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Musik, Mods, Gangs und Mafia Die jungen Leute dürfen das

Tanzen - bis zum bitteren Ende.

Tanzen - bis zum bitteren Ende.

Von "My Generation" sangen The Who. Dabei könnte jede Generation gemeint sein. Denn egal, ob das Mississippi-Delta der 30er, New York in den 70ern oder die Kleinstadt Wesel in den 80ern: Immer wurde gerockt, getanzt - und sich geprügelt.

Diese Seele gehört dem Teufel

Robert Johnson, der König des Blues im Mississippi-Delta, kennt jeden Song - und kriegt jede Frau.

Robert Johnson, der König des Blues im Mississippi-Delta, kennt jeden Song - und kriegt jede Frau.

(Foto: Jean-Michel Dupont & Mezzo / Egmont Graphic Novel 2015)

Wer vom "Klub 27" spricht, vergisst gern dessen erstes Mitglied: Robert Johnson. Auch der Bluesmusiker starb mit 27 - an einer Lungenentzündung, geschwächt von Alkohol und Syphilis. Nach seinem Tod 1938 wurde Johnson zur Legende, der an einer Wegkreuzung seine Seele an den Teufel verkauft haben soll, um zum begnadeten Gitarristen zu werden. Das gelang ihm - obwohl nur wenige Aufnahmen von ihm existieren, gilt er als wegweisendes Idol des Blues und damit des Rock. Die Künstler Jean-Michel Dupont und Mezzo erzählen in ihrem Comic "Love in Vain" sein Leben nach, von der Geburt bis zur Nachwirkung.

Sie verzichten dabei auf jeglichen Schnickschnack, gehen stattdessen nahezu dokumentarisch vor. Die groben, holzschnittartigen Bilder mit ihren starken schwarz-weißen Kontrasten, die dennoch viele Details offenbaren, erinnern an die Schautafeln von Bänkelsängern. Dieses Gefühl wird dadurch verstärkt, dass die Figuren vergleichsweise wenig Dynamik haben und wenig sprechen. Stattdessen führen Textkästen sozusagen aus dem Off durch die Handlung - sie stammen vom Teufel selbst, wie man nach und nach ahnt. Ein gelungener Kniff der Autoren, die ihr Buch so zu einer Moritat über das sündige Leben werden lassen.

"Love in Vain" ist bei Egmont Graphic Novel erschienen, 72 Seiten im Hardcover, 22,99 Euro.

"Love in Vain" ist bei Egmont Graphic Novel erschienen, 72 Seiten im Hardcover, 22,99 Euro.

Dabei war Johnson nicht der einzige Bluesmusiker, der damals einen Pakt mit dem Teufel vorgab. Das gehörte zur Show, genau wie Partys und Alkohol, das unstete Leben, die wüsten Liedtexte und der wilde Sex. "Love in Vain" ist eine wunderbar gestaltete, großartig nostalgische Hommage an Robert Johnson, die seine Legende aber gleichzeitig hinterfragt, indem sie ihn in die gesellschaftlichen Zustände seiner Zeit einordnet.

"Love in Vain" direkt bei Amazon bestellen. Eine Leseprobe gibt es hier.

Heiße Party in Wesel

Wieder so ein durchfeiertes Wochenende. Tobi ist platt, aber er schwingt sich in sein Auto, denn er muss nach Hause. Seine Heimfahrt bildet den Rahmen für Erinnerungen: an seine Kindheit und Jugend in der Kleinstadt Wesel. An den Einstieg in die Mod-Szene, an Parkas und Anzüge, Roller, R'n'B und Beatmusik. Später entdeckt Tobi den Ska, wird zum Rudeboy und Skinhead (nein, das ist kein Synonym für Nazi), und tanzt schließlich wie wild zu Northern Soul. Dazwischen findet er Gleichgesinnte, Freunde, verliert sie wieder, gerät in Szenekämpfe und macht trotzdem immer weiter.

