Verschollen über dem Mittelmeer Der letzte Flug des Antoine de Saint-Exupéry
31.07.2014, 16:49 Uhr
Antoine de Saint-Exupéry 1936 mit seiner Frau Consuelo.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Am 31. Juli 1944 steigt Antoine de Saint-Exupéry im korsischen Borgo in ein Flugzeug. Der weltberühmte Autor wird von diesem Flug nicht zurückkehren. Verschollen zwischen Himmel und Erde: Der Mythos könnte nicht perfekter sein für den Mann, den es zwischen Fliegen und Schreiben hin- und herwarf.
"Wir wollen nicht ewig leben, aber wir wollen auch nicht alles Tun und alle Dinge plötzlich jeden Sinn verlieren sehen. Dann zeigt sich die Leere, die uns umgibt," schreibt Antoine de Saint-Exupéry 1930 in seinem Roman "Nachtflug". Die Geschichte über den Postflieger Fabien, der im tödlichen Wettstreit um die fliegerische Eroberung der Nacht sein Leben verliert, scheint das Schicksal des Autors vorwegzunehmen. Fabien verschwindet in einem Unwetter, ohne Funkkontakt zum Boden und mit immer knapper werdendem Treibstoff über den Anden irgendwo zwischen Himmel und Erde.
Das Ende des Autors ist ähnlich geheimnisumwittert. Saint-Exupéry startet am 31. Juli 1944 auf Korsika zu einem Aufklärungsflug über das von den Deutschen besetzte Frankreich. Mit seiner Lockheed P-38 Lightning soll der 44-Jährige Richtung Grenoble fliegen. Trotz gesundheitlicher Problem hat er nach seiner Rückkehr aus dem Exil durchgesetzt, dass er bei den französischen Truppen mitkämpfen darf. Er hat die Altersgrenze für Militärpiloten längst überschritten und war zu dick geworden. Er kehrt von diesem Flug nie zurück.
Der fliegende Schriftsteller oder schreibende Pilot: Zeit seines Lebens kann er sich zwischen den beiden Leidenschaften kaum entscheiden, bleibt verschollen. Sein Schicksal beschäftigt nicht nur die französische Nation. Jahrzehntelang wird über die Absturzursache gemutmaßt. Wurde Saint-Exupéry von den Deutschen abgeschossen? Oder fiel er einem Flugfehler zum Opfer? Saint-Exupéry hatte schon früher Bruchlandungen erlebt, der Notlandung in der Wüste bei Kairo verdankt die Weltliteratur sein Märchen "Der kleine Prinz". Auch ein Selbstmord des melancholischen Weltenbummlers schien nicht ausgeschlossen.
Schreiben und Fliegen
Sein rätselhaftes Ende passte zum schillernden Leben des Antoine Marie Roger Vicomte des Saint-Exupéry, der am 29. Juni 1900 in Lyon als drittes von fünf Kindern geboren wird. Nach dem frühen Tod des Vaters wächst er zunächst in seiner Geburtsstadt und später auf den Landgütern der Familie in Südfrankreich auf.
Während seiner Internatszeit in Le Mans darf er 1912 erstmals in einem Flugzeug mitfliegen, die Faszination dieses Erlebnisses wird ihn Zeit seines Lebens nicht mehr loslassen. Nach einem vergeblichen Anlauf, die Laufbahn eines Marineoffiziers einzuschlagen und einigen Semestern Architekturstudium absolviert er schließlich seinen Wehrdienst bei der Luftwaffe und wird dort endlich zum Piloten ausgebildet. Diesen Berufsweg schlägt er schließlich aus familiären Überlegungen doch nicht ein, allerdings fliegt er bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Parallel bekommt er Kontakt zu Pariser Literatenkreisen und veröffentlicht 1926 seine erste Novelle "Der Flieger".
Kurz darauf gibt er das Angestelltenleben auf und widmet sich professionell der Fliegerei. Er fliegt und schreibt, immer wieder sind es Pilotengeschichten, in denen er seine Ideale von Kameradschaft und Mitmenschlichkeit beschreibt. 1943 veröffentlicht er in den USA jene Geschichte, die ihn unsterblich machen sollte - "Le petit prince" (Der Kleine Prinz). Jene märchenhaft philosophische Erzählung über einen notgelandeten Flieger, der in der Wüste auf einen kleinen Jungen trifft, wurde weltweit in über 140 Sprachen übersetzt und ist nach der Bibel und dem "Kapital" von Karl Marx das drittplatzierte Buch auf der ewigen Weltbestsellerliste.
Eine letzte Heldentat
Als er am 31. Juli 1944 auf seinem Aufklärungsflug über dem Mittelmeer verschwindet, ist der "Aristokratensohn mit den ölverschmierten Händen", wie ihn sein Biograf Joseph Hanimann nennt, ein weltberühmter Autor. Jahrzehnte vergehen, ohne dass Saint-Exupérys Schicksal aufgeklärt werden kann, bis 1998 ein Fischer beim Säubern seiner Netze im Meer östlich der Île de Riou das Silberarmband des Piloten findet.
Im Jahr 2000 gelingt es einem Unterwasserforscher, Teile des Flugzeugs auf dem Meeresgrund nahe der Île de Riou zu orten. Das Wrack wird gehoben und 2004 eindeutig identifiziert. Die Heldensagen um Saint-Exupéry bekommen damit noch einmal neuen Auftrieb. Weil der Fundort der Flugzeugteile weit entfernt von der vorgegebenen Flugroute nach Grenoble liegt, wird vermutet, der ebenso leidenschaftliche wie leichtsinnige Flieger könnte versucht haben, eigenmächtig Aufklärungsfotos von Marseille und Toulon zu machen. Die Wrackteile sind im Luftfahrtmuseum in Le Bourget zu sehen.
Das Rätsel um Saint-Exupérys Absturz wird im Jahr 2008 endgültig gelöst. Der einstige deutsche Kampfpilot und spätere ZDF-Reporter Horst Rippert berichtet, er habe am 31. Juli 1944 nahe der südfranzösischen Stadt Toulon eine P38 Lightning ins Visier genommen und abgeschossen. Gegen 11.40 Uhr sichtete er Saint-Exupérys Maschine, schoss gezielt auf die Tragflächen und verfolgte, wie das Flugzeug senkrecht ins Wasser stürzte. Dass er den von ihm verehrten Autor abschoss, erfuhr Rippert erst nach dem Krieg. Von seiner Messerschmidt Bf 109 G aus hatte er den Piloten der Maschine nicht sehen können.
Dem Mythos des Antoine de Saint-Exupéry hat die Wahrheit keinen Abbruch getan. Es ist ein wenig wie beim kleinen Prinzen, der bei seinem Verschwinden eine Botschaft hinterlässt: "Es wird aussehen, als wäre ich tot, und das wird nicht wahr sein..."
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Quelle: ntv.de