durch das Coronavirus überstehen. Sie gehören natürlich zu der besonders gefährdeten Personengruppe. Wie alle Menschen dieser Generation haben sie eigentlich schon genug durchmachen müssen.
Zur Veröffentlichung eines Buchs gehören Lesungen und das Gucken auf die Platzierung in den Buchhandlungen. Wie stark beeinträchtigt die Corona-Epidemie Ihre Pläne?
Es gibt erste Berechnungen der Zeitschrift "Buchreport", danach sind die Buchverkäufe in Deutschland bereits um 21,5 Prozent zurück gegangen. Man rechnet aber mit einem noch stärkeren Rückgang um etwa 30 Prozent. Genau in dieser Zeit eine Neuerscheinung heraus zu bringen ist alles andere als ideal. Obwohl man denken würde, dass die Menschen nun eher Zeit hätten zu lesen. Viele Verlage verschieben ihre Novitäten. Die großen Publikumsverlage Random House und Holtzbrinck (wozu mein Verlag Droemer Knaur gehört) haben sich dagegen entschieden. Lesungen sind weniger entscheidend für die Buchverkäufe, sondern eher ein Mittel um präsent zu sein und mit den Lesern in Kontakt zu treten, für manche Autoren auch eine wichtige Einnahmequelle im Hinblick auf das Honorar. Aber die zeitweise Schließung des stationären Handels ist natürlich ein gravierender Eingriff gewesen. Mein Appell an die Leser und Leserinnen: Wir alle, die Buchhändler, Verlage und Schriftsteller, sind nun erst Recht auf unsere Leser und Leserinnen angewiesen. Nutzen Sie die Zeit des Zuhausebleibens doch einfach zum Lesen.
Viele Autoren pflegen zu ihrer Fangemeinde via soziale Medien einen dauerhaften Kontakt. Wie sieht das bei Ihnen aus - und wie nützlich ist das in der aktuellen Krise?
Ich mache das nicht auf allen Kanälen, aber ich pflege mit viel Hingabe meinen Instagram-Account, in dem die Leser und LeserInnen alles über die Entstehung meiner Bücher erfahren können. Dort gibt es viele alte Fotos meiner Familie, den Protagonisten meiner Romane zu sehen und man kann einen Blick hinter die Kulissen der Verlagsarbeit werfen. Gerade habe ich die Initiative meiner Verlagskollegin Ursula Poznanski aufgegriffen und unter dem Hashtag #bücherfürhelfer einige meine Bücher an diejenigen Berufsgruppen verschenkt, die gerade dafür sorgen, dass unser System weiterläuft, während wir zu Hause bleiben: An Menschen in Krankenhäusern, Arztpraxen, in Supermärkten, bei der Polizei, Kinderbetreuung, Müllabfuhr, Reinigungsfirmen und Postfilalen. Das ist unsere Art, Danke zu sagen an die Alltagshelden, die gerade für uns den Kopf hinhalten.
Dürfen wir uns auf einen dritten Band freuen?
Nein, es wird keine "Roman-Trilogie". Mit "Neuleben" endet die Geschichte meiner Familie. Ich schreibe aber schon an einem anderen schönen Projekt.
Mit Katharina Fuchs sprach Sabine Oelmann
Quelle: ntv.de