In 90 Jahren von Micky Maus zum Weltkonzern Die saubere Welt des Walt Disney
17.10.2013, 08:48 Uhr
Walt Disney 1941 - Micky Maus machte sein Unternehmen groß.
(Foto: AP)
Wenn Walt Disney sehen könnte, was ehemalige Disney-Stars wie Miley Cyrus und Britney Spears treiben - ihm würde wohl der Stift aus der Hand fallen. Der Disney-Patriarch, der das Unternehmen vor 90 Jahren gründete, steht für saubere Familienunterhaltung, technische Innovationen - und reaktionäre Ansichten.
Micky Maus hat Schurken besiegt, Schätze gehoben und weit entfernte Länder bereist. Nur heiraten wird er nie. Das sollte inzwischen auch den größten Romantikern klar sein. Etwas steht all dem im Weg: Sex. Nun gut, dass es bei einer Figur, die sich an Kinder richtet, keine Sexszenen gibt, ist selbstverständlich. Doch bei Disney reicht das nicht: Micky und Minnie werden auch nie zusammenziehen oder unter einem Dach wohnen - allein die Vorstellung, dass sich der Star und seine Dauerverlobte ein Bett teilen oder die Ehe vollziehen und Kinder zeugen, ist in der heilen Disney-Welt undenkbar.
Als Kinderersatz dienen Mickys Neffen Mack und Muck, die ihn hin und wieder besuchen. Diese verschachtelten Verwandtschaftsverhältnisse haben bei Disney Methode. Dagobert Duck ist der Onkel von Donald, der mit seinen Neffen Tick, Trick und Track in einem Haus wohnt. Direkte Nachkommenschaft gibt es hier nicht.
Umso erstaunlicher ist, was gerade in dieser Disney-Welt vor sich geht. Miley Cyrus, ehemaliger Superstar der Disney-Serie "Hannah Montana", schwingt sich nackt durch ein Musikvideo und legt mit einer schockierenden Fotostrecke nach. Britney Spears, die durch den "Mickey Mouse Club" entdeckt wurde, machte erst durch Songzeilen wie "Hit Me Baby One More Time" von sich reden und seitdem vor allem durch Skandale und freizügige Musikvideos. Gleiches gilt für "Club"-Kollegin Christina Aguilera. Der heutige Disney-Konzern hat eben nicht mehr viel zu tun mit dem damaligen Unternehmen, dem Walt Disney seinen Stempel aufdrückte. Und das nicht nur, weil der anarchische Donald Duck die saubere Micky Maus längst als beliebtester Star abgelöst hat.
Am 16. Oktober 1923 gründete Walt Disney zusammen mit seinem älteren Bruder Roy O. die Disney Brothers Cartoon Studios. Der zu diesem Zeitpunkt 22-jährige Walt war als Spross eines irisch-kanadischen Vaters und einer deutsch-amerikanischen Mutter im ländlichen Missouri aufgewachsen und hatte als Ambulanzfahrer in Frankreich die Schrecken des Ersten Weltkriegs erlebt. Nach seiner Rückkehr wandte er sich jedoch wieder seinem großen Hobby zu: Da er seit seiner Kindheit zeichnete, übernahm er die künstlerische Leitung der neuen Firma, sein Bruder kümmerte sich um die Finanzierung. Sie drehten Werbe- und kurze Trickfilme.
Innovationen und heiterer Kitsch
Heute ist die Walt Disney Company, wie sie seit 1986 heißt, der weltweit größte Unterhaltungskonzern. Mit all seinen Beteiligungen produziert er eine breite Palette an Filmen, Serien und Fernsehshows. Das reicht von Kinderserien mit Micky Maus und Donald Duck über Teenie-Schmalz wie "Camp Rock" mit den Jonas Brothers bis zu "Pulp Fiction" von Quentin Tarantino - ja, Produzent Miramax gehörte damals Disney. Das geht von den "Golden Girls" über die "Power Rangers" bis zu "Grey's Anatomy", von "Die Monster Uni" über "The Avengers" bis zur "Fluch der Karibik"-Reihe mit Johnny Depp. Das eint das kleine Cartoonstudio und den Weltkonzern: Beide bieten Unterhaltung für die ganze Familie.