Hauptsache, am Ende kann man das Tanzbein schwingen.

Hauptsache, am Ende kann man das Tanzbein schwingen.

(Foto: Tobias Dahmen / Carlsen Verlag 2015)

"Fahrradmod" hat Zeichner Tobi Dahmen seinen autobiografischen Comic genannt, weil er und seine Freunde keine schicken Roller hatten. Trotzdem versuchen sie in der Provinz der 80er und 90er Jahre, die britischen Subkulturen aus den 60ern wieder auferstehen zu lassen: den Sound von The Who und The Small Faces, die Tanzbarkeit des Ska, die Perlen des amerikanischen Soul. Dass diese improvisierten Versuche nicht immer gelingen, dass sie schon daran scheitern, in Wesel einen stilechten Parka zu bekommen, stellt Dahmen mit Witz dar. Doch ihm gelingen auch liebevolle, authentische Einblicke in eine vielgestaltige und bunte Szene.

Mehr als fünf Jahre hat er an der Graphic Novel gearbeitet - sie ist sehr umfangreich geworden. Man merkt dem Buch an, dass der Künstler viel will, zu viel: Er erzählt von seinem Erwachsenwerden. Er erklärt die Entstehung der Mods, von Skinhead-Bewegung und Northern Soul. Er will möglichst alle Ausprägungen der Szene zeigen. Das ist stellenweise unterhaltsam, weil er interessante Aspekte anschneidet: Das Aufwachsen in einer Kleinstadt etwa und warum Provinzorte zum Zentrum von Jugendkulturen werden können. Oder er thematisiert anhand eines Freundes die Unterwanderung der Skinhead-Bewegung durch Rechtsextreme. Aus diesen Themen ließen sich ein paar Bücher machen.

"Fahrradmod" ist bei Carlsen erschienen, 480 Seiten im Hardcover, 29,99 Euro.

"Fahrradmod" ist bei Carlsen erschienen, 480 Seiten im Hardcover, 29,99 Euro.

Aber Dahmen will das alles in einem Buch unterbringen. Das macht er erzählerisch durchaus geschickt, mit einer logischen Rahmenhandlung. Doch insgesamt ist das Buch zu langatmig, es fasert angesichts der Themenbreite aus. Ihm fehlen zudem die markanten Höhepunkte - Wesel in den 90ern ist eben nicht das London der Swinging Sixties. Dafür kann der Band stellenweise zeichnerisch überzeugen. Zwar wirken einige Figuren zu glatt. Doch mit variierendem Seitenaufbau und Elementen, die sich durch den gesamten Comic ziehen, sorgt Dahmen für Abwechslung, ohne dabei den Faden zu verlieren. Für Fans besagter Szenen ist der Band deshalb eine lohnende, unterhaltsame, nostalgische Zeitreise. Und der Anlass, wieder mal The Who, The Specials oder einen Northern-Soul-Sampler aufzulegen.

"Fahrradmod" direkt bei Amazon bestellen. Im April stellt Dahmen seinen Comic in Köln (15.4.), Oberhausen (16.4.) und Bonn (23.4.) vor.

Die Geburt des Hip-Hop

Gewalt ist Teil vieler Jugendkulturen. Manchmal aber auch ihr Ursprung: Der Hip-Hop konnte in den 70er Jahren vor allem deshalb zum Phänomen werden, weil die gefährlichsten Gangs der New Yorker Bronx ihre eskalierenden Auseinandersetzungen beendeten und eine Art Waffenstillstand aushandelten. Wie es dazu kam, erzählt der Comic "Ghetto Brother". Im Mittelpunkt steht Benjamin Melendez, ein Mitglied der titelgebenden Gang, der die Gewalt satt hat, nachdem ein Freund dem Gangkrieg zum Opfer fiel. Er versucht, zwischen den verfeindeten Gruppen zu vermitteln und initiiert unter widrigen Umständen einen legendären Friedensgipfel. Gleichzeitig entdeckt er, dass seine Eltern sogenannte Kryptojuden sind, die ihre Religion im Geheimen ausüben.

