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Neue Satire aus Israel Ein Bad voll Sehnsucht, Sex und Religion

In der frömmelnden Stadt-der-Gerechten entdecken russische Migranten die verjüngende Wirkung eines rituellen Bades auf die alternde Libido. An der Satire "Die einsamen Liebenden" hätte Ephraim Kishon seine helle Freude gehabt.

Er hatte doch nur frische Einwanderer gewollt. Alle Städte im Umkreis hatten ihr Kontingent erhalten, nur er war immer wieder leer ausgegangen. Dabei hatte Avraham Danino genaue Vorstellungen von den jungen, neuen Bürgern für seine Stadt gehabt. Es sollte doch mindestens eine dabei sein, deren aufgerichtete Brüste vom vielversprechenden Rest künden würden. Ob sie dann Marina, Olga oder Irina heißen würde, war dem Bürgermeister gleich gewesen. Aber was hatte er schließlich bekommen? Einen Haufen Rentner.

In dieser Misere trifft der Brief eines reichen, amerikanischen Witwers ein, der im Angedenken an seine liebe Frau ein rituelles Tauchbad - eine Mikwe - spenden will. Da seine Stadt-der-Gerechten schon voller Tauchbäder ist, findet Danino nur noch Platz in "Sibirien", dem Neubauviertel, wo er diese Leute, die nicht mal hebräisch sprechen, untergebracht hat.

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Mit dieser Entscheidung handelt sich der unglückliche Bürgermeister allerdings einen ganzen Sack voller Probleme ein: Der palästinensische Bauleiter Naim, der gerne Vögel beobachtet, wird festgenommen, weil das Militär vermutet, dass er nebenan das Geheime-Militärcamp-das-jeder-kennt ausspioniert. Die russischen Neubürger sind enttäuscht, weil sich der ersehnte Schachclub nur als Badeanstalt entpuppt. Dann jedoch entdeckt einer von ihnen die wundersame Wirkung des Wassers auf sein bestes Stück. Schon bald brauchen die späten Paare in ihrem letzten Frühling Stundenpläne, um sich nicht in die Quere zu kommen.

Zu guter Letzt verfehlt die Mikwe ihren Zauber auch nicht bei Moshe Ben-Zuk. Der neue provisorische Bauleiter trifft hier die Liebe seines Lebens wieder. Doch Moshe ist inzwischen ein frommer Familienvater und auch die Frau seiner Träume ist mittlerweile religiös und verheiratet. Kann die magische Anziehungskraft dieses Ortes Sünde sein? Ein Skandal braut sich zusammen. Just als der reiche Amerikaner sich auf den Weg macht, seine Mikwe zu bewundern.

Satire sanft, statt beißend

Es genügt ein, zwei Seiten zu lesen - und jeder, der gerne Tagebuch schreibt oder beruflich Wörter aneinander reiht, wird sich wünschen, dass es ihm auch gelänge, so schön und scheinbar mühelos wie der israelische Schriftsteller Eshkol Nevo zu schreiben.

"Mühelos?", fragt Eshkol Nevo und muss lachen. "Der Eindruck täuscht gewaltig." Von der Idee für "Die einsamen Liebenden" bis zum fertigen Buch habe es sechs oder sieben Jahre gedauert, verrät er n-tv.de. Damals habe er in der israelischen Stadt Safed, berühmt für ihre Frömmigkeit und die Gräber großer Rabbiner, einige Zeit verbracht. Bei einem Spaziergang sei ihm in einer Gegend voller älterer, russischer Migranten eine Baustelle aufgefallen. Eine Mikwe, ein rituelles Tauchbad, sollte dort gebaut werden. "Dazu muss man wissen, dass diese rituellen Tauchbäder von jungen, orthodoxen Frauen aufgesucht werden, um sich nach ihrer Periode zu reinigen." Er habe sich also gefragt, was um Gottes Willen diese Babuschkas damit anfangen sollen? Ein Journalist hätte die Baustelle vielleicht zum Anlass genommen, herauszufinden, wer einen solchen Irrsinn in Auftrag gegeben hat, vermutet Nevo. "Ein Schriftsteller denkt aber lieber darüber nach, wie es dazu gekommen sein könnte."

