Kino

Exil, Brasilien und Tod Ein Flüchtling namens Stefan Zweig

Stefan Zweig (Josef Hader) im brasilianischen Petrópolis, der letzten Station seines Exils - und seines Lebens.

Stefan Zweig (Josef Hader) im brasilianischen Petrópolis, der letzten Station seines Exils - und seines Lebens.

(Foto: X Verleih)

Er hat Millionen Leser, doch der Nazi-Terror zwingt ihn zur Flucht: Im Exil schwankt Stefan Zweig zwischen Hoffnung und Depression. Der Film "Vor der Morgenröte" schildert auf beeindruckende Weise sein Schicksal - und verweist auf die Gegenwart.

"Mögen sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht!" Selbst im Abschied findet Stefan Zweig poetische Worte, die er an seine Freunde richtet. In der Nacht vom 22. auf den 23. Februar 1942 nimmt sich der österreichische Schriftsteller zusammen mit seiner Frau Lotte das Leben. "Einnahme von Gift - Suizid" heißt es auf dem Totenschein. Die Gründe für seinen Freitod gehen jedoch viel tiefer.

Großbritannien, die USA und Brasilien: Zweig ist von "langen Jahren heimatlosen Wanderns erschöpft".

Großbritannien, die USA und Brasilien: Zweig ist von "langen Jahren heimatlosen Wanderns erschöpft".

(Foto: X Verleih)

Mit der "langen Nacht" meint Zweig den Nationalsozialismus, der Europa gerade in den Abgrund reißt. Schon früh fühlt sich Zweig bedroht, als Jude, Pazifist und Schriftsteller. Er emigriert 1934 nach Großbritannien, dann in die USA und nach Brasilien, wo er in Petrópolis seinem Leben ein Ende setzt. Die Welt seiner eigenen Sprache sei für ihn untergegangen, schreibt er im Abschiedsbrief, während "meine geistige Heimat Europa sich selber vernichtet".

Hoffnung, Enthusiasmus, Depression

Wie sehr ihn der Untergang seiner geistigen Heimat schmerzte, zeigt der intensive Film "Vor der Morgenröte" von Maria Schrader. In sechs Episoden verfolgt sie Zweigs Stationen im Exil, schildert Hoffnung und Enthusiasmus, aber auch Depression und die Schwierigkeiten des Alltags in der Fremde.

Von einer "Annäherung an ein Leben im Exil" spricht Schrader im Interview mit n-tv.de. Denn das Thema ist zu komplex für eine herkömmliche Filmbiografie. Stattdessen konzentriert sich Schrader in den Episoden auf Aspekte, die nicht nur Zweig betreffen, sondern sein Schicksal in den größeren Zusammenhang einbetten: Tausende Exilanten leben mit Ungewissheit, Geldsorgen und Isolation in einem fremden Land, in einer fremden Kultur.

Mit seiner zweiten Frau Lotte (Aenne Schwarz) erkundet Zweig Brasilien.

Mit seiner zweiten Frau Lotte (Aenne Schwarz) erkundet Zweig Brasilien.

(Foto: X Verleih)

Zweig, damals neben Thomas Mann der meistgelesene deutschsprachige Schriftsteller, muss sich zumindest wenig Gedanken um die Finanzen machen. Auch seine Vielsprachigkeit hilft ihm. In Südamerika, vor allem in Brasilien, ist er ein Star, wird selbst von autoritären Regimen hofiert, die sonst keine Juden mehr ins Land lassen. Auch später noch wird er - in der witzigsten Szene des Films - von einem begeisterten Bürgermeister empfangen, dessen Kapelle ihm zu Ehren eine schräge Version des Donauwalzers spielt. Doch es ist nicht das Gleiche, Zweigs Gesicht erstarrt.

"Semmering in den Tropen" nennt er an anderer Stelle den erhabenen Dschungel, in Anspielung auf den berühmten Alpenpass. Solche Kontraste bestimmen den gesamten Film. Mal weigert sich Zweig auf einem PEN-Kongress, Hitler zu verurteilen, während ein Kollege pathetisch der flüchtenden Autoren gedenkt. Mal versetzt ein schroffer Schnitt Zweig aus den brasilianischen Tropen in den New Yorker Winter. Die Episoden enden oft schlagartig, mitten in einem Lied, mitten im Text - so wie sich das Leben im Exil von einen Moment auf den anderen verändern kann. Schrader geht es um Schlaglichter, um Andeutungen. Was zwischen den Episoden passiert, soll sich der Zuschauer selbst denken.

Ein Kabarettist überzeugt

Von seiner ersten Frau Friderike (Barbara Sukowa) lässt sich Zweig 1938 in Großbritannien scheiden - doch sie bleiben freundschaftlich verbunden und versuchen gemeinsam, anderen Exilanten zu helfen.

Von seiner ersten Frau Friderike (Barbara Sukowa) lässt sich Zweig 1938 in Großbritannien scheiden - doch sie bleiben freundschaftlich verbunden und versuchen gemeinsam, anderen Exilanten zu helfen.

(Foto: X Verleih)

Darsteller Josef Hader verleiht diesem Zweig den nötigen Zwiespalt. Mal sprüht er vor Schaffenskraft, wenn er für sein geplantes Brasilien-Buch eine Zuckerrohrplantage besucht. Dann schmerzt ihn wieder die Fremdheit, er verfällt in Depressionen, sein Gesicht, seine Augen erstarren. Dass Schrader ausgerechnet einen Schauspieler für die Rolle aussuchte, der auch als Kabarettist bekannt ist, erweist sich als Gewinn: Haders Timing sitzt, er überzeugt mit minimalen Gesten und sorgt auch für ein paar heitere Töne.

Die stärkste Episode des Films ist jedoch düster: Hader und Barbara Sukowa, die Zweigs erste Frau Friderike spielt, brillieren in einer Art Kammerspiel, das die existentiellen Nöte des Exils auf den Punkt bringt. So berichtet Friderike von ihrer dramatischen Flucht aus Frankreich und den Zuständen in Marseille, von wo Tausende Flüchtlinge den Nazi-Schergen zu entkommen suchten. Sie liest Zweig Bittbriefe von Kollegen vor, die irgendwo gestrandet sind und sich vom berühmten Autor Fürsprache in Amerika erhoffen. Er verzweifelt daran, sie erweist sich als pragmatische Organisatorin.

Verweise auf die Gegenwart

Welche Tragik Europas Flüchtlinge damals erlebten, verweist auf die Gegenwart, wo andernorts Menschen auf ein rettendes Schiff hoffen. Der Film ist nicht nur aktuell, wenn er die Bürokratie zeigt, mit der Flüchtlinge konfrontiert werden. Sondern auch, weil er einen Schriftsteller in den Mittelpunkt rückt, dem die größte Liebe abhanden gekommen ist: die geistige Heimat Europa. Ein Europa, das auch heute wieder zu zerfallen droht.

"Vor der Morgenröte" ist bestes Geschichtskino, weil es nicht historisierend ist. Diesen Flüchtling Zweig könnte es leider auch heute geben. Die episodenhafte Struktur verleiht dem Film Abwechslung, schroffe Wechsel und Kontraste die nötige Frische. Bildgestaltung und intime Kameraarbeit lassen den Zuschauer Hitze und Kälte, aber auch Enge und Verlorenheit am eigenen Leib spüren. Hinzu kommen starke Darsteller wie Hader und Sukowa, aber auch Matthias Brandt - der Sohn des Exilanten Willy Brandt.

"Vor der Morgenröte" startet am 2. Juni in den deutschen Kinos.

Quelle: ntv.de

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