"Ghetto Brother" ist bei Avant erschienen, 128 Seiten im Softcover, 19,95 Euro.

"Ghetto Brother" ist bei Avant erschienen, 128 Seiten im Softcover, 19,95 Euro.

(Foto: Jukian Voloj & Claudia Ahlering / Avant Verlag 2015)

Der Deutsche Julian Voloj, der seit Jahren in New York lebt, hat die wahre Geschichte recherchiert und mit Gang-Mitgliedern und frühen Hip-Hoppern wie Afrika Bambaataa gesprochen. Claudia Ahlering hat seine Vorlage bildlich umgesetzt. Ihre unruhigen Tuschzeichnungen erschweren etwas den Zugang. Doch die Schroffheit und Düsternis entspricht der Atmosphäre in der damaligen Bronx, wo Armut, Drogenkonsum, Kriminalität und Gewalt an der Tagesordnung sind. Die sozialen Umstände sind auch ein wichtiger Aspekt in Volojs Erzählung, der die komplexen Ereignisse als Mischung aus Helden- und Coming-of-Age-Geschichte darstellt. Die beiden Autoren holen auf künstlerisch zugespitzte Weise eine nahezu unbekannte Geschichte über die Ursprünge des Hip-Hop ans Tageslicht.

"Ghetto Brother" direkt bei Amazon bestellen. Eine Leseprobe gibt es hier.

Endlose Freiheit in Warschau

"Fugazi Music Club" ist bei Egmont Graphic Novel erschienen, 240 Seiten in Klappenbroschur, 22,99 Euro.

"Fugazi Music Club" ist bei Egmont Graphic Novel erschienen, 240 Seiten in Klappenbroschur, 22,99 Euro.

(Foto: Marcin Podolec / Egmont Graphic Novel 2016)

Weniger an das New York der 70er als an das Berlin der Wendezeit erinnert "Fugazi Music Club". Der Comic von Marcin Podolec handelt vom gleichnamigen Club in Warschau, der Anfang der 90er für kurze Zeit die angesagteste Location der Stadt war. Kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs feiert die Jugend eine Freiheit, die so nie wiederkommen würde. Einen paar Freunde nutzen die Gelegenheit und ziehen in einem alten Kino einen Club auf, in dem Rock, Heavy Metal und Punk gespielt werden. Doch der große Erfolg hat auch seine Schattenseiten: Die Mafia will ihren Anteil am Profit des Clubs - und schreckt auch vor Gewalt nicht zurück.

Witzigerweise wurde Autor Podolec in jenem Jahr geboren, in dem der Fugazi-Club gegründet wurde - übrigens benannt nach einem Song der Band Marillion. Der Comic entstand nach langen Gesprächen mit einem der Gründer. Man merkt dem Comic an, wie viele Anekdoten dieser erzählte und wie Podolec versuchte, möglichst viele davon unterzukriegen. Gerade im ersten Teil des Buches behindern die vielen Ereignisse und Namen den Lesefluss. Erst später kommt der Comic in Fahrt, als die Mafia die Gründer mit Gewalt aus dem Club drängt. Auch zeichnerisch wirkt die Geschichte dann flüssiger, während sich Podolec im ersten Teil viel Raum für grafische Experimente nimmt. "Fugazi Music Club" ist ein interessanter Blick auf eine Zeit ungezügelter Freiheit, wie sie ein paar Jahre etwa auch das Leben im Osten Berlins bestimmte. Allerdings nimmt der Comic Bezug auf viele polnische Ereignisse, Bands und Persönlichkeiten. Das erschwert leider den Zugang für deutsche Leser. 

"Fugazi Music Club" direkt bei Amazon bestellen. Eine Leseprobe gibt es hier.

Quelle: ntv.de

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