Früher Micky-Maus-Comic von 1930 - die Ehrungen für die Figur strich Disney ein.
(Foto: picture-alliance / dpa)
Zukäufe wie Pixar ("Findet Nemo"), Marvel ("Iron Man") und Lucasfilm ("Star Wars") gehören inzwischen ebenso zum Konzern wie die Disney Music Group, die weltweit agierenden Fernsehsender ABC, ESPN und Disney Channel, Radiostationen, Musicals und Eisshows, eine Handvoll Vergnügungsparks mit unzähligen Hotels und eine Kreuzfahrtsflotte. Und Micky Maus. Vor allem Micky Maus und all die anderen Bewohner von Entenhausen. Sie erscheinen nicht nur in Film und Fernsehen, sondern auch in unzähligen Magazinen, Büchern und auf Tausenden Merchandising-Produkten.
Diese Präsenz ist wohlbegründet, denn die Maus mit den markanten Ohren legte den Grundstein für den Erfolg der Firma. Nach einem Fehlschlag schaffte Mickys zweiter Film "Steamboat Willie", der im November 1928 uraufgeführt wurde, den Durchbruch. Die Figur, die längst zur weltweiten Ikone aufgestiegen ist, stammt allerdings nicht von Walt. Seit 1926 konzipierte Ubbe "Ub" Iwerks die Figuren des Trickfilmstudios und folglich auch Micky Maus. Den Ruhm, den Ehrenoscar für die Erfindung der Figur, die ursprünglich Mortimer heißen sollte, und auch die Medaille des Völkerbundes strich dann aber Disney ein.
Doch natürlich spielte bei Mickys Siegeszug auch Walts Aufgeschlossenheit gegenüber technischen Neuerungen eine Rolle. "Steamboat Willie" vereinte Animationen mit Ton- und Musikeffekten - in Stummfilm-Zeiten ein revolutionäres Konzept. Der erstmalige Einsatz des Technicolor-Verfahrens machte Disneys "Silly Symphonies" berühmt, in denen Donald Duck 1934 seinen ersten Auftritt hatte. Der erste Stereo-Soundtrack stammte von Disneys Trickfilm "Fantasia" von 1940. Außerdem waren Disneys Figuren toll gezeichnet und innovativ in Szene gesetzt.
So kamen ab 1937 abendfüllende Trickfilme wie "Schneewittchen und die sieben Zwerge", "Dumbo" und "Bambi" hinzu. Nach dem Zweiten Weltkrieg produzierte man Realfilme wie "20.000 Meilen unter dem Meer", "Mary Poppins" und "Ein toller Käfer" sowie Dokumentationen wie "Die Wüste lebt". 26 Oscars erhielt Walt Disney insgesamt. Längst war er führende Figur und Gesicht des Konzerns. Über allen Werken prangte sein Name. Doch die eigentlichen Künstler blieben unerwähnt - erst spät kamen die sogenannten "Nine Old Men" oder Comiczeichner wie Carl Barks zu Ehren, die etlichen Figuren wie Goofy, Pluto und der Duck-Familie ihre unverwechselbaren Gesichter gaben.

Walt Disney 1947 vor dem Komitee für unamerikanische Umtriebe. Er denunzierte Gewerkschaftler und Mitarbeiter.
(Foto: AP)
Disney baute derweil sein Reich permanent aus. Anfang der 50er Jahre stieg er ins Fernsehgeschäft ein. TV-Shows wie "Disneyland" moderierte er selbst, hinzu kamen Serien wie "Davy Crockett" und der "Mickey Mouse Club" für Kinder. 1955 eröffnete er "Disneyland" im kalifornischen Anaheim - für die einen eine Stein gewordene Phantasiewelt, für andere die Ausgeburt nostalgischen Kitsches. Aber das passte zum Image des Konzerns. Hatte Micky Maus anfangs noch ein wilde Seite, stand Disney inzwischen für harmlos-heitere Unterhaltung und eine heile, saubere Welt.
