Liebesgeflüster mit "Napoleon" Ist das Ridley Scotts Waterloo?
23.11.2023, 15:29 Uhr Artikel anhören
Seine Geschichte bewegt auch noch 200 Jahre nach seinem Tod: Napoleon (Joaquin Phoenix).
(Foto: picture alliance / Everett Collection)
Fast genau 200 Jahre ist es her, dass Napoleon gestorben ist. Doch noch immer beflügelt der Feldherr und Diktator die Fantasien. Auch die von Kultregisseur Ridley Scott, der ihm nun ein monumentales Werk gewidmet hat. Vor allem seinem Liebesleben.
Was war eigentlich zuerst da? Der Film oder der Hut? Nun, rein physisch war es definitiv Napoleons Hut, der kürzlich zu einem Fabelpreis von 1,932 Millionen Euro in Frankreich versteigert wurde. Dass die Kopfbedeckung derart hoch gehandelt wurde, könnte auch damit etwas zu tun haben, dass sein berühmter und vor gut 200 Jahren gestorbener Besitzer wegen eines Filmes gerade mal wieder in aller Munde ist.
Nicht wegen irgendeines Filmes, versteht sich, sondern wegen des neuen Filmes von Kultregisseur Ridley Scott. Nachdem sich die "Alien"- und "Blade Runner"-Ikone zuletzt mit "House of Gucci" unter die Modemacher des 20. Jahrhunderts gemischt hatte, wendet sich der 86-Jährige in "Napoleon" nun noch einmal einem wirklich historischen Stoff zu. In gewisser Weise schließt sich damit für ihn auch ein Kreis. Schließlich handelte auch sein erster größerer Spielfilm "Die Duellisten" 1977 in der Zeit der Napoleonischen Kriege.
Kinoversion und "Director's Cut"
Die Kriege des französischen Feldherrn und Kaisers spielen natürlich auch in Scotts jetziger Biografie eine Rolle, allerdings nur eine untergeordnete. "Napoleon" ist in erster Linie kein mit dickem Pinsel aufgetragenes Schlachtengemälde, sondern der Versuch einer persönlichen Annäherung an den Mann, der vom Revolutionär zum Diktator mutierte und eine Zeit lang nahezu ganz Europa unterjochen sollte.
Tatsächlich kommt dadurch auch die geschichtliche Einordnung Napoleons in dem Film ziemlich kurz, um nicht zu sagen: zu kurz. Und das trotz mehr als zweieinhalb Stunden Laufzeit. Scott vollzieht mitunter harte Sprünge zwischen den Stationen im Leben des Franzosen, der es dank seiner militärischen Erfolge vom Offizier zum Brigadegeneral brachte und dank seiner politischen Skrupellosigkeit vom Konsul zum selbstgekrönten Kaiser.
Möglicherweise wird der vierstündige "Director's Cut", den der Regisseur erst später im Rahmen der Streaming-Auswertung des Films erstellen will, etwas flüssiger ausfallen. In der Kino-Variante ist das historische Vermächtnis des Napoleon Bonaparte, zu dem Errungenschaften wie der "Code Civil" ebenso gehören wie Millionen Tote auf den Schlachtfeldern, hingegen eine eher unterbelichtete Folie für eine andere Geschichte: die Liebesgeschichte zwischen Napoleon (Joaquin Phoenix) und seiner ersten Frau Joséphine de Beauharnais (Vanessa Kirby).
100 Napoleon-Hüte

Vanessa Kirby verkörpert Napoleons große Liebe Joséphine.
(Foto: picture alliance / Everett Collection)
Als die beiden sich kennenlernen, hat Joséphine bereits eine gescheiterte Ehe hinter sich. Während ihr Ex-Mann in den Wirren der Revolution hingerichtet wird, beginnt bei dem um sie buhlenden Napoleon gerade erst der kometenhafte Aufstieg. Für beide ist die Beziehung eigentlich eine Win-win-Situation: Während ihre aristokratischen Beziehungen sein gesellschaftliches Vorankommen begünstigen, sichert seine Position ihr weiterhin ihren aufwendigen Lebensstil. Vor allem er ist dabei auch schwer verknallt und rasend vor Eifersucht, während sie dann doch einen eher laxen Umgang mit der Ehe - sie und Napoleon hatten 1796 geheiratet - pflegt.
Das ist jedoch nicht, woran die Verbindung der beiden letztlich scheitert. Grund für ihre Trennung ist vielmehr, dass Joséphine kein Kind und somit keinen Thronfolger gebären kann. Dies führt letztlich 1810 zur Scheidung des Paares. Doch auch nach seiner Hochzeit mit Marie-Louise von Österreich, die einen Sohn bekommt, kann Napoleon die große Liebe seines Lebens nie vergessen. Selbst dann nicht, als er nach seiner vernichtenden Niederlage bei Waterloo in der Verbannung auf St. Helena auf seinen Tod im Jahre 1821 wartet …
Scott verwendet viel Zeit und Mühe darauf, den kauzigen Charakter, den er Napoleon zuschreibt, zu zeichnen. Dass er dabei in der Hauptrolle auf Joaquin Phoenix zurückgreifen kann, erweist sich natürlich als glückliche Fügung. Spätestens seit seiner mit einem Oscar gekrönten Darstellung des Joker kennt er sich mit der Darstellung skurriler Figuren schließlich bestes aus. Und tatsächlich ist es vor allem Phoenix, der "Napoleon" Leben einhaucht und den Film - trotz seiner Defizite in der holprigen Inszenierung - letztlich durchaus sehenswert macht.
Ist "Napoleon" Ridley Scotts bester Film? Ganz sicher nicht. Ist der Streifen sein Waterloo? Das sicher auch nicht. Rund 200 Millionen Dollar soll das Werk gekostet haben. Kein Pappenstiel, aber am Ende auch nicht mehr als 100 Napoleon-Hüte. Das sollte der Film an den Kinokassen dann doch wieder einspielen.
"Napoleon" läuft ab sofort in den deutschen Kinos
Quelle: ntv.de