Herausgekommen ist eine Geschichte, wie sie auch aus der Feder von Ephraim Kishon hätte stammen können – vielleicht weniger beißend. Stattdessen mit einem liebevolleren, intimeren Blick auf die Charaktere. Er sei tatsächlich in kishonesker Stimmung gewesen, sagt Nevo und freut sich, dass der große israelische Satiriker in Deutschland so bekannt ist. "Ein Politiker, in meinem Fall der Bürgermeister, trifft eine irrsinnige Entscheidung. Und dann wird alles immer schlimmer." Am Ende hätten ihn aber wieder einmal die Sehnsüchte und die Einsamkeit seiner Charaktere in der Familie und der Gesellschaft auf einen anderen Pfad geführt. Ob es nun der arabische Bauarbeiter, oder die neuen, russischen Migranten sind: Alle sind Fremde, die von einer zweiten Chance träumen. Genau wie der Bürgermeister, ein Migrant orientalischer Herkunft, und das unglückliche Liebespaar Ayelet und Moshe, die Neulinge in der Welt der Orthodoxie sind.

"Trotzdem ist es meine erste Satire und der erste, magische Realismus in einem meiner Romane. Außerdem habe ich auch das erste Mal meine Komfortzone, mein eigenes soziales Umfeld verlassen", sagt Nevo. In der Tat sind von den zweifelnden, säkulären 30- bis 40-Jährigen vor oder nach der Familiengründung, die bisher seine Bücher wie "Neuland" oder "Wir haben noch das ganze Leben" bevölkerten, nichts zu finden. Stattdessen gibt es gleich zwei religiöse Neubekehrte. "In meinem Umfeld kam schon die Sorge auf, ich könnte nun selbst religiös werden. Aber wenn überhaupt, hat mich die Recherche in meinem Säkularismus bestärkt." Allerdings habe ihn das Konzept der Sünde fasziniert: Was ist eine Sünde für religiöse Menschen? Kann die Wiedergutmachung eines früheren Fehlers, kann eine alte Liebe Sünde sein?

Orthodoxe lachen daheim

Dass seine Satire in der heiligen Stadt Safed spielt und sich um ein rituelles Tauchbad dreht, hat zum gespielten Bedauern von Eshkol Nevo aber keinen Skandal ausgelöst. "Eine Mikwe ist nun mal tatsächlich ein erotischer Ort. Wenn eine Frau dort heraustritt, weiß man mit ziemlicher Sicherheit, dass sie in den nächsten Stunden Sex mit ihrem Mann haben wird." Eine solche Geschichte zu lesen, habe seine orthodoxe Leserschaft darum nicht abgeschreckt, offenbar ganz im Gegenteil. "Aber in den eigenen vier Wänden sind auch viele Themen erlaubt – es wird nur nicht nach außen getragen."

Dass "Die einsamen Liebenden" weniger optimistisch endet, als seine anderen Bücher, will Nevo nicht gelten lassen. "Es ist doch sogar am optimistischsten." Aber er werde hier oft missverstanden, wie in "Neuland" wo Nevo sogar ein Wort in der deutschen Übersetzung ändern ließ, um seine Absicht deutlicher zu machen – ohne Erfolg.

Ob man es als Happy End lesen möchte oder nicht – einen Vorwurf musste Nevo stehen lassen: Man muss die liebgewordenen Gestalten nach 300 Seiten zu früh wieder verlassen. In Israel bereits ein Bestsellerautor, hierzulande noch ein Geheimtipp, könnte der Autor mit seinen "einsamen Liebenden" vielleicht die verwaiste, hiesige Kishon-Fangemeinde übernehmen.

Quelle: ntv.de

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