Patriot und Antikommunist
Zwar geht es dabei unterhaltsam und dramatisch zu - in "Bambi" etwa stirbt die Mutter des Titelhelden, der durch einen Waldbrand dann auch noch seine Heimat verliert. Zwar waren Disney-Filme zeichnerisch und technisch ihrer Zeit voraus. Doch gleichzeitig propagieren sie klare Hierarchien und ein konservatives Familienbild - Happy End inklusive. Der männliche Held ist die Personifikation des American Dream, Erwachsene lehren Kindern die sozialen Benimmregeln und Außenseiter werden schließlich erfolgreich in die Gesellschaft integriert - jeder findet seinen Platz, keiner bleibt zurück. Kein anderes Studio symbolisierte so sehr den Mief der 50er und beginnenden 60er Jahre wie Disney.

Spaceship Earth ist die Attraktion des Epcot-Themenparks in Walt Disney World. In dem Park wurden Disneys stadtplanerische Ideen aufgenommen.
(Foto: AP)
Doch diese reaktionäre Ausrichtung passte zu Walt Disneys politischem Engagement. Er war ein konservativer Republikaner, Patriot und Antikommunist. Gewerkschaften waren ihm ein Dorn im Auge, vor allem seitdem sich auch seine Trickfilmzeichner organisierten und ihn 1941 bestreikten. Die Rache folgte in der McCarthy-Ära, als Disney die Gewerkschaft der Cartoonisten als kommunistische Front diffamierte.
Neben Hollywoodgrößen wie Clark Gable, John Wayne und Ronald Reagan war er zudem Mitglied der Motion Picture Alliance for the Preservation of American Ideals. Diese bekämpfte angebliche kommunistische Aktivitäten in der Filmindustrie und sorgte für die Vorladung von Filmschaffenden vor das Komitee für unamerikanische Umtriebe. Systematisch soll Disney dem FBI vermeintlich kommunistische Mitarbeiter verraten haben, die auf der schwarzen Liste landeten. Noch in seinem Todesjahr 1966 unterstützte Disney den späteren US-Präsidenten Reagan bei den kalifornischen Gouverneurswahlen.
Die "Disneyfizierung" der Stadt
Seine Ansichten brachen sich aber nicht nur in der Unterhaltung oder der Politik Bahn. Er entwickelte auch großes Interesse an stadtplanerischen Konzepten. Mitte der 60er Jahre entwarf sein Konzern Pläne für eine Stadt der Zukunft. Daraus entstand 16 Jahre nach seinem Tod ein Themenpark - die Idealstadt mit dem Namen Experimental Prototype Community of Tomorrow (EPCOT) ist Teil des Walt Disney World Resorts nahe Orlando.
Disney strebte aber nicht nur effiziente Gemeinden und funktionierende Infrastrukturen an. Die "Disneyfizierung", wie das die Architektursoziologie nennt, dreht sich um Ideale - um uramerikanische Werte. Walt Disney ging es um ein Gesellschaftskonzept, das den American Dream verwirklichen sollte. Soziale Probleme und gesellschaftliche Pluralität hatten da keinen Platz. Obdachlosigkeit, Prostitution und Drogenkonsum fanden nicht statt. Disneys Modell folgte einem Ideal, das alle ausgrenzt, die aus den verschiedensten Gründen nicht dazugehören können oder wollen.
1994 wurde dieses Konzept in die Realität umgesetzt - der Disney-Konzern plante und baute die Stadt Celebration in Florida. Kritiker meinen allerdings, dass sich die Stadt radikal von Walt Disneys futuristischen Vorstellungen unterscheide. Wie dem auch sei - ab 1996 zogen die ersten Menschen ein. Doch wer dort wohnen will, muss sich bestimmten Regeln unterwerfen, die Disney in einem sogenannten Musterbuch festlegt. Umbauten an den Häusern sind ebenso verboten wie Veränderungen im Garten. Selbst die Gardinenfarbe wird vorgeschrieben - rot ist verboten. Ehepaare dürfen immerhin einziehen, vermutlich sogar in ein gemeinsames Schlafzimmer.
Quelle: ntv.de